Tz. 102
Je nach dem Zweck der Bilanz sind nach Aufbau und Inhalt verschiedene Bilanzarten zu unterscheiden. Die wichtigste Unterscheidung betrifft die Handelsbilanz und die Steuerbilanz (vgl. Kapitel 1 Tz. 4). Die Handelsbilanz des Einzelabschlusses ist die Bilanz nach dem HGB (§ 242 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 266 HGB). Ihr Zweck liegt vor allem in der Information und der Ausschüttungsbemessung (vgl. Kapitel 1 Tz. 210 ff.). Die Steuerbilanz ist die von der Finanzbehörde als Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung anerkannte Bilanz; das ist i. d. R. die Handelsbilanz mit gewissen Abweichungen (Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz, § 5 Abs. 1 EStG, einengend aber der BFH in ständiger Rechtsprechung). Der Maßgeblichkeitsgrundsatz wurde im Laufe der Zeit allerdings stark eingeschränkt. Der BFH spricht insoweit von der "originären steuerrechtlichen Auslegung" des Handelsbilanzrechts. Auf Dauer lässt sich der Maßgeblichkeitsgrundsatz international nicht mehr halten, die umgekehrte Maßgeblichkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EStG) wurde bereits zunächst durch die Rechtsprechung in ihrer Wirkung eingeschränkt und sodann durch das BilMoG 2009 aufgegeben. Ob künftig die IFRS Maßgeblichkeit für die Steuerbilanz erlangen können, erscheint ungewiss. Die gesetzliche Begrenzung der Maßgeblichkeit der GoB für steuerliche Gewinnermittlung entspringt nicht zuletzt verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Tz. 103
Der Grundsatz der umgekehrten Maßgeblichkeit der Steuerbilanz für die Handelsbilanz, wenn nämlich die steuerrechtliche Anerkennung etwa einer Steuervergünstigung davon abhängt, dass von ihr auch in der Handelsbilanz Gebrauch gemacht ist, wurde mit der Änderung des § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG und der damit im Zusammenhang stehenden Normen des HGB (§§ 247 Abs. 3, 254, 273, 279 Abs. 2, 280 Abs. 2, 281 Abs. 1 Satz 1) durch das BilMoG 2009 aufgegeben. Denn die Handelsbilanz wurde durch den Grundsatz der umgekehrten Maßgeblichkeit verfälscht, was zum Teil auch als europarechtswidrig eingestuft wurde.
Die Divergenzen zwischen Handels- und Steuerbilanz nach Ob (Ansatz) und Wie (Bewertung) der Bilanzierung sind erheblich. Handelsbilanz und Steuerbilanz können getrennt erstellt werden, so bei größeren Unternehmen. Hier ergibt sich der Aufwand der Erstellung zweier Rechenwerke oftmals schon durch die Anforderung, neben dem HGB-Einzelabschluss einen IFRS-Konzernabschluss zu erstellen oder aber freiwillig auch nach IFRS einen Einzelabschluss zu erstellen. Denkbar ist ferner, dass die alleinige Handelsbilanz schon die steuerlichen Vorschriften berücksichtigt (sogenannte Einheitsbilanz), etwa im Fall der Satzungsklausel "Bilanzierung muss nach Steuerrecht erfolgen". Eine solche Einheitsbilanzklausel im Gesellschaftsvertrag ist allerdings nur als Anpassungsregel zulässig. Die Satzung kann nicht die Handelsbilanz allgemein durch die Steuerbilanz ersetzen. Das folgt aus der Rechtsnatur des Bilanzrechts als Privatrecht (vgl. Kapitel 1 Tz. 178 ff.). Die Bildung der Einheitsbilanz ist nur unter dem Vorbehalt des zwingenden Handelsrechts zulässig, ansonsten tritt Teilnichtigkeit ein. Eine Änderung von Jahresabschlüssen zur Anpassung an die Steuerbilanz ist zulässig, soweit diese Änderung durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt ist. Erforderliche ist dann die erneute Aufstellung, Prüfung und Verabschiedung. Voraussetzung ist außerdem, dass Dritte, in deren Recht eingegriffen würde, etwa bei der Handelsgesellschaft die Gesellschafter mit entsprechenden Gewinn-Auszahlungsansprüchen, mit der Änderung einverstanden sind. Die Möglichkeit der Einheitsbilanz besteht auch nach dem Inkrafttreten des BilMoG 2009 fort, hat aber geringere Bedeutung, da der Berücksichtigung steuerrechtlicher Vorschriften häufig handelsrechtliche Aktivierungspflichten entgegenstehen.
Tz. 104
Außer der Handelsbilanz und der Steuerbilanz gibt es zahlreiche weitere Bilanzarten. Sie unterscheiden sich
- nach der Zeit (Eröffnungsbilanz und Schlussbilanz, § 242 Abs. 1 HGB),
- nach der abgebildete Periode (Jahresbilanz, Halbjahres- oder Zwischenbilanz, Quartalsbilanz),
- nach dem Bilanzierungsanlass (Abschlussbilanz bzw. Jahresabschluss sowie Sonderbilanzen, etwa aus Anlass der Gründung, der Umwandlung, der Auseinandersetzung, der Sanierung oder der Insolvenz, der Ermittlung der Vorbelastungshaftung bei der GmbH oder der Liquidation),
- nach den einbezogenen Unternehmen (Einzel-, Konzernbilanz, § 290 HGB),
- nach der Rechtsgrundlage (Handels- und Steuerbilanz, Bilanzen für Unternehmen verschiedener Rechtsformen (Einzelkaufmann, Personengesellschaft, KapGes, Genossenschaft),
- nach der Branche (Bankbilanz gem. §§ 340 ff. HGB, Versicherungsbilanz gem. §§ 341 ff. HGB).