Tz. 216
Eine zentrale Funktion des Jahresabschlusses besteht darin, die Grundlage für die Bemessung des ausschüttbaren Jahresgewinns zu liefern (Ausschüttungsbemessungs- bzw. -begrenzungsfunktion). Das gilt besonders für jene Gesellschaftsformen, bei denen die Gewinnausschüttung auf der Grundlage des ermittelten Jahresergebnisses vorgenommen wird. Diese Ausschüttungsbegrenzungsfunktion der Rechnungslegung ist untrennbar mit dem deutschen Konzept der Kapitalgesellschaft und insbesondere mit dem gesetzlich zwingend vorgegebenen Konzept des Gläubigerschutzes durch Kapitalerhaltung verbunden. Ausschüttbar ist danach grundsätzlich nur der Bilanzgewinn, der nach den handelsrechtlichen GoB ermittelt wird. Das in der Bilanz ausgewiesene Ergebnis wird unter Beachtung des Realisations-, des Imparitäts-, Niederstwert- und Höchstwertprinzips ermittelt. Ebenso wird die Ergebnisermittlung bestimmt durch das Vorsichtsprinzip (§ 252 Abs. 1 und Abs. 4 HGB), das Anschaffungskostenprinzip (§ 253 Abs. 1 HGB) und das Verbot des Ausweises selbstgeschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens (§ 248 Abs. 2 HGB). Das so ermittelte Ergebnis stellt sich als eine objektivierte, vorsichtig bemessene und umsatzbezogene Größe dar, die unter Beachtung des Gläubigerschutzprinzips an die Anteilseigner ausgeschüttet werden kann. Die Objektivierung des Ergebnisses zeigt sich vor allem in den Ansatz und Bewertungsvorschriften sowie im Einzelbewertungsgrundsatz. Der auf dieser Grundlage ermittelte Gewinn stellt sich im Abschluss als Überschuss der Aktiva (Vermögensgegenstände) über die Passiva (Eigen- und Fremdkapital) dar. Das so ermittelte Vermögen kann als Gewinn ausgeschüttet werden, ohne dass die Interessen der Fremdkapitalgeber davon berührt werden. Denn das von ihnen dem Unternehmen überlassene Kapital wird durch das bilanzielle Vermögen vollständig abgebildet, sodass dem Unternehmen die Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit ermöglicht wird.
Tz. 217
Ergänzend zu diesen Bewertungsregeln sieht das Bilanzrecht in § 268 Abs. 8 HGB Ausschüttungssperren vor, darunter solche für den Betrag aktivierter selbstgeschaffener immaterieller Vermögensgegenstände des Anlagevermögens abzüglich der auf diesen Betrag gebildeten passiven latenten Steuern (§ 268 Abs. 8 Satz 1 HGB), für den Betrag, um den die angesetzten aktiven latenten Steuern die passiven latenten Steuern übersteigen (§ 268 Abs. 8 Satz 2 HGB) sowie für den aktivierten Unterschiedsbetrag aus der Vermögensverrechnung nach § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB abzüglich der hierfür gebildeten passiven latenten Steuern (§ 268 Abs. 8 Satz 3 HGB). Ausschüttungsbegrenzende Vorschriften des AktG (§§ 57 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 58 Abs. 2 und Abs. 2a, 150 Abs. 2, 256 Abs. 5 AktG) treten hinzu.
Tz. 218
Allerdings kommt dem Jahresabschluss auch die Funktion zu, im Interesse der Minderheitsgesellschafter eine Mindestausschüttung zu gewährleisten. Die Minderheitsgesellschafter sollen vor "Aushungerung" bzw. Dividendenverkürzung geschützt werden. Im HGB finden sich insoweit Regelungen zur Festlegung von Wertuntergrenzen durch das Wertaufhellungsgebot, zur Einschränkung der Bildung von Aufwandsrückstellungen und zur Beschränkung der allein steuerrechtlich begründeten Abschreibungen. Ergänzende Vorschriften finden sich wiederum im AktG (§§ 58, 254 Abs. 1 AktG) und im GmbHG (§ 29 Abs. 4 GmbHG).