Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Hans-Jürgen Kirsch
Rn. 84
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Die Definitionsgrundsätze dienen primär der Rechenschaft durch die Ermittlung eines vergleichbaren Periodenerfolgs. Mit dem JA soll der Totalerfolg eines UN in Periodenerfolge aufgeteilt werden (vgl. Schmalenbach (1953), S. 49f.; Rieger (1959), S. 203ff.; Kosiol (1949), S. 44). Deshalb ist bei der Bilanzierung zu entscheiden:
(1) |
Welche Aus- und Einzahlungen des GJ rechnet man dem Jahr als Aufwand und Ertrag zu? |
(2) |
Welche davor oder danach geleisteten Zahlungen sind ebenfalls als Aufwand und Ertrag des GJ zu erfassen? |
(3) |
Welche der Zahlungen sind in die Bilanz einzustellen (Bilanz als "Kräftespeicher der Unternehmung"; vgl. Schmalenbach (1953), S. 59)? |
Auf diese Fragen geben die Definitionsgrundsätze für den Jahreserfolg Antworten. Allerdings ist hinsichtlich des letztgenannten Aspekts zu beachten, dass die Ansatzgrundsätze für die Bilanz regeln, was unter einem VG bzw. einer Schuld zu verstehen und damit grds. in der Bilanz anzusetzen ist (vgl. HdR-E, Kap. 2, Rn. 89ff.).
Rn. 85
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Das Realisationsprinzip, wonach "Gewinne [...] nur zu berücksichtigen [sind, d.Verf.], wenn sie am Abschlußstichtag realisiert sind" (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 (2. Halbsatz)), ist der erste Pfeiler der periodengerechten Erfolgsermittlung. Die Aufgabe des Realisationsprinzips ist es zum einen, die Erfassung und Ausschüttung unrealisierter Gewinne zu verhindern. Zum anderen soll es sicherstellen, dass Beschaffungsvorgänge erfolgsneutral abgebildet werden. Es legt also fest, mit welchem Wert die VG vom Beginn des Kombinationsprozesses, der Beschaffung, bis zu dessen Ende, dem Absatz, höchstens zu bewerten sind und wann eine UN-Leistung als am Markt abgesetzt anzusehen ist. Das Realisationsprinzip enthält somit zwei Komponenten (vgl. Leffson (1987), S. 247, 252):
(1) |
Das Realisationsprinzip legt fest, dass die angeschafften und die selbst erstellten Güter und Leistungen solange höchstens mit den AHK zu bewerten sind, bis sie den Wertsprung zum Absatzmarkt (vgl. Leffson (1987), S. 247f.) geschafft haben. Diese Festlegung, nach denen die gekauften Bestände auf der Basis ihrer Anschaffungspreise (AK) und die hergestellten Bestände auf der Basis der für die Produktionsfaktoren gezahlten anteiligen Anschaffungspreise (HK) (vgl. Baetge/Uhlig, WiSt 1985, S. 274 (275)) zu bewerten sind, wird als das AHK-Prinzip bezeichnet und ist in § 253 Abs. 1 Satz 1 kodifiziert. Die konkreten Bestandteile der AHK werden in § 255 Abs. 1–3 festgelegt. Sinn des AHK-Prinzips ist es, die Erfolgsneutralität von Beschaffungsvorgängen sicherzustellen. Dies bedeutet nicht nur, dass aus einem Zugang von Beständen keine positiven Erfolgsbeiträge ("Gewinne") resultieren dürfen. Eine auf Rechenschaft ausgerichtete periodengerechte Erfolgsermittlung bedeutet auch, dass ein Zugang von VG auch nicht zu negativen Erfolgsbeiträgen ("Verlusten") führen darf. Denn es darf unterstellt werden, dass der bilanzierende Kaufmann nur solche Güter beschafft, von denen er bei der Beschaffung erwartet, damit keinen Verlust zu erleiden, sondern damit später Gewinne erzielen zu können. Indes sind nach einer zunächst erfolgsneutralen Zugangsbuchung (erster Bewertungsschritt) gemäß dem Zweck der Kap.-Erhaltung dann negative Erfolgsbeiträge zu berücksichtigen, wenn sich z. B. herausstellt, dass durch den Zugang – anders als beim Einkauf erwartet – ein Verlustgeschäft eingeleitet worden ist (zweiter Bewertungsschritt). Die Erfolgsneutralität beim Zugang von VG ist allerdings nach den handelsrechtlichen Vorschriften nicht generell erfüllt, da gemäß § 255 Abs. 2 Satz 3 bestimmte HK-Bestandteile nicht aktivierungspflichtig sind. |
(2) |
Das Realisationsprinzip legt außerdem den Zeitpunkt fest, zu dem Güter und Leistungen des bilanzierenden UN nicht mehr mit den (fortgeführten) AHK zu bewerten sind, und zwar dann, wenn sie den Wertsprung zum Absatzmarkt vollzogen haben (Realisationszeitpunkt). Der konkrete handelsrechtliche Realisationszeitpunkt ist nach allg. anerkannter Regel der Zeitpunkt, zu dem die Lieferung bzw. Leistung bewirkt wurde (vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2021), S. 131; Leffson (1987), S. 265ff.; HdR-E, HGB § 252, Rn. 91; Beck Bil-Komm. (2022), § 252 HGB, Rn. 58; MünchKomm. HGB (2020), § 252, Rn. 60f.) und damit das Eigentum, zumindest das wirtschaftliche Eigentum, übergangen ist (vgl. Bonner HGB-Komm. (2011), § 252, Rn. 189f.). Es reicht also nicht aus, dass allein die Absatzbedingungen vertraglich fixiert sind. Der Käufer trägt ab dem Realisationszeitpunkt die Gefahr eines zufälligen Untergangs oder einer Verschlechterung des Guts (Gefahrenübergang). Zu diesem Realisationszeitpunkt gelten die aus dem Absatzgeschäft resultierenden Erträge in Höhe des Absatzpreises bzw. erzielten Erlöses und ein damit verbundener positiver Erfolgsbeitrag als realisiert. Dies hat zur Folge, dass entsprechend dem erzielten Erlös ein Zahlungsmittel- oder Forderungszugang zu buchen und ein korrespondierender Ertrag zu erfassen sind (vgl. Leffson (1987), S. 247f.). |