Rn. 55
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Werkstattvorräte zeichnen sich dadurch aus, dass sie Teil eines Verarbeitungsprozesses sind. Traditionelle Inventurverfahren bzw. die herkömmliche Form der Werkstattinventur sind bei Einsatz bestimmter gängiger Fertigungsverfahren nicht anwendbar. So setzt etwa die Halbleiterfertigung eine kontinuierliche Fertigung voraus (vgl. auch NWB HGB-Komm. (2022), § 241, Rn. 19). Inventurunterbrechungen würden in diesem Fall die Fortsetzung des Fertigungsprozesses und das Endprodukt durch Verschmutzung oder elektrostatische Aufladung gefährden (vgl. AWV (2014), S. 10). Ziel der systemgestützten Werkstattinventur ist es daher, die "gesonderte körperliche Bestandsaufnahme durch ein Inventurverfahren zu ersetzen, das Stillstandszeiten in der Fertigung und Störungen des Fertigungsablaufes vermeidet" (AWV (2014), S. 11).
Rn. 55a
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Eine Übertragung der systemgestützten Werkstattinventur oder einzelner ihrer Elemente auf die Inventur unfertiger Erzeugnisse, welche durch andere Fertigungsformen wie im Großanlagenbau oder in der Rezepturfertigung der chemischen Industrie entstehen, ist nicht ohne Weiteres möglich (vgl. AWV (2014), S. 26).
Rn. 55b
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Die zur Erreichung ihres Ziels notwendige qualifizierte Schätzung muss Anhaltspunkte zu den sich in der Fertigung befindlichen Mengen und Werte liefern, um hieraus den sachgerechten Bilanzansatz zu generieren (unfertige Erzeugnisse, RHB). Schätzung und Schätzmodell müssen nachprüfbar sein, wobei der Schätzfehler mit Blick auf die abzubildenden Gesamtbestandswerte unwesentlich sein muss (vgl. AWV 2014, S. 11). "Werkzeuge zur Generierung des Schätzergebnisses können beispielsweise Rückmeldepunkte der Fertigung in einem PPS-System, Audits von Produktzuständen, Rückrechnungen über Datawarehouses oder andere Verfahren sein" (AWV (2014), S. 11)
Rn. 56
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Erfolgt eine Verarbeitung unter Einsatz eines PPS-Systems (vgl. AWV (2014), S. 10; Berner, BC 1998, S. 245; Glaser/Geiger/Rohde (1992), S. 2ff.; Steven (1999), S. 317ff.), welches eine fließende Fertigung ermöglicht, können die Daten des PPS-Systems für die Erstellung eines Inventars genutzt werden. Der fließende Auftragsbestand impliziert, dass der Vorratsbestand zu einem bestimmten Zeitpunkt nur über die zu diesem Zeitpunkt in Arbeit befindlichen Aufträge ermittelt werden kann. Ein PPS-System liefert i. d. R. für Zwecke der Auftragssteuerung nach einem oder mehreren Arbeitsgängen eines Auftrags eine Rückmeldung. Diese PPS-Informationen über den Auftragsfortschritt ermöglichen eine Ableitung hinsichtlich der für die Inventur der im Werkstattbereich gebundenen Vorräte notwendigen Daten (vgl. Quick, BuW 1992, S. 340 (343f.); Scherrer, DSWR 1995, S. 324 (327)).
Rn. 57
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HFA 1/1990 (WPg 1990, S. 143 (148)) legt dabei fest, dass die Daten mindestens folgenden Umfang aufweisen:
- Typenbezeichnung,
- Auftrags-Nr.,
- Datum der Auftragseröffnung,
- Sollmenge des Auftrags,
- Istmenge ohne festgestellten Ausschuss,
- definierte Rückmeldepunkte zur Erfassung der aus einer Fertigungsstrecke abgelieferten Teile sowie
- außerplanmäßig fehlende Bauteile oder Stoffe.
Rn. 58
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Um die Bestandszuverlässigkeit des PPS-Systems sicherzustellen, sind an das IKS strenge Anforderungen zu stellen. Diese betreffen gemäß HFA 1/1990 (WPg 1990, S. 143 (148)) folgende IKS-Bereiche:
- Zugriffsberechtigungen,
- Datensicherungen,
- Überwachung von außerplanmäßigen Eingriffen,
- Kontrolle der Wirkung von Änderungen,
- stichprobenweise Prüfung der Abläufe,
- Erfassung aller normalen Abläufe im System (z. B. Rückmeldung, Lagerbezug, Ausschuss, Nachbezug, Lohnerfassung, Weitergabemeldungen),
- Überwachungsmaßnahmen bei Ausfall und Wiederanlauf des Systems,
- Festlegung von Routinekontrollen in Abhängigkeit vom Grad der systemimmanenten Zwangsläufigkeiten,
- Prüfungsdokumentation sowie
- Kontrolle der ordnungsmäßigen Verfahrensdokumentation.
Rn. 58a
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Zur Verbesserung der Verbreitung der systemgestützten Werkstattinventur in der Praxis hat der AWV ((2014), S. 15ff.) mögliche Erleichterungen und Lösungsvorschläge vorgestellt, da die strengen Anforderungen nicht immer erfüllt werden können. Hierbei wird auch darauf hingewiesen, dass der unterstützende Einsatz der RFID-Technik in der Fertigung einen Beitrag dazu liefern kann, das "selten erreichte, engmaschige Netz an Rückmeldepunkten zur Harmonisierung des Produktions- mit dem Systemfortschritt" (AWV (2014), S. 27) vollständig zu erreichen (vgl. HdJ, Abt. I/14 (2021), Rn. 203aff.; Bonner-HdR (2020), § 241 HGB, Rn. 51).
Rn. 59
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Auch die Anwendung der systemgestützten Werkstattinventur ist intersubjektiv nachprüfbar zu dokumentieren (vgl. AWV (2014), S. 21ff.). Die entsprechenden Unterlagen sind Bücher i. S. d. HGB (vgl. HdR-E, AktG § 91, Rn. 7ff.). Dabei ergibt sich der Werkstattbestand aus allen am Inventurstichtag vorhandenen Aufträgen mit ihren vorgenannten Mindestangab...