Prof. Dr. Eberhard Kalbfleisch, Prof. Dr. Sascha Mölls
A. Grundlegendes
Rn. 1
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Wenn die HV einer AG, KGaA bzw. SE über die Verwendung des Bilanzgewinns beschließt, ist sie nach § 174 Abs. 1 Satz 2 AktG an den festgestellten JA gebunden. In dem Gewinnverwendungsbeschluss entscheidet die HV gemäß § 174 Abs. 2 AktG u. a. über die an die Aktionäre auszuschüttenden Beträge, die in die Gewinnrücklage einzustellenden Beträge und einen evtl. Gewinnvortrag. Die Rechtswirkungen des festgestellten JA haben insofern weitreichende Konsequenzen für die Aktionäre, Gläubiger und die Öffentlichkeit.
Die Entscheidung über die Verwendung des Bilanzgewinns ist dabei aber streng zu trennen von dem Verfahren der Feststellung des JA. Während zum Zeitpunkt der Gewinnverwendung durch die HV die Höhe des in dem JA ausgewiesenen Betrags bereits feststeht, betrifft das Verfahren über die Feststellung des JA die vorangehende abschließende Entscheidung über die Höhe des auszuweisenden Bilanzgewinns. Nach der Aufstellung (durch den Vorstand als gesetzlichen Vertreter; vgl. §§ 242, 264) und (ggf.) Prüfung (durch den AP; vgl. §§ 316ff.) des JA hat der AR über den JA zu entscheiden. In dem vom Vorstand vorgelegten JA sind die tatsächlichen Feststellungen über das Gesellschaftsvermögen und die Geschäftsvorfälle aus der Buchhaltung entwickelt und insbesondere bilanzpolitische Ermessensentscheidungen festgehalten. Billigt der AR den vorgelegten JA, so hat dies gemäß § 172 Abs. 1 AktG die Feststellung des JA zur Folge. Wenn Vorstand und AR beschließen, die Feststellung des JA der HV zu überlassen oder wenn der AR den vorgelegten JA nicht billigt, so stellt die HV den JA fest (vgl. § 173 AktG). Darüber hinaus hat die HV über die Feststellung des JA immer dann zu beschließen, wenn die §§ 234 Abs. 2 Satz 1, 235 AktG (Rückwirkung einer Kap.-Herabsetzung bzw. gleichzeitigen Kap.-Erhöhung) oder § 270 Abs. 2 Satz 1 AktG (Feststellung des JA im Falle der Abwicklung) eingreifen. Bei der KGaA hat die Feststellung des JA gemäß § 286 Abs. 1 AktG stets durch die HV zu geschehen.
Wegen der wichtigen Folgen des Feststellungsakts ist leicht einsichtig, dass schwerwiegende Mängel Konsequenzen für den Bestand des festgestellten JA haben müssen. Wann dies der Fall ist und also der Bestand eines festgestellten JA gefährdet ist, ist in § 256 AktG geregelt. § 256 AktG katalogisiert in Anlehnung an die §§ 241ff. AktG die Nichtigkeitsgründe festgestellter JA. Die Regelung erfasst vollständig und abschließend alle Nichtigkeitsgründe, die für den festgestellten JA einer AG, KGaA (vgl. § 278 Abs. 3 AktG) und SE in Betracht kommen. Sinn und Zweck der Norm ist es, eine Einschränkung der Nichtigkeitsgründe für den festgestellten JA vorzunehmen und so der Rechtssicherheit zu dienen. Aus anderen als den in § 256 Abs. 1 bis 5 AktG genannten Gründen kann sich die Nichtigkeit eines festgestellten JA nicht ergeben (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 256, Rn. 1; WP-HB (2021), Rn. B 310ff.; Bonner-HdR (1986), § 256 AktG, Rn. 2f.).
Rn. 2
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Einführung eines Nichtigkeitskatalogs für einen festgestellten GmbH-JA durch Schaffung einer entsprechenden Regelung im GmbHG hatte der RegE zum Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, S. 2355ff.) vorgesehen (vgl. BT-Drs. 10/317, S. 38f.). Der Rechtsausschuss sah die Übernahme der Regelung jedoch als nicht erforderlich an. Es sollte der Rspr. überlassen bleiben, in Anlehnung an § 256 AktG Grundsätze zu entwickeln, in welchen Fällen der JA einer GmbH nichtig ist (vgl. BT-Drs. 10/4268, S. 130f). Eine analoge Anwendung des § 256 AktG auf JA einer GmbH kommt aber weitgehend in Betracht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 17.04.1991, 8 U 173/90, AG 1992, S. 233 (234); Baumbach/Hueck (2022), § 42a GmbHG, Rn. 24; GmbHG-Großkomm. (2020), Anhang zu § 47, Rn. 68; Scholz-GmbHG (2021), § 46, Rn. 35f.).
Rn. 3
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
§ 256 AktG ist seinem Wortlaut gemäß nur anwendbar auf einen festgestellten JA. Durch die Bezugnahme auf das Verfahren der §§ 172ff. AktG erschließt sich der Anwendungsbereich der Norm. So können Konzern-JA nicht nichtig sein. KA sind zwar gemäß § 171 Abs. 1 Satz 1 AktG vom AR des MU zu prüfen, in Ermangelung einer rechtsgeschäftlichen Basis, wie es dem Verfahren nach § 172 AktG aufgrund der Billigung des JA durch den AR immanent ist, ist der KA aber nicht feststellungsfähig (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 256, Rn. 3). Die Nichtigkeitsfolge des § 256 AktG umfasst den nach § 172 AktG erforderlichen gesamten korporationsrechtlichen Akt der Feststellung, also den Beschluss des Vorstands, den Abschluss in dieser Form zu billigen und ihn dem AR zuzuleiten, sowie den Billigungsbeschluss des AR (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.1993, II ZR 235/92, BGHZ 124, S. 111 (116f.); Hüffer-AktG (2022), § 256, Rn. 3; Kropff, ZGR 1994, S. 628 (633ff.)).
Rn. 4
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Infolge des BiRiLiG hat § 256 AktG weitgehend angepasste Änderungen erfahren. Durch die Umsetzung der sog. Bankbilanz-R 86/635/EWG vom 08.12.1986 (ABl. EG, L 372/1ff. vom 31.12.1986) im Zuge d...