Prof. Dr. Heribert Anzinger, Prof. Dr. Nadine Antonakopoulos
Tz. 113
Bilanzstichtag ist der Schluss des Geschäftsjahrs (§ 242 Abs. 2, 3 HGB). Das Geschäftsjahr kann kürzer, aber nicht langer als zwölf Monate sein (§ 240 Abs. 2 Satz 2 HGB). Es muss nicht mit dem Kalenderjahr übereinstimmen. Der Kaufmann wählt den Bilanzstichtag durch die erste Schlussbilanz, wenn er nicht durch Gesellschaftsvertrag oder Satzung bestimmt ist. Dabei kann insbesondere das erste Geschäftsjahr als Rumpfgeschäftsjahr kürzer als ein Kalenderjahr sein, ohne dessen regelmäßige Dauer zu bestimmen. Die regelmäßige Dauer des Geschäftsjahrs legt der Einzelkaufmann mit der zweiten Schlussbilanz fest. Mit dem Arbeitsbegriff "Geschäftsjahr" hat sich die Verkehrserwartung entwickelt, dass ein Geschäftsjahr regelmäßig nicht weniger als ein Jahr beträgt. Danach verbietet sich ein willkürlich dauerhaft kürzerer Geschäftsjahreszeitraum. Bei Personenhandels- und Kapitalgesellschaften muss ein vom Kalenderjahr abweichendes Geschäftsjahr im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung geregelt sein. Spätere Änderungen muss der Kaufmann vor dem Grundsatz der Stetigkeit und der Bilanzklarheit rechtfertigen. Bei Personenhandels- und Kapitalgesellschaften ist dies voraussetzend eine Änderung des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung erforderlich, wenn die Bestimmung des Geschäftsjahrs nicht der Geschäftsführung übertragen ist.
BEISPIEL
Ein Rumpfgeschäftsjahr darf und muss gebildet werden, wenn das Handelsgeschäft vor dem Ende des regelmäßigen Geschäftsjahrs beendet wird.
Die Vorschrift des § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, nach der eine Umstellung des Wirtschaftsjahres auf einen vom Kalenderjahr abweichenden Zeitraum steuerlich nur wirksam ist, wenn sie im Einvernehmen mit dem Finanzamt vorgenommen wird, ist für die Handelsbilanz ohne Bedeutung. Wird das Geschäftsjahr umgestellt, ohne das Einvernehmen des Finanzamts einzuholen, können Geschäftsjahr und Wirtschaftsjahr auseinanderfallen. Dann ist für den steuerlichen Betriebsvermögensvergleich eine gesonderte Bilanz nach den GoB aufzustellen.
Tz. 114
Nach dem Stichtagsprinzip sind im Jahresabschluss nur die Geschäftsvorfälle bis zum Bilanzstichtag zu berücksichtigen. Maßgebend sind die am Bilanzstichtag vorliegenden Verhältnisse, soweit ein sorgfältiger Kaufmann sie kennen konnte. Vermögensgegenstände und Schulden sind nach den Verhältnissen am Stichtag zu bewerten. Alle bewertungsrelevanten Umstände, die zum Stichtag vorlagen, sind bei der Aufstellung des Jahresabschlusses zu berücksichtigen. Geschäftsvorfälle nach dem Bilanzstichtag sind nicht zu berücksichtigen, auch wenn sie sich auf die Bewertung der Bilanzposten auswirken. Davon gibt es seit BilMoG keine Ausnahme mehr. Das Stichtagsprinzip findet in § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB Ausdruck im Gesetz und bildet die Grundlage für das Realisations- und Imparitätsprinzip.
Tz. 115
Wertaufhellende Tatsachen bezeichnen neue Erkenntnisse des Kaufmanns über die Verhältnisse am Bilanzstichtag. Sie bilden eine eng begrenzte Ausnahme von dem Grundsatz, dass Ereignisse nach dem Bilanzstichtag nicht zu berücksichtigen sind. Das findet in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB im Gesetz Ausdruck. Alle bis zur Aufstellung noch bekannt werdenden wertaufhellenden Tatsachen muss der Kaufmann in der Bilanz einbeziehen. Das gilt unabhängig davon, ob der Kaufmann diese Umstände bei angemessener Sorgfalt am Bilanzstichtag hätte wissen können. Beim Einzelkaufmann reicht der Wertaufhellungszeitraum bis zu dem Tag, an dem er den Jahresabschluss unterschreibt. Das ergibt sich aus dem Zweck der nach § 245 Satz 1 HGB für die Unterzeichnung vorgeschriebenen Datumsangabe. Bei Personen- und Kapitalgesellschaften ist das der Zeitraum bis zur Feststellung des Jahresabschlusses. Bei prüfungspflichtigen Gesellschaften trifft den Wirtschaftsprüfer die Pflicht auf einen Nachtrag hinzuwirken und es muss eine Nachtragsprüfung stattfinden, wenn wertaufhellende Tatsachen nach Erteilung des Bestätigungsvermerks, aber vor Feststellung bekannt werden. Der Wertaufhellungszeitraum endet spätestens mit Ablauf der gesetzlichen Frist für die Aufstellung des Jahresabschlusses.
BEISPIEL 1
Wertaufhellende Tatsache
Erst im März 02 wird vor Aufstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.01 bekannt, dass Teile der Produktion des Jahres 01 mangelhaft sind. In der Bilanz zum 31.12.01 sind noch Rückstellungen für Gewährleistungsansprüche zu bilden oder bei unverkauften Produkten Abschreibungen vorzunehmen.
Von den wertaufhellenden Tatsachen sind die wertbeeinflussenden (wertbegründenden) Tatsachen zu unterscheiden. Wertaufhellende Tatsachen erhellen (rückwirkend) die am Abschlussstichtag bestehenden Verhältnisse. Wertbeeinflussende (auch wertbegründende) Tatsachen beziehen sich auf Verhältnisse nach dem Bilanzstichtag.
BEISPIEL 2
Wertbeinflussende Tatsache
Am Abschlussstichtag war die Insolvenz eines Schuldners wahrscheinlich. Bei Aufstellung der Bilanz im Mä...