Prof. Dr. Michael Dusemond, Prof. Dr. Sabine Heusinger-Lange
Rn. 106
Stand: EL 34 – ET: 12/2021
§ 274 regelt die Bildung latenter Steuern bei großen und mittelgroßen KapG und diesen gleichgestellten PersG i. S. d. § 264a. Kleine und kleinste KapG sowie diesen gleichgestellte PersG i. S. d. § 264a sind dagegen gemäß § 274a Nr. 4 von den Vorschriften der Steuerabgrenzung befreit. Dementsprechend kann für diese Gesellschaften ein Ausweis der Position "Aktive latente Steuern" (und analog die Position "Passive latente Steuern") entfallen, obwohl auch die verkürzten Bilanzen nach § 266 Abs. 1 Satz 3 bzw. Satz 4 einen Ausweis dieser Position zunächst vorsehen (vgl. Haufe HGB-Komm. (2020), § 266, Rn. 10ff.; Theile, BBK 2013, S. 107 (113)).
Mit der Umsetzung des BilMoG im Jahr 2009 hat das international übliche bilanzorientierte Konzept (temporary differences concept) Eingang in die handelsrechtliche RL (vgl. Loitz, DB 2008, S. 249 (252ff.)) gefunden, und das bislang gesetzlich verankerte GuV-orientierte Konzept (timing differences concept) wurde aufgegeben. Damit orientiert sich die Steuerabgrenzung an Differenzen, die aus unterschiedlichen Wertansätzen in der HB und StB resultieren und voraussichtlich in späteren GJ zu einer Steuerbe- oder -entlastung führen. Eine Orientierung an Differenzen, die aus einer unterschiedlichen Periodisierung von Aufwendungen und Erträgen bei der handelsrechtlichen Ergebnisermittlung im Verhältnis zur steuerlichen Ergebnisermittlung resultieren, erfolgt insofern nicht. Eine sich insgesamt ergebende Steuerbelastung muss als passive latente Steuer in der Bilanz angesetzt werden. Eine sich insgesamt ergebende Steuerentlastung kann dagegen als aktive latente Steuer in der Bilanz angesetzt werden. Für aktive latente Steuern besteht bei Anwendung der Gesamtdifferenzenbetrachtung ein Aktivierungswahlrecht für den Betrag, um den die aktiven latenten Steuern die passiven latenten Steuern übersteigen, wobei ein Ausweis in der Position "Aktive latente Steuern" (§ 266 Abs. 2 D.) zu erfolgen hat. Sich ergebende Steuerbelastungen ebenso wie Steuerentlastungen können gemäß § 274 Abs. 1 auch – wie international üblich – unsaldiert bzw. unverrechnet angesetzt werden.
Nach dem Temporary-Konzept müssen neben den erfolgswirksam entstandenen zeitlichen Differenzen auch erfolgsneutral entstandene Differenzen berücksichtigt werden. Bei diesen hat die Steuerabgrenzung durch eine direkte Verrechnung mit dem EK ebenfalls erfolgsneutral zu erfolgen (vgl. zur ausführlichen Darstellung HdR-E, HGB § 274).
Rn. 107
Stand: EL 34 – ET: 12/2021
§ 274 Abs. 1 Satz 4 sieht vor, auch steuerliche Verlustvorträge (sowie Zinsvorträge und Steuergutschriften; vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 67) in Höhe der innerhalb der nächsten fünf Jahre zu erwartenden Verlustverrechnung bei der Berechnung aktiver latenter Steuern zu berücksichtigen. Zwar handelt es sich dabei um keine Differenzen im eigentlichen Sinne, aber nur durch eine entsprechende Berücksichtigung kann dem Zweck der latenten Steuerabgrenzung Rechnung getragen und eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Darstellung der VFE-Lage im handelsrechtlichen JA erreicht sowie den Informationsinteressen der Abschlussadressaten hinreichend genügt werden (vgl. BR-Drucks. 344/08, S. 145). Dem Vorsichts- und Gläubigerschutzprinzip wird zum einen durch das Aktivierungswahlrecht für sich insgesamt ergebende aktive latente Steuern bei Anwendung der Gesamtdifferenzenbetrachtung und bei einer Aktivierung latenter Steuern zum anderen durch die in § 268 Abs. 8 Satz 2 kodifizierte Ausschüttungssperre in ausreichendem Umfang Rechnung getragen (vgl. BilMoG-HB (2009), Kap. III, S. 57 (74); BilMoG-HB (2009), Kap. XXI, S. 499 (523); HB-BilMoG (2010), Kap. 2/8/3, S. 464ff.).
Rn. 108
Stand: EL 34 – ET: 12/2021
In der Praxis werden des Öfteren die aktiven latenten Steuern höher sein als die passiven. Dadurch wird im JA wegen des Aktivierungswahlrechts für aktive latente Steuern i. R.e. Gesamtdifferenzenbetrachtung letztlich i. d. R. kein Ausweis von latenten Steuern erfolgen. Allerdings ist zu beachten, dass nach § 285 Nr. 29 im Anhang anzugeben ist, "auf welchen Differenzen oder steuerlichen Verlustvorträgen die latenten Steuern beruhen und mit welchen Steuersätzen die Bewertung erfolgt ist". Des Weiteren sind, wenn latente Steuerschulden in der Bilanz angesetzt werden, nach § 285 Nr. 30 im Anhang die latenten Steuersalden am Ende des GJ und die im Laufe des GJ erfolgten Änderungen dieser Salden anzugeben. Insofern sind UN in jedem Fall gefordert, vollumfänglich die aktiven und passiven latenten Steuern zu ermitteln. Auf dieser Grundlage kann dann entschieden werden, ob bei einer Gesamtdifferenzenbetrachtung aktive latente Steuern aktiviert werden oder nicht (vgl. BilMoG-HB (2009), Kap. III, S. 57 (74)). Die für aktive und passive latente Steuern gebildeten Positionen sind nach § 274 Abs. 2 Satz 2 aufzulösen, sobald die Steuerbe- oder -entlastung eintritt oder mit ihr nicht mehr zu rechnen ist.