Dipl.-Oec. Andrea Bruckner, Dr. Niklas Homfeldt
Tz. 119
Nach den Bestimmungen des § 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB ist ein Wirtschaftsprüfer von der Prüfung eines Unternehmens von öffentlichem Interesse ausgeschlossen, wenn er in dem zu prüfenden Geschäftsjahr neben der Prüfungstätigkeit über das Aufzeigen von Gestaltungsalternativen hinausgehende und sich auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in dem zu prüfenden Jahresabschluss unmittelbar und nicht nur unwesentlich auswirkende Rechts- oder Steuerberatungsleistungen erbracht hat.
In Übereinstimmung zu § 319 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 HGB soll diese Vorschrift Selbstprüfungen verhindern. Laut Gesetzesbegründung ist die Erbringung von Rechts- und Steuerberatungsdienstleistungen durch den Abschlussprüfer bei Unternehmen von öffentlichem Interesse im weitaus überwiegenden Umfang gestattet. Dabei ist der Abschlussprüfer zur Beachtung der Grenzen seiner funktionalen Zuständigkeit angehalten. So ist insbesondere zu beachten, dass er bei seiner Beratungstätigkeit keine unternehmerischen Entscheidungen treffen darf. Stattdessen hat er sich auf das Aufzeigen von Handlungsalternativen zu beschränken.
Tz. 120
Unter Rechts- und Steuerberatung sind sämtliche dem Geltungsbereich des Rechtsdienstleistungs- und Steuerberatungsgesetzes unterliegenden Beratungsleistungen zu verstehen. Für die Feststellung einer evtl. gegebenen Besorgnis der Befangenheit i. S. d. § 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB sind ausschließlich die in dem zu prüfenden Geschäftsjahr erbrachten Beratungsleistungen von Relevanz. In früheren Jahren erbrachte Beratungsleistungen können jedoch – zumindest in Ausnahmefällen – eine Besorgnis der Befangenheit unter dem Aspekt der Selbstprüfung (vgl. § 319 Abs. 2 HGB) begründen.
Nur wenn Rechts- und Steuerberatungsdienstleistungen außerhalb der Prüfungstätigkeit erbracht wurden, können diese schädlich sein. Generell muss es sich somit um eigenständige Beratungsaufträge handeln, im Zuge derer der Abschlussprüfer selbst gestaltend tätig ist und es letztlich zu einer Lieferung eines Produkts an den Mandanten kommt.
Rechts- und Steuerberatungsdienstleistungen müssen über das bloße Aufzeigen von Gestaltungsalternativen hinausgehen. Die Regelung greift gem. Gesetzesbegründung ausschließlich dann, sofern der Abschlussprüfer tatsächlich Vorschläge bzw. Handlungsempfehlungen gibt und sich nicht auf Hinweise zu bestehenden Rechtslagen bei speziellen Sachverhalten beschränkt, die ein Handeln der Geschäftsleitung nahelegen bzw. es – zur Erzielung von Vorteilen – erfordern.
Tz. 121
Sofern in dem zu prüfenden Geschäftsjahr außerhalb der Prüfungstätigkeit durchgeführte und über das Aufzeigen von Gestaltungsalternativen hinausgehende Tätigkeiten vorliegen, ist eine Beurteilung erforderlich, ob diese Tätigkeiten Auswirkungen auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des zu prüfenden Jahresabschlusses haben. Nur wenn dies bejaht werden kann, ist ein Risiko für einen Verstoß gegen das Selbstprüfungsverbot vorhanden. Sofern diese Voraussetzungen gegeben sind, ist im nächsten Schritt festzustellen, ob sich die Auswirkungen unmittelbar und nicht nur unwesentlich auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in dem zu prüfenden Jahresabschluss auswirken. Wesentlichkeit ist üblicherweise gegeben, sofern die Auswirkungen Relevanz für die Entscheidungen des Abschlussadressaten haben.
Tz. 122
In Abhängigkeit von einzelfallbezogenen Verhältnissen dürfte sich aus den nachfolgend genannten steuerlichen Beratungsleistungen üblicherweise keine Besorgnis der Befangenheit ergeben:
- Anfertigung von Steuererklärungen
- Beratung bei bereits umgesetzten Sachverhalten (etwa in Betriebsprüfungen oder Einspruchsverfahren)
- Beratung bei steuerrechtlichen Fragen in Form von Auskünften zu geplanten Maßnahmen des Mandanten
- Stellungnahmen zu von anderen Beratern entwickelten Steuermodellen
- Beratung bei Umsatzsteuerfragen mit dem Schwerpunkt der Erfüllung bzw. Optimierung steuerrechtlicher Verpflichtungen
- mit dem Kauf bzw. Verkauf von Unternehmen einhergehende steuerrechtliche Due-Diligence-Aufträge
- Vertretung des Mandanten im Rahmen von Betriebsprüfungen oder bei außergerichtlichen bzw. gerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren
Die Vorschrift § 319a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB wurde im Rahmen der Ausübung der Mitgliedstaatenwahlrechte der EU-Verordnung in § 319a Abs. 1 Nr. 2 HGB-E i. d. F. d. AREG neu gefasst. Der deutsche Gesetzgeber hat von dem Mitgliedstaatenwahlrecht zur Zulassung von Steuerberatungsleistungen unter Berücksichtigung zusätzlicher Überlegungen zur sog. "aggressiven" Steuerplanung Gebrauch gemacht.
Art. 5 Abs. 3 EU-VO lässt bestimmte Steuerberatungsleistungen unter der Bedingung, dass die Leistungen alleine oder kumuliert keine direkten oder nur unwesentlichen Auswirkungen auf die geprüften Abschlüsse haben, eine diesbezügliche Berichterstattung in dem Bericht an den Prüfungsausschuss gem. Art. 11 EU-VO erfolgt und die Grundsätze der Unabhängigkeit gem. der Abschlussprüfungsrichtlinie 200...