Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 360
Das HGB setzt in § 242 Abs. 1 HGB die Bilanz mit dem Abschluss gleich und definiert sie als einen Rechnungsabschluss, der zum Ende des Geschäftsjahrs das Verhältnis des Vermögens zu den Schulden des Kaufmanns ausweist. Diese Art des Ausweises unterscheidet die Bilanz vom Inventar, in dem es nicht um das Verhältnis, sondern um eine bloße Bestandsaufnahme geht und sie erklärt die Begriffsherkunft der Bilanz vom spätlateinischen "bilanx" (zwei Waagschalen). Aus der Bedeutung des Verhältnisses zwischen Vermögen und Schulden ergeben sich die Gliederungsgrundsätze für die Bilanz. Gegenüberzustellen sind Vermögen und Schulden geordnet nach ihrer Liquidität bzw. Fristigkeit. Nicht zwingend, aber den GoB entsprechend ist die übliche Kontoform der Bilanz mit den Aktiva auf der linken Seite, die in den Vermögensgegenständen zugleich die Mittelverwendung dokumentieren und den Passiva auf der rechten Seite, die untergliedert in Eigen- und Fremdkapital die Mittelherkunft beschreiben. Zum Begriff der Bilanz gehört die Ausgeglichenheit der beiden Waagschalen in Gestalt der Aktiv- und der Passivseite. Diese Ausgeglichenheit wird durch den Posten des Eigenkapitals hergestellt. Es ist eine Saldogröße und ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Vermögen und den Schulden. Dort wo ein Untergewicht herrscht, wird es hinzugefügt. In der Regel ist das die Passivseite. Unter der Bezeichnung nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag (§ 268 Abs. 3 HGB) kann das so verstandene Eigenkapital auch auf der Aktivseite auszuweisen sein (vgl. Kapitel 7).
Tz. 361
In der Veränderung der Saldogröße Eigenkapital zwischen zwei Bilanzstichtagen drückt sich ein Nettovermögensgewinn oder Nettovermögensverlust aus, der eine, auf die relative Nettovermögensänderung zwischen den Bilanzstichtagen bezogene statische Gewinnermittlung erlaubt. Diese Form der Gewinnermittlung ist eine Primärfunktion der handelsrechtlichen Bilanz. Sie ist zugleich Vermögens- und Gewinnermittlungsbilanz mit den Zielen der Ausschüttungsbegrenzung und der Gewinnverteilung (vgl. Kapitel 4).
Tz. 362
Diese Ziele unterscheiden die handelsrechtliche Bilanz von der Überschuldungsbilanz, deren Primärfunktion die Schuldendeckungskontrolle ist und die nicht von einer Unternehmensfortführung, sondern von einer Unternehmenszerschlagung ausgeht. Die Methode der Gewinnermittlung durch einen Vermögensvergleich unterscheidet die handelsrechtliche Bilanz zugleich von der Erfolgsbilanz, die eine Gewinn- und Verlustrechnung durch die Gegenüberstellung von Aufwand und Ertrag ohne historischen Vergleich allein aus den Geschäftsvorfällen zieht.
Tz. 363
Der Begriff der Steuerbilanz ist ein Arbeitsbegriff, der eine den steuerlichen Vorschriften entsprechende Bilanz beschreibt (§ 60 Abs. 2 Satz 2 EStDV). Erfüllt die Handelsbilanz diese Funktion ist sie aus steuerlicher Sicht Einheitsbilanz. Der nach den §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG als Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung vorzunehmende Betriebsvermögensvergleich ist der Gewinnermittlung durch handelsrechtliche Bilanzierung soweit nachgebildet, dass dafür im Grundsatz auch die handelsrechtlichen GoB maßgeblich sind. Soweit steuerliche Sonderregeln nicht die Geltung der handelsrechtlichen GoB verhindern, entsprechen die Regeln des Betriebsvermögensvergleich den Regeln der handelsrechtlichen Bilanzierung. Dann kann die Handelsbilanz für den Betriebsvermögensvergleich verwendet werden und zu diesem Zweck auch der Steuererklärung als "Steuerbilanz" beigefügt werden. Soweit Anpassungen erforderlich sind, können diese auf der Handelsbilanz vorgenommen werden oder eine eigenständige "Steuerbilanz" aufgestellt werden (vgl. §§ 5b EStG und 60 EStDV).
Tz. 364
Der Begriff Eröffnungsbilanz ist im Gesetz zweifach belegt. Zum einen kennzeichnet er in § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB die Bilanz, die der Kaufmann bei Beginn seines Handelsgewerbes aufzustellen hat (auch "Gründungsbilanz"). Zum anderen bezeichnet er in § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB die Funktion der Schlussbilanz des Vorjahres als Eröffnungsbilanz des Geschäftsjahres.
Tz. 365
Sonderbilanzen sind Bilanzen, die nicht regelmäßig als Jahres- oder Jahresschlussbilanz erstellt werden. Dazu gehört auch die Eröffnungsbilanz i. S. d. § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB, aber vor allem Bilanzen, die im Zusammenhang mit umwandlungsrechtlichen Vorgängen erstellt werden ("Umwandlungsbilanzen") sowie mit ähnlicher Funktion die Abfindungs- und Auseinandersetzungsbilanzen bei einem Gesellschafterwechsel, beim Ausscheiden eines Gesellschafters oder der Auflösung der Gesellschaft. Für Sonderbilanzen, die nicht aus der laufenden Buchführung entwickelt werden, hat sich der Begriff Status herausgebildet. Eine Beispiel dafür ist der insolvenzrechtliche Überschuldungsstatus, zur Ermittlung der Insolvenzantragspflicht nach §§ 130a, 177a HGB, 92 Abs. 2 AktG, 63 f. GmbHG) wegen Überschuldung i. S. d. § 19 InsO. Er folgt aber insbes...