Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 366
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die nahe liegende Frage, ob sich die steuerliche Gewinnermittlung in Zukunft stärker an internationalen RL-Grundsätzen ausrichten sollte, lässt sich – unabhängig von der Diskussion der Reichweite des Maßgeblichkeitsgrundsatzes – in zwei Teilprobleme aufgliedern, nämlich in die Frage, ob diese Grundsätze überhaupt für die Ermittlung eines steuerlichen Gewinns geeignet sind, und die Folgefrage, wie eine Ausrichtung der steuerlichen Vorschriften an internationale Grundsätze rechtstechnisch umgesetzt werden könnte, ohne den verfassungsrechtlich vorgezeichneten Rahmen zu sprengen (vgl. zu wirtschaftlichen Wirkungen eines Übergangs auf die RL nach internationalen Grundsätzen Oestreicher/Spengel (1999); Oestreicher/Spengel, DB 1999, S. 593ff.).
Rn. 367
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Bei normativer Untersuchung der theoretischen Eignung internationaler RL-Grundsätze für die Ermittlung steuerlicher Bemessungsgrundlagen lautet die grundlegende Frage aus Sicht des Steuerrechts, ob die internationalen Gewinnermittlungsgrundsätze mit dem Zweck der StB, d. h. der Messung steuerlicher Leistungsfähigkeit, zur Deckung zu bringen sind. Diese Fragestellung ist nicht pauschalierend gleichzusetzen mit der Frage, ob das deutsche Bilanzsteuerrecht denselben Zwecken wie die internationalen RL-Grundsätze folgt. Letzteres ist ohne Zweifel nicht der Fall: Die internationalen RL-Standards (IFRS) verfolgen den Zweck, primär Investoren entscheidungsnützliche Informationen zu vermitteln (decision usefulness). Im Vordergrund steht das Bemühen, über eine periodengerechte Erfolgsermittlung Rückschlüsse auf die künftige Entwicklung des UN zu ermöglichen. Aus Sicht des Fiskus dagegen ist weniger eine Information über die künftige UN-Entwicklung gefragt, als vielmehr eine die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen in der abgelaufenen Periode widerspiegelnde Grundlage zur Bemessung von Steuerzahlungen. An das ermittelte steuerliche Ergebnis knüpfen Zahlungsansprüche des Fiskus an, während das nach internationalen RL-Grundsätzen ermittelte Ergebnis nicht unmittelbar der Bemessung von Zahlungen, sei es als Dividende an die Anteilseigner oder Steuertransfer an den Fiskus, dient. Aus dieser Divergenz der Zielsetzungen, Adressaten und Rechtsfolgen der mit Hilfe der jeweiligen Rechenwerke ermittelten Erfolgsgrößen wird regelmäßig auf die theoretische Ungeeignetheit internationaler RL-Regeln für die Ermittlung steuerlicher Bemessungsgrundlagen geschlossen (vgl. etwa Fülbier/Gassen, DB 1999, S. 1511ff.; Kahle/Dahlke/Schulz, StuW 2008, S. 266ff., jeweils m. w. N.). Dieses durch den Abgleich v.a. der Zielsetzungen der jeweiligen Rechenwerke gewonnene Ergebnis schließt jedoch nicht aus, dass einzelne Lösungen aus dem Bereich der internationalen RL auch für die steuerliche Gewinnermittlung geeignet sind. Denn trotz unterschiedlicher Zwecke, Adressaten und Rechtsfolgen basieren die IFRS und das Bilanzsteuerrecht auf Periodisierungsregeln zur Ermittlung einer Erfolgsziffer. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Strukturierung und Gewichtung der RL-Grundsätze, insbesondere die Diskrepanzen zwischen dem Verhältnis des Grundsatzes periodengerechter Gewinnermittlung und dem Vorsichtsprinzip sind zwischen den Systemen erheblich (vgl. Heinhold/Pasch, in: FS Coenenberg (1998), S. 393 (395f.), m. w. N.). Dabei werden beide Systembereiche in einem nicht unerheblichen Maße von Objektivierungsrestriktionen determiniert. Im Steuerrecht dagegen hat der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung als Ausfluss des rechtsstaatlichen Gebots der Rechtssicherheit einen hohen Stellenwert. Dies ist insofern von Bedeutung, als Objektivierungsregeln – auch bei unterschiedlichen RL-Zwecken – tendenziell zu einer Angleichung der Erfolgsermittlungsregeln führen können (vgl. Schreiber, in: FS Lutz (1999), S. 879 (894)). Im Übrigen ist zwischen Objektivierungsüberlegungen einerseits und Vorsichtsüberlegungen andererseits streng zu trennen. Die nationale Bilanzrechtsinterpretation neigt zuweilen dazu, jede (über-)vorsichtige Bilanzierungsweise zugleich als Ausdruck einer Objektivierungsnotwendigkeit zu begründen. Auch die Tatsache, dass nach verbreiteter Meinung in der Theorie und zugleich nach überwiegender Handhabung in der Praxis die gegenwärtigen deutschen handelsrechtlichen RL-Grundsätze nicht in jedem Fall geeignet erscheinen, den wirtschaftlichen Erfolg und damit auch die Leistungsfähigkeit eines UN zu beurteilen, während andererseits durch die Kap.-Märkte Abschlüsse nach internationalen Grundsätzen als geeignete(re) Informationsbasis für die Beurteilung eines UN anerkannt werden, indiziert, dass die internationalen RL-Grundsätze keineswegs pauschal und in Gänze steuerlich abgelehnt werden sollten. Ein Urteil ist nur im Hinblick auf konkrete Regelungen möglich. Schwierigkeiten bereitet dabei aus steuerlicher Sicht die Tatsache, dass der Inhalt des Begriffs der steuerlichen Leistungsfähigkeit höchst unbestimmt ist (vgl. Her...