Rn. 23
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Das Sonderprüfungsverfahren führt in der Praxis ein Schattendasein. Praktische Fälle, in denen es zu einer Sonderprüfung nach den §§ 258ff. AktG gekommen ist oder in denen die Vorschrift zumindest in Rechtsstreitigkeiten eine Rolle gespielt hat, sind selten (vgl. etwa LG München, Urteil vom 30.12.2010, 5 HKO 21 707/09, BeckRS 2011, 19 893; OLG München, Beschluss vom 03.02.2009, 31 Wx 98/08, AG 2009, S. 672ff.; OLG München, Beschluss vom 20.06.2006, 31 Wx 36/06, ZIP 2006, S. 1538). Die Rechtsfolgen eines erfolgreichen Antrags auf Sonderprüfung und eines für den Antragsteller positiven Verfahrensausgangs sind dergestalt, dass kein unmittelbarer Vorteil für die Minderheitsaktionäre eintritt. Angesichts der Stimmverhältnisse in der HV dürfte ein festgestellter Mehr-Jahresüberschuss nicht zwangsläufig zu einer dementsprechenden Zusatzausschüttung führen. Ein direkter, i. R.e. Kosten-Nutzen-Analyse zu berücksichtigender Anreiz zur Durchführung eines Sonderprüfungsverfahrens besteht somit für Minderheitsaktionäre nicht. Hierin mag ein Grund für das Schattendasein dieses Prüfungsinstruments liegen (vgl. so auch Schimmelbusch, WPg 1972, S. 141ff.). Dieses praktische Hindernis ließe sich nur durch die Regelung eines Ausschüttungszwangs als Folge festgestellter Unterbewertungen beseitigen. Von dieser Rechtsfolge hat der Gesetzgeber aber ausdrücklich aus den o. g. Gründen (vgl. HdR-E, AktG § 258, Rn. 15ff.) abgesehen. Somit entfaltet das Sonderprüfungsrecht seine Wirkung v.a. aufgrund seiner Präventivwirkung (vgl. ADS (1997), § 258 AktG, Rn. 7), denn jede Bewertungsmaßnahme und jede Aussage im Anhang unterliegt neben der JA-Prüfung auch der Kontrollmöglichkeit i. R.e. Sonderprüfungsverfahrens. Das Damoklesschwert der nachgehenden Kontrolle schwebt genau genommen jedoch nicht nur über dem JA und den für dessen Erstellung und Feststellung Verantwortlichen. Letztlich ist auch der AP im Zweifel einer Revision unterworfen (vgl. hierzu insbesondere Voss, in: FS Münstermann (1969), S. 445 (464), mit dem bemerkenswerten Hinweis auf eine mögliche Gefahr einer unkritischen, den AP schonende Haltung des Sonderprüfers; hiergegen sprechen heutzutage die Erfahrungen bei anderen Sonderprüfungen außerhalb der §§ 258ff. AktG, bei denen der Sonderprüfer durchaus sehr kritisch die Arbeit des AP beurteilt hat; vgl. etwa den KPMG-Bericht über die unabhängige Sonderuntersuchung der Wirecard AG vom 27.04.2020, abrufbar unter: https://www.wirecard.com/uploads/Bericht_Sonderpruefung_KPMG.pdf; überdies BT-Drs. 19/24985).
Rn. 24
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Diese faktische Überprüfung des AP durch den Sonderprüfer ist vereinzelt als eine unbillige und nicht wünschenswerte Konsequenz des Sonderprüfungsmechanismus angesehen worden (vgl. etwa Frey, WPg 1966, S. 633 (637); Möhring, NJW 1966, S. 87 (91)). Da der AP jedoch grds. nicht in einem überprüfungsfreien Raum agiert, was sich bereits mittelbar aus den Regeln über die Verantwortlichkeit gemäß § 323 ergibt, ist die ggf. erfolgende Kontrolle des AP durch den Sonderprüfer nicht zu beanstanden (vgl. Claussen, in: FS Barz (1974), S. 317 (322f.)); im Einzelfall ist eine derartige Nachkontrolle sogar notwendig und wünschenswert (hinzuweisen ist dabei bspw. auf
- die Inspektionen der APAS gemäß der §§ 66a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, 62b WPO bei AP, die Prüfungen von PIE gemäß § 316a vornehmen, sowie
- Qualitätskontrollen gemäß der §§ 57aff. WPO bei AP, die gesetzliche AP i. S. v. § 316 durchführen).
Rn. 25
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Mit dem beschriebenen Wirkungsmechanismus kann die Rechtspraxis leben, solange in der deutschen Bilanzierungspraxis nicht gehäuft Unterbewertungen zur gezielten Benachteiligung der Anteilseigner festzustellen sind. Erst dann erscheint es geboten, über ein schärferes Sanktionsinstrument zugunsten der benachteiligten Aktionäre – etwa in Gestalt eines Ausschüttungszwangs – nachzudenken. Gesicherte Erkenntnisse darüber, dass eine derartige systematische Unterbewertungspraxis i. S. v. § 256 Abs. 5 Nr. 2 AktG besteht, liegen jedoch nicht vor.
Rn. 26
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Im Bereich der börsennotierten AG schließlich erschöpft sich die Ausschüttungspolitik ohnehin nicht allein in dem Zufluss einer Dividende bei dem Aktionär, sondern hat wegen des den Börsenkurs bestimmenden Charakters eine weitergehende Funktion. Auch insoweit ist aber die Forderung nach Regelung eines Ausschüttungszwangs als Rechtsfolge der Sonderprüfung nicht geboten, da die Korrektur der Bilanzposten zu den – vorrangig gewünschten – Folgen für den Börsenkurs führen kann. Die Attraktivität einer Aktie und damit die Kap.-Rendite hängen nicht nur von der tatsächlichen Ausschüttung, sondern der Gesamtperformance des UN ab. Hier findet dann auch der Wettbewerb um die Kap.-Anleger statt (vgl. ähnlich MünchKomm. AktG (2021), § 258, Rn. 9).