Prof. Dr. Rolf U. Fülbier, Florian Federsel
Rn. 22
Stand: EL 32 – ET: 06/2021
§ 252 Abs. 2 schafft die Möglichkeit, von den in Abs. 1 aufgeführten Grundsätzen abzuweichen. Abweichungen sind jedoch nur zugelassen, wenn es sich um Ausnahmefälle handelt und wenn diese Fälle begründet sind (vgl. ADS (1995), § 252, Rn. 119). Die Beschränkung auf Ausnahmefälle besagt, dass sie sich nicht ständig wiederholen und zur Regel werden dürfen. Nicht vertretbar ist auch ein ständiges Abweichen von den Bewertungsgrundsätzen des Abs. 1 i. S.e. "Hin und Her". Dies dürfte zudem Abs. 1 Nr. 6 widersprechen. § 252 Abs. 2 geht im Wortlaut auf das BiRiLiG und Art. 31 Abs. 2 der 4. EG-R zurück. In Art. 6 der Bilanz-R fehlt es indes an einer gleichlautenden Abweichungsregel für "begründete Ausnahmefälle". Allerdings ergibt sich aus den allg. Bestimmungen des Art. 4 Abs. 4 der Bilanz-R eine allg. Ausnahmevorschrift (von den Bestimmungen der Bilanz-R), die – mit Begründung – auch auf die in § 252 Abs. 1 aufgeführten Grundsätze anwendbar ist. Dadurch ergeben sich aber möglicherweise Implikationen für eine R-konforme, engere Interpretation des § 252 Abs. 2 (vgl. AKBR, NZG 2014, S. 892 (893f.); AKBR, BB 2014, S. 2731 (2732); Wengerofsky, DB 2015, S. 873ff.), schließlich sind Ausnahmen nach Art. 4 Abs. 4 der Bilanz-R nur vorgesehen, "um sicherzustellen, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens vermittelt wird." Dadurch wird letztlich der schon im BilMoG zum Ausdruck kommenden Stärkung der Informationsfunktion Rechnung getragen, die sich auch in der erneut gestärkten "true and fair view"-Orientierung der Bilanz-R widerspiegelt (vgl. z. B. Zülch/Güth/Stamm, DB 2012, S. 413ff.). Zudem dürfte der Wesentlichkeitsgrundsatz als Ausnahmebegründung für § 252 Abs. 2 taugen, denn Art. 6 Abs. 1 lit. j) der Bilanz-R sieht nunmehr eine Ausnahmeregel bei unwesentlicher Wirkung der Bestimmungen vor (vgl. Wengerofsky, DB 2015, S. 873ff.).
Rn. 23
Stand: EL 32 – ET: 06/2021
Die Begründung von Ausnahmefällen verlangt, dass für das Abweichen von den Bewertungsgrundsätzen Argumente vorliegen, welche die dadurch erfolgende Beeinflussung des JA rechtfertigen (vgl. Förschle/Kropp, ZfB 1986, S. 873 (887)). Hinsichtlich einer R-konformen, engeren Interpretation des Abs. 2 dürfte die Beeinflussung des JA ohnehin nur i. S.e. dadurch gesteigerten "true and fair view" zu verstehen sein (vgl. AKBR, BB 2014, S. 2731 (2732); Wengerofsky, DB 2015, S. 873ff.)). Bei dem Urteil über die Beeinflussung des JA sind allerdings die Angaben im Anhang mit zu berücksichtigen, insbesondere die Angaben nach § 284 Abs. 2 Nr. 2, ggf. auch die Angaben nach § 264 Abs. 2 Satz 2 (vgl. Förschle/Kropp, ZfB 1986, S. 873 (887f.)).
Rn. 24
Stand: EL 32 – ET: 06/2021
Nicht als Anwendungsfälle für Abweichungen i. S. d. § 252 Abs. 2 kommen die Situationen in Betracht, für die spezielle Bewertungsvorschriften maßgebend sind. Diese speziellen Bewertungsvorschriften gehen den allg. Bewertungsgrundsätzen grds. vor (vgl. HdR-E, HGB § 252, Rn. 15f.; Förschle/Kropp, ZfB 1986, S. 873 (884f.)). Das bedeutet, dass die allg. Bewertungsgrundsätze insoweit keine Wirkung entfalten. Demzufolge kann auch die Ausnahmeregelung des § 252 Abs. 2 nicht greifen (vgl. Forster, in: FS v. Wysocki (1985), S. 29 (39f.); a. A. Beck Bil-Komm. (2020), § 252 HGB, Rn. 74, wonach unter Abs. 2 auch "Abweichungen aufgrund gesetzlicher Gestattung" zu subsumieren sind). Trotz dieser formalen Differenzierung wirkt die Priorität der Spezialnorm allerdings im Ergebnis wie die Ausnahmeregel des § 252 Abs. 2: Die allg. Bewertungsgrundsätze des Abs. 1 entfalten keine Wirkung. Voraussetzung für die Anwendung der Prioritätsregel (vgl. HdR-E, HGB § 252, Rn. 16) ist freilich, dass zwischen allg. Bewertungsgrundsätzen und speziellen Bewertungsvorschriften ein sachliches Konkurrenzverhältnis besteht. Dieses Konkurrenzverhältnis kommt in zwei Formen vor:
(1) |
Die speziellen Bewertungsvorschriften verlangen ein Bewertungsverhalten, das allg. Bewertungsgrundsätzen entgegensteht, z. B.
- die Bewertung von VG, die dem Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen sind und ausschließlich der Erfüllung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen oder vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen dienen, nach § 253 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 246 Abs. 2 Satz 2 zum beizulegenden Zeitwert;
- die Bildung von Bewertungseinheiten nach § 254;
- die Währungsumrechnung von VG und Verbindlichkeiten zum Devisenkassamittelkurs am Abschlussstichtag nach § 256a, sofern die Restlaufzeit ein Jahr oder weniger beträgt und
- die Bewertung von Finanzinstrumenten des Handelsbestands bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten zum beizulegenden Zeitwert abzgl. eines Risikoabschlags nach § 340e Abs. 3 Satz 1.
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(2) |
Die speziellen Bewertungsvorschriften eröffnen ein Bewertungswahlrecht, das allg. Bewertungsgrundsätzen entgegensteht, z. B.
- das Wahlrecht zur Anwendung von Bewertungsvereinfachungsverfahren nach § 256;
- das Abwertungswahlrecht nach § 253 Abs. 3 fü...
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