Dr. Eberhard Mayer-Wegelin, Prof. Dr. Harald Kessler
1. Allgemeines
Rn. 269
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Die in § 253 Abs. 1 Satz 2 geforderte vernünftige kaufmännische Beurteilung zur Ermittlung des notwendigen Erfüllungsbetrags vermag den Beurteilungsspielraum des Kaufmanns bei der Bemessung von Rückstellungen nur bedingt einzuschränken. Die individuelle Abwägung der die Höhe des Rückstellungsbetrags determinierenden Chancen und Risiken ergibt regelmäßig nicht nur einen objektiv richtigen Betrag, sondern eine Bandbreite möglicher Inanspruchnahmen (vgl. Schubert, in: Beck Bil-Komm. 2014, § 253, Rn. 154). Wertansätze, die sich innerhalb dieses vertretbaren Schätzungsrahmens bewegen, sind nicht zu beanstanden, auch wenn ein anderer Kaufmann möglicherweise zu einem höheren oder niedrigeren Wertansatz gekommen wäre. Die eigentliche Bedeutung des gesetzl. Schätzmaßstabs ist demnach darin zu sehen, den Bilanzierenden zu einer in sich schlüssigen, d. h. sämtliche Informationen über den zu beurteilenden Sachverhalt berücksichtigenden und von einem sachverständigen Dritten nachvollziehbaren Schätzung der Rückstellungsbeträge anzuhalten, damit Willkürentscheidungen von vornherein ausgeschlossen sind (vgl. ADS 1995, § 253, Rn. 189).
Rn. 270
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Weiter eingeschränkt wird der gesetzl. Beurteilungsrahmen durch die allg. Bewertungsgrundsätze des § 252 Abs. 1. Von ihnen gehen in zweifacher Hinsicht Impulse für die Ermittlung des nach § 253 Abs. 1 Satz 2 anzusetzenden Rückstellungsbetrags aus: Während die in § 252 Abs. 1 Nr. 3 enthaltenen Vorschriften (Einzelbewertungsgrundsatz und Stichtagsprinzip) die bewertungsrelevanten Daten konkretisieren, regeln die Grundsätze nach Nr. 2 (Grundsatz der UN-Fortführung), Nr. 4 (Vorsichtsprinzip) und Nr. 6 (Grundsatz der Bewertungsstetigkeit) den Prozess der Wertfindung an sich, indem sie die Bewertung reglementieren oder in eine bestimmte Richtung lenken.
2. Abgrenzung der bewertungsrelevanten Daten
a) Einzelbewertungsgrundsatz
Rn. 271
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Der Grundsatz der Einzelbewertung grenzt die bei der Schätzung der notwendigen Rückstellungsbeträge zu berücksichtigenden Daten in sachlicher Hinsicht ab. Indem er die gesonderte Bewertung sämtlicher am BilSt bestehenden Verpflichtungstatbestände vorschreibt, stellt er klar, dass der Wertansatz einer Rückstellung nur anhand der individuellen Merkmale der entspr. Verpflichtung zu ermitteln ist (vgl. Fülbier/Kuschel/Selchert, HdR-E, HGB § 252). Diese Verfahrensweise soll einen Wertausgleich zwischen einzelnen Bewertungsobjekten verhindern und die uneingeschränkte Offenlegung der am BilSt bestehenden Vermögensbelastungen gewährleisten.
Rn. 272
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Von dieser auf die kleinste zivilrechtl. isolierbare Einheit abstellenden Betrachtungsweise ist abzuweichen, wenn
(1) |
die individuelle Bewertung der Risiken aus einer Vielzahl gleichartiger Geschäftsvorfälle unmöglich, schwierig oder unzumutbar erscheint und nur eine Sammelbewertung eine zuverlässige Schätzung der Höhe des zu passivierenden künftigen Ausgabenanfalls erlaubt (vgl. HdR-E, HGB § 249, Rn. 273ff.; BFH-Urt. v. 22.11.1988, BStBl. II 1989, S. 362; Schubert, in: Beck Bil-Komm. 2014, § 253, Rn. 162); |
(2) |
zwischen einzelnen Geschäftsvorfällen eine derart enge wirtschaftliche Verknüpfung besteht, dass deren isolierte Würdigung zu einer offenkundig unzutreffenden Vermögensdarstellung führt (vgl. HdR-E, HGB § 249, Rn. 278ff.). |
Rn. 273
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Eine Sammelbewertung setzt eine Mehrzahl gleichartiger und im Hinblick auf den Ausgabenanfall unabhängiger Risiken voraus (vgl. IDW RS HFA 34, Rn. 7; ADS 1995, § 253, Rn. 187). Darüber hinaus muss eine verlässliche Grundlage für die Schätzung der späteren Inanspruchnahme gegeben sein. Das erfordert eine hinreichend große Zahl gleichartiger Verpflichtungen einerseits und betriebliche oder branchenmäßige Erfahrungswerte hinsichtlich der zu erwartenden Inanspruchnahme andererseits.
Rn. 274
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Unter diesen Voraussetzungen hat der BFH die Bildung von Pauschalrückstellungen u. a. für drohende Inanspruchnahmen aus Bürgschaftsverpflichtungen sowie aus weitergegebenen, noch nicht eingelösten Wechseln zugelassen (vgl. BFH-Urt. v. 19.01.1967, BStBl. III 1967, S. 336f.). Auch für Garantierückstellungen, mit denen das Risiko künftiger Erlösschmälerungen aufgrund der Verpflichtung zu kostenlosen Nacharbeiten oder zur Ersatzlieferung bzw. aus Minderungs- oder Schadenersatzansprüchen erfasst werden soll, kommt nach der Entscheidung vom 30.06.1983 (BStBl. II 1984, S. 263ff.) eine Sammelbewertung in Betracht, sofern sich aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit, der branchenmäßigen Erfahrung und der individuellen Gestaltung des Betriebs oder nach der Lebenserfahrung in dem betr. Betriebszweig die Wahrscheinlichkeit ergibt, Garantieleistungen erbringen zu müssen.
Rn. 275
Stand: EL 19 – ET: 05/2014
Verpflichtungen, die sich bis zur Aufstellung der Bilanz konkretisiert haben (z. B. durch Anzeige eines Schadenfalls), sind durch Einzelrückstellungen zu berücksichtigen. Die Bildung von Pauschalrückstellungen bleibt auf die erfahr...