Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
Rn. 27
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Es ist strittig, ob der herrschende Gesellschafter in faktischen UN-Verbindungen einem Wettbewerbsverbot unterliegt (vgl. dafür Henze, in: FS Hüffer (2010), S. 309 (318ff.); Henze, ZHR 2011, S. 1 (7f.); Burgard, in: FS Lutter (2000), S. 1033 (1048ff.); KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 7; Armbruster, ZIP 1997, S. 1269 (1271); zurückhaltender Immenga, JZ 1984, S. 578 (579f.); Schneider, BB 1995, S. 365 (367); ablehnend: KK-AktG (2004), Anhang zu § 318, Rn. 8ff.; MünchKomm. AktG (2020), Vorbemerkungen zu § 311, Rn. 51ff.; Hüffer, in: FS Röhricht (2005), S. 251 (257ff.); Vetter, ZGR 2016 (Sonderheft 19), S. 231 (259)). Der BGH hat ein ungeschriebenes Wettbewerbsverbot für die AG (KGaA bzw. SE) jedenfalls dann verneint, wenn die Wettbewerbssituation bereits vor Erwerb der Mehrheitsbeteiligung bestanden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25.06.2008, II ZR 133/07, AG 2008, S. 779 (781)). Für die GmbH & Co. KG bejaht er hingegen ein entsprechendes Verbot (vgl. BGH, Urteil vom 05.12.1983, II ZR 242/82, BGHZ 89, S. 162 (165ff.)). Im Ergebnis ist ein Wettbewerbsverbot anzunehmen. Rechtsgrundlage des Verbots ist die inzwischen für alle Gesellschaftsformen anerkannte Treuepflicht (vgl. für die AG (KGaA bzw. SE) BGH, Urteil vom 20.03.1995, II ZR 205/94, BGHZ 129, S. 136 (142ff.)). Die Bedenken, die gegen eine Inanspruchnahme von Kleinaktionären aufgrund der Treuepflicht bestehen (vgl. Henssler, DZWIR 1995, S. 430 (431f.), m. w. N.), greifen beim herrschenden Mehrheitsgesellschafter nicht. Seine Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft begründet vielmehr eine erhöhte Verantwortlichkeit für deren wirtschaftliches Gedeihen. Stehen abhängige Gesellschaft und MU in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander, so ergeben sich spezifische Gefahren für die außenstehenden Aktionäre, die über die §§ 311ff. AktG nicht hinreichend erfasst werden. Wie die Diskussion um den qualifiziert faktischen Aktienkonzern zeigt (vgl. dazu HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 45ff.), enthalten die §§ 311ff. AktG keine abschließende Regelung des Minderheiten- und Gläubigerschutzes. Der Hinweis auf die Dispositivität der Parallelvorschrift des § 112 AktG (vgl. KK-AktG (2004), Anhang zu § 311, Rn. 8) steht einem Rückgriff auf diese gesetzliche Wertung nicht entgegen, sondern beeinflusst nur die konkrete Ausgestaltung der aus § 242 BGB abzuleitenden Treuepflichten.
Rn. 28
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Im Übrigen folgt die Abdingbarkeit des Wettbewerbsverbots im Aktienrecht aus § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG. So kann die HV die Befreiung des Mehrheitsgesellschafters vom gesetzlichen Wettbewerbsverbot beschließen, bedarf hierfür jedoch der für Satzungsänderungen erforderlichen ¾-Mehrheit (vgl. Burgard, in: FS Lutter (2000), S. 1033 (1050); KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 8; überdies BGH, Urteil vom 16.02.1981, II ZR 168/79, BGHZ 80, S. 69ff.: Befreiung mit einfacher Mehrheit, wenn dies in der Satzung so vorgesehen ist). Der Schutz der Gesellschaft und ihrer Minderheitsaktionäre ist hinreichend durch den Ausschluss des beherrschenden Mehrheitsgesellschafters von der Beschlussfassung gewahrt. Für ihn handelt es sich um eine Beschlussfassung i. S. d. § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG, durch die er von einer Verbindlichkeit gegenüber der abhängigen Gesellschaft befreit wird. Entsprechend den zur GmbH entwickelten Grundsätzen (vgl. BGH, Urteil vom 16.02.1981, II ZR 168/79, BGHZ 80, S. 69ff.) darf die Befreiung außerdem nur erfolgen, wenn sie im Interesse der abhängigen Gesellschaft liegt (vgl. zutreffend Henze, BB 1996, S. 489 (497); KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 8; dagegen: Burgard, in: FS Lutter (2000), S. 1033 (1050)).