Prof. Dr. Rolf U. Fülbier, Florian Federsel
1. Grundsatz der Einzelbewertung
a) Inhalt und Zweck der gesetzlichen Regelung
Rn. 59
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 3 sind die VG und Schulden zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten. Dass die VG und Schulden einzeln zu bewerten sind, enthält schon der Grundsatz über die Aufstellung des Inventars in § 240 Abs. 1 (vgl. dazu Beck Bil-Komm. (2020), § 252 HGB, Rn. 22). Allerdings beinhaltet § 252 Abs. 1 Nr. 3 neben dem Grundsatz der Einzelbewertung auch noch den Grundsatz der stichtagsbezogenen Bewertung. Es handelt sich hier um "zwei voneinander unabhängige Grundsätze" (ADS (1995), § 252, Rn. 37).
Rn. 60
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Der Grundsatz der Einzelbewertung verlangt, jeden VG und jede Schuld für sich, d. h. unabhängig von den Wertverhältnissen anderer VG und Schulden, isoliert zu bewerten. Dies gilt auch insoweit, als mehrere Bewertungsgegenstände in einer Bilanzposition rechnerisch zusammenzufassen sind. Die Ermittlung des Werts, der den VG und Schulden im Einzelnen beizulegen ist, darf somit grds. nur anhand der individuellen Merkmale des jeweiligen Bewertungsgegenstands erfolgen. Dies hat zur Konsequenz, dass ggf. "ansonsten gleiche Vermögensgegenstände im Hinblick auf besondere Eigenarten, Ausstattungen sowie Nutzungs- und Verwendungsmöglichkeiten [...] unterschiedlich zu bewerten sind" (ADS (1995), § 252, Rn. 48).
Rn. 61
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Das Gebot der Einzelbewertung regelt hingegen nicht die Ermittlung der betragsmäßigen Höhe der den einzelnen Bewertungsgegenständen jeweils beizulegenden Werte. Allerdings stößt eine exakte Trennung des Gebots der Einzelbewertung von der Ermittlung der Höhe der den einzelnen Bewertungsgegenständen beizulegenden Werte häufig auf Schwierigkeiten. Das gilt für die Fälle, in denen einer Mehrzahl von Bewertungsobjekten ggf. effektiv angefallene Kosten mit Hilfe von Verrechnungsschlüsseln zuzurechnen sind. Das gilt insbesondere für Fälle der Kuppelproduktion, in denen die Kosten den Bewertungsobjekten nach deren "Tragfähigkeit" (vgl. z. B. Hummel/Männel (1986), S. 308) zugeordnet werden. Schwierigkeiten treten nicht zuletzt auch bei der sog. Pauschalwertberichtigung von Forderungen auf. Je nach Interpretation handelt es sich hierbei entweder um eine pauschal ermittelte Einzelwertberichtigung oder um eine Form der Sammelbewertung für eine (Teil-)Gesamtheit von Forderungen. Damit wäre nur im Zuge der erstgenannten Interpretation der Grundsatz der Einzelbewertung gewahrt.
Rn. 62
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Der Grundsatz der Einzelbewertung rechtfertigt grds. keine unterschiedliche Inanspruchnahme gesetzlicher Bewertungswahlrechte, sofern der zugrunde liegende Bewertungssachverhalt völlig identisch ist (vgl. ADS (1995), § 252, Rn. 55). Dies widerspräche zudem anderen allg. Bewertungsgrundsätzen, z. B. dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Bewertung, der Beibehaltung von Bewertungsmethoden sowie dem Willkürverbot (vgl. ADS (1995), § 252, Rn. 55; Selchert, WPg 1983, S. 447 (448); Selchert, DB 1984, S. 1889ff.; HdR-E, HGB § 252, Rn. 136).
Rn. 63
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Die Einzelbewertung von VG und Schulden verhindert einen Wertausgleich zwischen mehreren Bewertungsgegenständen und soll auch hauptsächlich diesem Zweck dienen (vgl. u. a. Göllert/Ringling (1986), S. 11, 13; Benne, DB 1991, S. 2601). Somit besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Einzelbewertungsgebot und dem Realisations- sowie dem Imparitätsprinzip (vgl. HdR-E, HGB § 252, Rn. 81ff., 90ff.; Kupsch, in: FS Forster (1992), S. 340 (346ff.)). Bekanntermaßen könnten i. R.e. Gesamtbewertung mehrerer VG durch eine Saldierung von unrealisierten Gewinnen und Verlusten auch unrealisierte Gewinne in die Bewertung einfließen bzw. verursachte, aber noch nicht realisierte Verluste vom Ausweis ausgeschlossen werden, was dem Realisations- bzw. dem Imparitätsprinzip widerspräche. Der Grundsatz der Einzelbewertung verhindert grds. eine Kompensation von Wertminderungen einzelner Bewertungsgegenstände durch Wertsteigerungen anderer Bewertungsgegenstände und steckt somit den Rahmen ab, innerhalb dessen das Realisations- bzw. Imparitätsprinzip zum Tragen kommt (vgl. die abweichenden Überlegungen zum Verhältnis der Bewertungsgrundsätze nach dem Muster von Ursache und Wirkung bei Gruber (1991), S. 66f.). Das HGB enthält aber seit dem BilMoG neben den Sammelbewertungsverfahren (vgl. §§ 240 Abs. 3f., 256) zwei weitere Paragraphen, die den Grundsatz der Einzelbewertung konterkarieren. Zum einen müssen nach § 246 Abs. 2 VG, die dem "Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen sind und ausschließlich der Erfüllung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen oder vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen dienen", mit diesen Schulden verrechnet werden (vgl. dazu ausführlich HdR-E, HGB § 246, Rn. 24f.). Zum anderen erlaubt § 254 die Bildung von sog. Bewertungseinheiten, d. h. ein Grund- und ein Sicherungsgeschäft werden zu einer Einheit zusammengefasst (vgl. ähnlich schon Christiansen, DStR 2003, S. 264 (265ff.)). Mit dieser Kodifizierung kam der deutsche Gesetzgeber der bis dato branch...