Dr. Eberhard Mayer-Wegelin, Prof. Dr. Harald Kessler
Rn. 90
Stand: EL 05 – ET: 03/2010
Die in Abs. 1 S. 2 Nr. 2 gesondert aufgeführten Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung sind Kulanzleistungen, die der Kaufmann im Interesse seines UN erbringt, ohne dass der Kunde einen Anspruch hierauf hat. Der Leistung liegt keine rechtliche Verpflichtung zugrunde; der Kaufmann geht aber trotzdem aus geschäftlichen Erwägungen auf die Kundenwünsche ein, z. B. wenn die Garantiefrist abgelaufen ist oder ein Mangel i. S. e. vertraglichen Vereinbarung nicht vorliegt. Nicht dazu gehört die Erfüllung von Gewährleistungsansprüchen, die sich kraft Gesetzes (z. B. §§ 459ff. oder 633ff. BGB) oder aus einer darüber hinausgehenden Garantiezusage ergeben; bei diesen handelt es sich um ungewisse Verbindl. i. S. d. Abs. 1 S. 1. Unter die ungewissen Verbindl. fallen ferner alle Kulanzleistungen, bei denen unklar ist, ob nicht doch eine Rechtsgrundlage besteht, der Kaufmann aber zur Vermeidung von Auseinandersetzungen mit dem Kunden dieser Frage nicht nachgeht und das Verfahren stattdessen durch seine Leistung abkürzt. Letztlich zählen zu den ungewissen Verbindl. auch Gewährleistungen aufgrund faktischer Verpflichtungen, bei denen der BFH (so im Urt. v. 20.11.1962, BStBl. III 1963, S. 113f.) früher schon von einer Passivierungspflicht und damit von der steuerrechtl. Anerkennung ausging. Hierzu ist erforderlich, dass der Kaufmann sich der Gewährleistung aus wirtschaftlichen Gründen nicht entziehen kann, insbes. dann, wenn er in der Vergangenheit bereits wiederholt ähnliche Kulanzleistungen erbracht hat. Zu den Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung i. S. d. Abs. 1 S. 2 Nr. 2 sind also nur solche Kulanzleistungen zu rechnen, die der Kaufmann vollkommen freiwillig übernimmt, weil er sich davon geschäftliche Vorteile verspricht. Die Unterscheidung ist jedoch ohne praktische Bedeutung, da für beide Rückstellungszwecke ein Passivierungszwang festgelegt ist und auch ein gesonderter Ausweis entfällt (vgl. HdR-E, HGB § 249, Rn. 74).
Rn. 91
Stand: EL 05 – ET: 03/2010
Andererseits zwingt die generelle Passivierungspflicht dazu, die Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung von Aufwendungen allg. Art abzugrenzen. So liegt eine Gewährleistung nur vor, wenn ein Zusammenhang mit einer früher vom Kaufmann erbrachten Lieferung oder Leistung besteht. Grund für die Kulanzleistungen muss die Behebung eines Mangels sein, und zwar über kostenlose Nacharbeiten bis hin zur Rücknahme einer verkauften Sache, Ersatzlieferung oder Wiederholung der Leistung. Auf die Ursache des Fehlers kommt es dabei nicht an; dieser kann sogar beim Kunden liegen, z. B. wenn dieser vorbringt, vom Kaufmann unzureichend informiert worden zu sein. Dagegen fallen Aufwendungen für ein allg. Gewährleistungsrisiko ohne konkreten Bezug oder für Arbeiten aus reiner Gefälligkeit nicht darunter, ebenso nicht Aufwendungen für spätere verbilligte Reparaturen an den verkauften Sachen, die verschleißbedingt sind. Die Rückstellung für Gewährleistungen ohne rechtliche Verpflichtung muss im Einzelfall gebildet werden, wenn der Kunde Mängel geltend gemacht hat und der Kaufmann erfüllen will; eine dahin gehende ausdrückliche Zusage des Kaufmanns muss nicht vorliegen. Gleiches gilt auch dann, wenn mögliche Garantiefälle weder angezeigt oder auf andere Weise bekannt geworden sind, der Kaufmann aber nach den Erfahrungen der Vergangenheit mit derartigen Leistungen ohne rechtliche Verpflichtung rechnen muss. Die tatsächlichen Verhältnisse der letzten GJ sind somit Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob eine Rückstellung zu bilden ist. Die Passivierungspflicht nach § 249 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 erfordert nach dem Gebot der Vollständigkeit (vgl. § 246 Abs. 1) die Erfassung sämtlicher Kulanzfälle, sofern nicht ein Pauschalbetrag aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre zurückgestellt wird.