Tz. 222
Formal besteht ein erster Unterschied in der Rechtsqualität der maßgeblichen Regelungen: Die HGB-Rechnungslegungsgrundsätze sind gesetzlicher Natur, die internationalen Standards werden vom IASB als einem privaten Gremium geschaffen. Darin liegt zunächst ein verfassungsrechtliches Problem, denn über den Maßgeblichkeitsgrundsatz des § 5 EStG erlangt ein privates ausländisches Gremium im Bereich der Eingriffsgesetzgebung Quasi-Gesetzgebungsmacht. Eine verfassungsrechtlich bedenkliche Verweisung auf ausländisches Recht liegt darin allerdings nicht. Dieses Problem wird indes dadurch entschärft, dass die Standards im deutschen Recht nur über den Weg der Transformation durch die EU im Rahmen des Endorsement-Verfahrens Geltung erlangen.
Tz. 223
Hauptziel des HGB-Einzelabschlusses ist die Gewinnermittlung als Grundlage der Ausschüttungs- und der Steuerbemessung. Mit dem Ziel der Bemessung wird zugleich eine Ausschüttungsbegrenzung zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger angestrebt. Bilanzrecht hat nach diesem Verständnis die gesellschaftsrechtliche Funktion, den unbedenklich ausschüttbaren Gewinn zu ermitteln. Insgesamt wird versucht, einen Ausgleich der Interessen der unterschiedlichen Beteiligten zu erreichen. Hingegen dient der nach den internationalen Standards erstellte Jahresabschluss ausschließlich der Informationsvermittlung. Bilanzierung liefert danach Angaben, die für die Anlageentscheidung nützlich sind (decision usefulness). Dafür benötigt der Anleger realitätsnahe Aussagen über die Vermögens- und Finanzlage, die Ertragskraft und über die Cashflows des Unternehmens, IAS 1. 5. Der Abschluss wendet sich an folgende aktuelle und potentielle Adressaten: Investoren, Arbeitnehmer, Kreditgeber, Lieferanten und andere Gläubiger, Kunden, Regierungen und ihre Institutionen sowie die Öffentlichkeit, F. 9.
Tz. 224
Sodann gilt für das Verhältnis des HGB-Bilanzrechts zu den IFRS, was bereits für das Verhältnis des rule zum principles based approach (vgl. Tz. 51 f.) ausgeführt wurde: Das HGB-Bilanzrecht gehört der kontinentalen Kodifikationskultur an (code law). Es handelt sich um juristisch relativ exakt und zugleich weit gefasste Regeln, die für eine Vielzahl von Sachverhalten geeignet sind und eine Auslegung erlauben bzw. erforderlich machen. Die Standards hingegen kommen aus der Kultur des Fallrechts (case law). Sie sind einzelfallbezogen und bilden ein detailliertes Regelwerk, das für spezifische, in der Praxis bereits aufgetretene Probleme Lösungen bietet, bei der Beantwortung neuer Fragen aber nicht selten wenig Orientierung gibt.
Tz. 225
Das HGB-Bilanzrecht wird durch die GoB konkretisiert bzw. ergänzt. Sonderregelungen finden sich in zahlreichen Gesetzen vor allem des Gesellschaftsrechts sowie in den DRS. Eine direkt den deutschen GoB vergleichbare Rechtsquelle gibt es bei den IFRS nicht. Aber wichtige Grundsätze, die zu den GoB gehören, sind in den Standards, insbesondere in IAS 1 und in IAS 8 sowie im (allerdings nicht verbindlichen) Framework geregelt. Hinzu treten die (verbindlichen) Interpretationen (SIC, IFRIC).
Tz. 226
Die HGB-Bilanz ist gem. § 5 Abs. 1 EStG zugleich maßgeblich für die steuerliche Gewinnermittlung, wenngleich dieser Maßgeblichkeitsgrundsatz durch das BilMoG 2009 vielfach durchbrochen wurde. Hingegen wurde der Grundsatz der sog. umgekehrten Maßgeblichkeit, etwa in Gestalt der Option zur Übernahme rein steuerlich motivierter erhöhter Absetzungen in Gestalt steuerlicher Mehrabschreibungen (§ 254 HGB) oder in Gestalt des Ausweises eines Sonderpostens mit Rücklageanteil (§§ 247 Abs. 3, 279, 281 HGB) durch das BilMoG 2009 aufgehoben. Demgegenüber ist der Abschluss nach den Standards losgelöst von nationalen Vorschriften und mithin für die Besteuerung unmaßgeblich. Es herrscht strikte Trennung. Die Übernahme rein steuerlich beeinflusster Werte in einen Abschluss nach internationalen Standards ist ausgeschlossen.
Tz. 227
Zu den Bestandteilen des Jahresabschlusses gehören für den Einzelabschluss nach HGB die Bilanz, die GuV, der Anhang und der Lagebericht. Beim Konzernabschluss treten die Kapitalflussrechnung, der Eigenkapitalspiegel und wahlweise der Segmentbericht hinzu. Die IFRS differenzieren hingegen nicht zwischen Einzel- und Konzernabschluss. Der Abschluss besteht aus der Bilanz, der Gesamtergebnisrechnung, der Eigenkapitalveränderungsrechnung, dem Anhang (mit der Darstellung der Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden sowie weiteren Anhangangaben und gegebenenfalls der Segmentberichterstattung) sowie der Kapitalflussrechnung