Rn. 4

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

In früheren Dekaden war die HB über das Maßgeblichkeitsprinzip, das auch heute noch Geltung hat, sowie über die sog. umgekehrte Maßgeblichkeit eng mit der StB verzahnt. Die umgekehrte Maßgeblichkeit stellte sicher, dass das Vorgehen in der HB den steuerlichen Anforderungen genügte. Diese Verknüpfung ermöglichte weitgehend eine einheitliche Behandlung von Geschäftsvorfällen in der HB und StB und schuf die Voraussetzung zur Aufstellung einer sog. Einheitsbilanz. Wegen der geringen Anzahl an Unterschieden in den beiden RL-Welten spielten latente Steuern nur eine untergeordnete Rolle. Mit dem Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, S. 2355ff.) wurde die Behandlung von latenten Steuern erstmals im deutschen Bilanzrecht gesetzlich kodifiziert. Die Notwendigkeit zeigte sich u. a. an der zunehmenden Abkoppelung der StB von handelsrechtlichen RL-Grundsätzen, etwa durch das Verbot des Ansatzes von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (vgl. § 5 Abs. 4a EStG). Die häufig fiskalisch motivierten Änderungen der steuerbilanziellen Vorschriften zogen immer mehr Unterschiede zwischen HB und StB nach sich. Aufgrund des im Vergleich zur HB tendenziell früheren Gewinnausweises in der StB stellte sich in der Folgezeit jedoch regelmäßig ein Überhang aktiver latenter Steuern ein, dessen Aktivierung üblicherweise unterblieb (vgl. Herzig (2001), S. 109 (111)).

 

Rn. 5

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) vom 25.05.2009 (BGBl. I 2009, S. 1102ff.) stellte eine Zäsur der handelsrechtlichen RL dar. Zahlreiche Regelungen des HGB wurden grundlegend überarbeitet. In Anlehnung an die internationale RL wurde bspw. der Ansatz von selbst geschaffenen immateriellen VG des AV (vgl. § 248 Abs. 2 Satz 1) gestattet und die Bewertung des Deckungsvermögens zu beizulegenden Zeitwerten (vgl. § 253 Abs. 1 Satz 4) sowie dessen Verrechnung mit den Altersversorgungsverpflichtungen eingeführt (vgl. § 246 Abs. 2 Satz 2). Um eine entsprechende Behandlung in der StB auszuschließen, wurden flankierende steuerliche Neuregelungen aufgenommen, wie etwa das Verbot der Aktivierung selbst geschaffener immaterieller WG des AV (vgl. § 5 Abs. 2 EStG) oder das Verbot der Verrechnung von Posten der Aktivseite mit Posten der Passivseite (vgl. § 5 Abs. 1a Satz 1 EStG). Zudem wurde die umgekehrte Maßgeblichkeit aufgegeben, welche die Ausübung steuerrechtlicher Wahlrechte von einem entsprechenden Vorgehen in der HB abhängig machte. Insgesamt führte das BilMoG daher zu neuen und wesentlich umfangreichen Unterschieden in der handels- und steuerrechtlichen RL.

 

Rn. 6

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Weiterhin wurde durch das BilMoG die Bilanzierung latenter Steuern vollkommen neu geregelt. Während die Steuerabgrenzung im handelsrechtlichen JA nach § 274 (a. F.) nur eine untergeordnete Bedeutung hatte (vgl. Herzig/Vossel, BB 2009, S. 1174), gewann sie durch die grundlegende Überarbeitung des § 274 wesentlich an Bedeutung. Die Bilanzierung latenter Steuern war während der Gesetzesberatungen stark umstritten (vgl. Deutscher BT (2008), S. 13). Während RefE und RegE (vgl. BT-Drs. 16/10067) noch eine generelle Ansatzpflicht für aktive und passive latente Steuern vorsahen, enthält § 274 derweil ein Ansatzwahlrecht für einen Überhang aktiver latenter Steuern i. R.e. "Gesamtdifferenzbetrachtung" (vgl. § 274 Abs. 1 Satz 2). Weiterhin wurde die Wahlmöglichkeit kodifiziert, anstatt des saldierten Ausweises (vgl. § 274 Abs. 1 Satz 1f.) aktive und passive latente Steuern auch unsaldiert zu bilanzieren (vgl. § 274 Abs. 1 Satz 3). Außerdem wurde die Möglichkeit des Ansatzes von aktiven latenten Steuern auf steuerliche Verlustvorträge (vgl. § 274 Abs. 1 Satz 4) eingeführt, aber insoweit begrenzt, als der Ansatz eine geplante Verlustverrechnung innerhalb der folgenden fünf Jahre voraussetzt (vgl. im Übrigen BT-Drs. 16/12407, S. 87). Da aktive latente Steuern als zukünftig erwartete Steuerminderbelastungen durchaus mit Unsicherheiten behaftet sind und sie zudem nicht die Qualität eines VG oder RAP besitzen (vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 67), wurde für sie flankierend eine Ausschüttungssperre in § 268 Abs. 8 Satz 2 eingeführt. Neben der grds. Informationsfunktion latenter Steuern (vgl. Bonner-HdR (2019), § 274 HGB, Rn. 2; BilR-Komm. (2020), § 274 HGB, Rn. 3) misst der Gesetzgeber offensichtlich auch dem Vorsichtsprinzip bei der Ausgestaltung des § 274 eine wichtige Rolle bei. Diesem Gedanken ist auch bei der Auslegung jener Norm Rechnung zu tragen.

 

Rn. 7

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Infolge der Neukonzeption der Steuerabgrenzung durch das BilMoG war es notwendig, den im Jahr 2002 seitens des DRSC vorgelegten Standard DRS 10 zu ersetzen. Zu diesem Zweck hat das DRSC am 18.11.2009 den Standardentwurf E-DRS 24 "Latente Steuern" und am 08.06.2010 den Nachfolgestandard DRS 18 veröffentlicht. Am 03.09.2010 wurde dieser durch das BMJ gemäß § 342 Abs. 2 bekannt gemacht. Nach einer längeren Phase der inhaltlich...

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