Dr. Falk Mylich, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 186
§ 268 Abs. 1 HGB ergänzt § 266 HGB, weil diese Vorschrift in Abs. 3 A IV, V nur die Möglichkeit vorsieht, den Jahresgewinn bzw. Jahresverlust als solchen, ergänzt um einen Gewinnvortrag oder Verlustvortrag anzusetzen. § 268 Abs. 1 HGB eröffnet die Möglichkeit, bereits die Verwendung des Jahresergebnisses bei der Bilanzaufstellung zu berücksichtigen. Dieses Wahlrecht kann unabhängig von der Darstellung in der GuV (vgl. § 275 Abs. 4 HGB) ausgeübt werden.
Tz. 187
Der Begriff Ergebnisverwendung ist nicht definiert. Grundsätzlich fallen darunter alle Vorgänge, die vom Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag zu einem Bilanzgewinn/Bilanzverlust führen. Weil § 268 Abs. 1 HGB auf die Aufstellung des Jahresabschlusses Bezug nimmt, sind Maßnahmen der Ergebnisverwendung nicht erfasst, die nach Feststellung des Jahresabschlusses geschehen; dazu gehört insbesondere die Entscheidung der Hauptversammlung über den (verbleibenden) Bilanzgewinn (s. § 174 AktG). Zwingende Maßnahmen, die vom Ergebnis abhängen, wie Bedienung der Gewinnansprüche von Genussrechtsgläubigern oder stillen Gesellschaftern sind ebenso wenig erfasst. Weitere Einschränkungen finden sich bei Sachverhalten, in denen die Gewinnverwendung bereits vollzogen bzw. kraft Gesetzes zwingend vorgegeben ist. Dazu gehören die Berücksichtigung von Vorabausschüttungen oder die kraft Gesetzes (§ 150 Abs. 1, Abs. 2 AktG) oder Satzung zwingend notwendige Einstellung in Rücklagen. Keine Berührung mit § 268 Abs. 1 HGB weist die Rücklagenbildung gem. § 272 Abs. 4 HGB auf. Sie geschieht ohne Ausweis eines Bilanzgewinns durch Umbuchung. Das gilt auch für die Rücklage gem. § 272 Abs. 5 HGB.
Tz. 188
Unter § 268 Abs. 1 HGB sind somit nur die Fälle zu fassen, in denen das zur Aufstellung verpflichtete Geschäftsleitungsorgan durch Satzung oder Gesetz (§ 58 Abs. 2 AktG) zur Rücklagedotierung ermächtigt ist. Eine Weisung der Gesellschaftermehrheit fällt auch darunter. Deshalb unterfällt das Ergebnis der abhängigen Gesellschaft trotz eines Gewinnabführungsvertrags § 268 Abs. 1 HGB. Es besteht gerade keine Pflicht, den Jahresgewinn vollständig abzuführen oder auszugleichen; vielmehr lassen §§ 301, 302 AktG auch die Rücklagenbildung bzw. die Auflösung einer innervertraglichen Rücklage zu, wenn das herrschende Unternehmen eine entsprechende Entscheidung trifft bzw. Weisung gibt. Daher ist diese Konstellation weder der Ergebnisermittlung noch der gebundenen Ergebnisverwendung zu unterwerfen, sondern § 268 Abs. 1 HGB ist anwendbar.
Tz. 189
Was unter "Ergebnisverwendung" zu verstehen ist, ist umstritten. Nach wohl herrschender Auffassung sollen alle Überleitungen vom Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag auf den Bilanzgewinn bzw. Bilanzverlust erfasst sein. Die Gegenansicht will nur solche Maßnahmen darunter fassen, die sich auf die Verwendung des Jahresergebnisses beziehen. Das führt zu folgenden Unterschieden: Nach Auffassung der Gegenansicht sind nur solche Maßnahmen zu beachten, die nach Gesetz oder Satzung bei der Aufstellung des Jahresabschlusses angewendet werden müssen. Insbesondere die Auflösung von Rücklagen zur Schaffung oder Erhöhung eines Bilanzgewinns kann dann nicht darunter fallen, weil die Auflösung von Rücklagen zur Feststellung des Jahresabschlusses gehört. Für die Gegenauffassung spricht, dass sie zwischen Ergebnisverwendung und Rücklagenauflösung unterscheidet und das von § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB gewünschte Ziel – Ausweis eines Bilanzgewinns- oder Bilanzverlustes – auch über § 270 Abs. 2 HGB erreicht.
Tz. 190
Wie sich der Bilanzgewinn bzw. Bilanzverlust errechnet, ergibt sich aus § 158 AktG. Der dort in § 158 Abs. 1 Nr. 5 AktG genannte Bilanzgewinn bzw. Bilanzverlust ist kein "echter" Posten, sondern das Rechenergebnis. Durch das Wahlrecht von § 268 Abs. 1 HGB ggf. eintretende Informationsdefizite werden nach § 275 Abs. 4 HGB, § 158 AktG ausgeglichen. Allerdings bleibt ein Informationsdefizit bei einer kleinen Kapitalgesellschaft bestehen, weil die GuV nicht offenlegungspflichtig ist (vgl. § 326 Abs. 2 Satz 1 HGB). Für die GmbH fehlt eine § 158 AktG vergleichbare Regelung.
Tz. 191
§ 268 Abs. 1 Satz 1 HGB lässt die teilweise, aber auch die vollständige Ergebnisverwendung zu. Bei teilweiser Ergebnisverwendung entscheiden Vorstand und Aufsichtsrat über die Verwendung eines bestimmten Ergebnisteils (§ 58 Abs. 2, § 150 Abs. 2 AktG), während die Hauptversammlung über den Rest entscheidet. Ein Fall der vollständigen Ergebnisverwendung liegt vor, wenn das herrschende Unternehmen anweist, den gesamten Jahresüberschuss in Gewinnrücklagen einzustellen. Ebenso liegt eine vollständige Ergebnisverwendung vor, wenn der Jahresfehlbetrag z. B. durch Verrechnung mit Rücklagen eliminiert ist. Im Zusammenhang mit § 268 Abs. 1 HGB ist § 270 HGB zu beachten. Kein Wahlrecht besteht gem. § 270 Abs. 1 HGB hinsichtlich der Einstellung und Auflösung von Kapitalrücklagen. § 270 Abs. 2 HGB ergänzt § 268 Abs. 1 HGB.