Rn. 10
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Das Recht der Sonderprüfung gemäß den §§ 258ff. AktG wurde i. R.d. Neufassung des Aktienrechts im Jahre 1965 erstmals in das AktG eingefügt, um die Durchsetzung der mit der Reform des Aktienrechts verfolgten Zielsetzungen sicherzustellen. Welchen Interessen das neue AktG gerecht werden sollte, war zunächst umstritten. Insbesondere musste entschieden werden, ob das Höchstwertprinzip des § 133 AktG 1937, das in weitgehendem Maße eine Unterbewertung von Bilanzposten und damit die Bildung stiller Reserven ermöglichte, beibehalten werden sollte. Weiterhin war festzulegen, ob die Feststellung des JA weiterhin durch Vorstand und AR zu erfolgen hat oder der HV überlassen werden sollte (vgl. Claussen, in: FS Barz (1974), S. 317 (318)). Im Ergebnis hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der (nahezu schrankenlosen) Bildung stiller Reserven weitgehend eingeschränkt und das Fixwertprinzip in den Bewertungsvorschriften der §§ 153ff. AktG ((a. F.); nach Inkrafttreten des BiRiLiG: §§ 252ff.) verankert (zur Einschränkung der Bildung stiller Reserven durch das AktG 1965 vgl. Kropff, in: FS Forster (1992), S. 289ff.). Andererseits verblieb die Kompetenz der Feststellung des JA grds. bei Vorstand und AR. Mangels Anfechtbarkeit dieser Feststellung konnte die Einhaltung der Bewertungsvorschriften von den Anteilseignern daher nur im Wege eines neu zu schaffenden Rechtsbehelfs überprüft werden.
Rn. 11
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Bezüglich der Ausgestaltung eines solchen Rechtsbehelfs, speziell hinsichtlich seiner Rechtsfolgen, wurden unterschiedliche Varianten diskutiert. Zunächst wurde in Betracht gezogen, für den Fall der unzulässigen Bildung stiller Reserven einen besonderen Rechtsbehelf vorzusehen, der eine Auflösung der stillen Reserven und deren Zwangsausschüttung regelte (vgl. dazu MünchKomm. AktG (2021), § 258, Rn. 8). Gegen diese Regelung sprach jedoch neben der betriebswirtschaftlich bedenklichen Liquiditätsverknappung als Folge einer Zwangsausschüttung insbesondere ihre Unvereinbarkeit mit der grds. Kompetenz der HV, über die Höhe der Ausschüttung zu entscheiden. Ob das gegen eine solche Ausgestaltung des Rechtsbehelfs ferner vorgebrachte Argument, thesaurierter und ausgeschütteter Gewinn würden von den Anlegern ähnlich bewertet (vgl. so Kronstein/Claussen/Biedenkopf, AG 1964, S. 268 (270)), zutraf, erschien nicht nur aus der Sicht der Minderheitsanteilseigner zweifelhaft (vgl. ebenso Krag/Hullermann, DB 1980, S. 457).
Rn. 12
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Auch die als Alternative erwogene Möglichkeit der Anfechtung des JA bei unzulässiger Bildung stiller Reserven erwies sich als nicht praktikabel (vgl. MünchKomm. AktG (2021), § 258, Rn. 8). Rechtsfolge bei erfolgreicher Anfechtung wäre nämlich die Vernichtung des Feststellungsbeschlusses, der jedoch nicht durch die Feststellung des Gerichts über die richtige Bewertung ersetzt werden kann (vgl. zu den Gegenargumenten Kronstein/Claussen/Biedenkopf, AG 1964, S. 268f.). Zudem könnte der anfechtende Aktionär ohnehin seiner Darlegungspflicht nicht genügen, da ihm kein Recht zur Einsicht in die Bücher der Gesellschaft zusteht.
Rn. 13
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Die Mängel der beiden genannten Konzeptionen führten dazu, dass der Vorschlag von Kronstein/Claussen/Biedenkopf (AG 1964, S. 268f.) in der verabschiedeten Gesetzesfassung umgesetzt wurde. Dieser Vorschlag konzipierte den neu zu schaffenden Rechtsbehelf als eine vorgerichtliche Bewertungsprüfung, die durch ein richterliches Nachprüfverfahren ergänzt wurde. Ein erfolgreicher Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung beeinflusst die Rechtswirksamkeit des zu beurteilenden JA nicht, sondern weist der HV die Kompetenz zu, über die Ausschüttung des im folgenden JA zusätzlich auszuweisenden Betrags der unzulässig gebildeten stillen Reserven zu beschließen.
Rn. 14
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Die §§ 258ff. AktG richten sich ausschließlich an den JA nach HGB. § 258 AktG verweist über die Legaldefinition der Unterbewertung (vgl. § 256 Abs. 5 Satz 3 AktG) explizit auf die handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften. Nach Änderung der (Konzern-)RL-Vorschriften durch das BilReG ist – für Zwecke der Offenlegung – zwar auch die befreiende Aufstellung eines EA nach IFRS denkbar. Mangels entsprechender Bezugnahme der §§ 258ff. AktG auf die internationalen RL-Vorschriften und auch weil sich eine analoge Anwendung der Regeln auf einen IFRS-EA keineswegs nach Sinn und Zweck aufdrängt, muss die Anwendung der §§ 258ff. AktG bis zu einer ausdrücklichen anderweitigen Regelung auf den HGB-JA beschränkt bleiben. Letztlich ist bis auf Weiteres auch nur dieser HGB-JA Gegenstand der organschaftlichen Zuständigkeiten in der AG und Grundlage für die Ausschüttung.