Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Peter Dittmar
Rn. 107
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Die Prüfung der angemessenen Darstellung der künftigen Chancen und Risiken im Lagebericht regelt § 317 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 289 Abs. 1 Satz 4. Nach § 289 Abs. 1 Satz 4 muss der Lagebericht Angaben über die voraussichtliche Entwicklung des UN enthalten. In der Literatur werden i. A. Angaben über die beiden GJ nach dem Abschlussstichtag gefordert (vgl. Reittinger (1983), S. 33; Wanik (1975), S. 45 (55)). Die Prüfung dieser Angaben wirft besondere Probleme auf, weil nur der Teil der prognostizierten Entwicklung auf Übereinstimmung mit der Praxis geprüft werden kann, der den Zeitraum bis zum Prüfungsende betrifft. Um die Anforderungen an die Prüfung der prognostischen Elemente des Lageberichts zu konkretisieren, wurde u. a. auf die Begründung zu Art. 51 Abs. 1 lit. b) der 4. EG-R (78/660/EWG) verwiesen (vgl. Großfeld/Junker, ZGR 1980 (Sonderheft 2), S. 251 (256)). Allerdings ist die dort getroffene Feststellung, dass es dem AP unmöglich sei, durch seinen BV zu gewährleisten, dass die im Lagebericht enthaltenen subjektiven Vorausschätzungen der gesetzlichen Vertreter eines UN tatsächlich eintreten (vgl. Schruff (1978), S. II/116; Biener (1979), S. 217), nicht geeignet, die Anforderungen an die Prüfung der Prognoseelemente des Lageberichts näher zu bestimmen. Denn es ist nicht allein für den AP, sondern für jedermann unmöglich, über künftige Entwicklungen Aussagen in den Kategorien "wahr" oder "unwahr" zu treffen. Für in der Zukunft liegende Entwicklungen lässt sich allenfalls eine "Wahrscheinlichkeit" bzw. "Glaubwürdigkeit" angeben (vgl. so auch Kupsch, in: FS Heinen (1984), S. 233 (247)). Der AP kann folglich den zukunftsorientierten Aussagen des Lageberichts nur "Glaubwürdigkeit" oder "Plausibilität" bescheinigen (vgl. Wanik (1975), S. 45 (56); Emmerich (1985), S. 227; Beck Bil-Komm. (2022), § 317 HGB, Rn. 55; ADS (2000), § 317, Rn. 168).
Da auch der vergangenheitsorientierte JA aufgrund der künstlich periodisierten Abrechnungsabschn. zu den Abschlussstichtagen Prognosen der künftigen Entwicklung erfordert, z. B. für die Schätzung der ND von Anlagen oder die Bemessung von Rückstellungen, müssen auch bei der Prüfung des JA künftige Entwicklungen beurteilt werden. Die Prüfung von Prognosen ist also kein Spezifikum der Prüfung des Lageberichts. Aus diesem Grunde kann die Prüfungspflicht für den zukunftsbezogenen Teil des Lageberichts nicht abgelehnt werden (vgl. so auch Bretzke, WPg 1979, S. 337 (346); Emmerich/Künnemann, WPg 1986, S. 145 (151); Bonner-HdR (2017), § 317 HGB, Rn. 63; Beck-HdR, B 600 (2009), Rn. 32, 166; Bonner HGB-Komm. (2022), § 317, Rn. 112; a. A. Selchert, DB 1985, S. 981 (984)).
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Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Im Gegenteil lässt gerade die Prägung des Lageberichts durch die notwendigerweise subjektiven Einschätzungen von Vorstand oder Geschäftsführung eines UN (vgl. Kropff, BFuP 1980, S. 514 (531); Moxter (1986), S. 107) eine Prüfung dieser Unterlagen durch eine um Objektivität bemühte Instanz besonders notwendig erscheinen (vgl. Bechtel/Köster/Steenken, in: FS Leffson (1976), S. 206 (212f.)). Zwar sind übertriebene Erwartungen an die Prognoseprüfung angesichts der methodischen Probleme von Prognosen und der bisher fehlenden Grundsätze ordnungsmäßiger Prognoseprüfungen indes nicht zu rechtfertigen (vgl. Hagest/Kellinghusen, WPg 1977, S. 405 (412ff.); Clemm/Reittinger, BFuP 1980, S. 493 (508); Kupsch, ZfB 1985, S. 1139 (1153f.)). Allerdings kann der AP die Grundlagen der Prognose beurteilen, d. h., ob das der Prognose zugrunde liegende Datenmaterial ausreicht und geeignete Prognoseverfahren angewendet wurden (vgl. Kellinghusen (1978), S. 56ff.; Mennenöh (1984), S. 81ff.; IDW PS 350 (2021), Rn. 41). Der AP wird dann erkennen, ob die im Lagebericht skizzierte voraussichtliche Entwicklung des UN bloßer Hoffnung entspricht oder einen realen Hintergrund hat, etwa in unmittelbar bevorstehenden Vertragsabschlüssen mit wichtigen Kunden.
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Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Das Gesetz legt nicht ausdrücklich fest, welche detaillierten Angaben ein UN im Lagebericht zu der künftigen Entwicklung machen muss, um seine Berichtspflicht zu erfüllen. Der Umfang, der Zeitbezug und die Form der geforderten Angaben werden nicht konkretisiert. Dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz folgend hat das UN im Lagebericht indes zumindest die wesentlichen Chancen und Risiken unter Angabe der zugrunde liegenden Annahmen anzugeben. Wesentliche Chancen und Risiken liegen vor, wenn diese einen wesentlichen Einfluss auf den künftigen Geschäftsverlauf und die künftige VFE-Lage des UN haben können. Risiken sind auch dann zu erläutern, wenn diese den Fortbestand des UN infrage stellen können (vgl. § 289 Abs. 1 Satz 4; Beck Bil-Komm. (2022), § 317 HGB, Rn. 53).
Die Chancen und Risiken stehen sich dabei gleichwertig gegenüber und müssen durch das UN beurteilt und erläutert werden, eine reine Aufzählung ist nicht ausreichend (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 315 HGB, Rn. 233ff.). Die Beurteilung kann im Lageb...