Rn. 70
Stand: EL 40 – ET: 09/2023
Die vor dem Abschlussstichtag getätigten Ausgaben bzw. zugeflossenen Einnahmen sind gemäß § 250 Abs. 1f. nur dann als RAP zu bilanzieren, falls sie Aufwand bzw. Ertrag für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag darstellen. Die Zeitbestimmtheit ist damit die dritte Voraussetzung, von der das Gesetz die Zulässigkeit der Bilanzierung von RAP abhängig macht. Diese Bedingung wird im einschlägigen Schrifttum als die bedeutendste angesehen (vgl. z. B. ADS (1968), § 152 AktG, Rn. 182f.; überdies Niermeyer, BBK 1987, S. 3073 (3076); HGB-HandKomm. (2020), § 250, Rn. 22; sodann H/H/R (2021), § 5 EStG, Rn. 2189ff., m. w. N.). Es ist für die Erarbeitung von Maßstäben zur Beurteilung, ob das Kriterium der "bestimmten Zeit" für den konkret zu prüfenden Sachverhalt erfüllt ist, unerheblich, ob es sich bei diesem Kriterium nun um das wichtigste der besagten drei Kriterien handelt oder nicht; entscheidend ist einzig und allein, wie die keinesfalls eindeutige Gesetzesformulierung i. S.e. gesetzestreuen, den GoB genügenden Bilanzierung auszulegen ist.
Rn. 71
Stand: EL 40 – ET: 09/2023
Das Kriterium der "bestimmten Zeit" ist als äußerst problematisch anzusehen, da der Gesetzeswortlaut aus sich heraus "nicht ohne Weiteres" (BFH, Urteil vom 04.03.1976, IV R 78/72, BStBl. II 1977, S. 380 (381)) eine sachlich nicht anfechtbare Interpretation zulässt. Die Spann- bzw. Tragweite der darin liegenden Problematik wird in der ermessensbehafteten Auslegung jenes Kriteriums deutlich. So finden sich sowohl im handels- als auch steuerrechtlichen Schrifttum genügend Befürworter für:
Rn. 72
Stand: EL 40 – ET: 09/2023
(1) |
eine enge Begriffsauslegung (vgl. z. B. ADS (1968), § 152 AktG, Rn. 182; WP-HB (2006/I), Rn. E 207; BFH, Urteil vom 20.11.1980, IV R 126/78, BStBl. II 1981, S. 398; BFH, Urteil vom 04.03.1976, IV R 78/72, BStBl. II 1977, S. 380f.; Rau, DB 1969, S. 676ff.). Die nach Inkrafttreten des AktG 1965 überwiegend vertretene Meinung einer restriktiven Auslegung des Kriteriums der "Zeitbestimmtheit" fußte auf dem Prinzip der kaufmännischen Vorsicht. Danach ist das Merkmal "bestimmte Zeit" sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Vorschrift nach eng auszulegen (vgl. Niemann (1987), S. 8). Der Sinn und Zweck jener Vorschrift besteht darin, dass der durch nichts zu beeinflussende Zeitablauf die Höhe der Rechnungsabgrenzung bestimmen sollte (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 153, Rn. 92). "Bestimmte Zeit" war demnach gleichzusetzen mit einem möglichst kalendermäßig exakt zu bestimmenden Zeitraum, der sich direkt aus dem Sachverhalt ergeben musste. Diese Auffassung vertritt u. a. Glade: "Eine bestimmte Zeit liegt nur dann vor, wenn sie einen eindeutigen Anfang und ein eindeutiges Ende hat, also klar abgrenzbar ist. Es genügt nicht, daß die Zeit ‚bestimmbar’ ist, also durch Schätzung ein Zeitraum festgelegt werden kann" (HB-RP (1986), § 250 HGB, Rn. 7). |
Rn. 73
Stand: EL 40 – ET: 09/2023
(2) |
eine weiter gefasste Begriffsauslegung (vgl. z. B. StbJb (1983/84), S. 141 (157ff.); Knobbe-Keuk (1993), S. 114f.; Niemann (1987), S. 44; Federmann, BB 1984, S. 246ff.; BFH, Urteil vom 17.07.1980, IV R 10/76, BStBl. II 1981, S. 669ff.; BFH, Urteil vom 24.03.1982, IV R 96/78, BStBl. II 1982, S. 643ff.). Die enge Auslegung des Terminus "bestimmte Zeit" stößt i.W. in der Rspr. des BFH seit Ende der 1970er Jahre auf Ablehnung. So ließ der BFH z. B.
- mit Urteil vom 23.02.1977 (I R 104/75, BStBl. II 1977, S. 392f.) die passive Abgrenzung von Baukostenzuschüssen, die ein Gasversorgungs-UN für die Herstellung und Unterhaltung von Anschlussleitungen erhielt, zu, obgleich sich die Zeitbestimmtheit nur aus der Schätzung des Zeitraums ableiten ließ, in dem die Anschlüsse bestanden;
- mit Urteil vom 17.07.1980 (IV R 10/76, BStBl. II 1981, S. 669ff.) die Bildung eines passiven RAP zur Abgrenzung einer einmaligen Entschädigung für die Übernahme einer dauernden Unterlassungslast zu (Verzicht auf ein Wassernutzungsrecht). Nach Auffassung des BFH ließ sich nach der Vereinbarung rechnerisch ein Mindestzeitraum bestimmen, für den die erhaltene Zahlung Ertrag darstellt;
- mit Urteil vom 24.03.1982 (IV R 96/78, BStBl. II 1982, S. 643ff.) für ein Entgelt für eine durch Grunddienstbarkeit dauernd gesicherte Verpflichtung zur zeitlich unbegrenzten Duldung einer Ferngasleitung die Bildung eines passiven RAP zu. In diesem Fall sah der BFH die Einmalvergütung als Kap.-Wert einer ewigen Rente an, die rechnerisch wie eine auf bestimmte Zeit gezahlte Rente zu behandeln sei.
Insbesondere dieses letzte Urteil stieß auf heftige Kritik (vgl. z. B. Bordewin, DStZ 1982, S. 463 (464ff.); BMF, Schreiben vom 12.10.1982, IV B 2 – S 2133–15/82, BStBl. I 1982, S. 810), weil trotz immer währender Verpflichtung eine zeitliche Bestimmtheit bejaht wurde. |
Rn. 74
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Die Befürworter der weiter gefassten Begriffsauslegung berufen sich auf die Anwendung des Realisationsprinzips. Erst wenn der Bilanzierende seine Leistung auch tatsächl...