Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 517
Bei der Beurteilung des Rückstellungsbedarfs ist zu unterscheiden, ob es sich um ein schwebendes Absatz- oder Beschaffungsgeschäft handelt. Beschaffungsgeschäfte über Vermögensgegenstände des Anlage- oder Umlaufvermögens bemessen den Wert des Leistungsanspruchs mit dem aktivierungsfähigen Wert des Vermögensgegenstands nach Lieferung. Die Bildung einer Drohverlustrückstellung beim Kaufvertrag im Beschaffungsgeschäft antizipiert eine außerplanmäßige Abschreibung zum Bilanzstichtag. Eine Rückstellung ist zu bilden, wenn der vereinbarte Kaufpreis am Markt zum Bilanzstichtag unterschritten wird und außerplanmäßig wertzuberichtigen wäre. Dabei ist dessen Zuordnung zum Umlauf- oder Anlagevermögen zu berücksichtigen. Besteht lediglich ein Wahlrecht scheidet die Bildung einer Rückstellung aus. Die Marktpreisperspektive (Beschaffungs- oder Absatzmarkt) folgt den Regelungen zur Vorratsbewertung (vgl. Kapitel 6 Tz. 134 ff.). Für die Regelungen zur Abschreibung beim Anlage- und Umlaufvermögen verweisen wir auf § 253 HGB (vgl. Kapitel 6).
Eine Drohverlustrückstellung wird notwendig, wenn der Vermögensgegenstand zum Bilanzstichtag wertgemindert anzusetzen wäre, d. h. der Wiederbeschaffungspreis zum Bilanzstichtag unter den vereinbarten Kaufpreis gefallen bzw. beim AV dauerhaft gefallen ist. Zudem kann auch bei fast sicherer späterer Veräußerbarkeit zu einem höheren Wert als dem Kaufpreis oder bei kostendeckender Weiterverarbeitung auf eine Drohverlustrückstellung verzichtet werden, da mit der Rückstellung drohende Verluste, nicht dagegen entgangene Gewinne antizipiert werden sollen.
BEISPIEL
Die M-GmbH stellt Backwaren her. Zur Herstellung der Backwaren hat M in 02 (Anfang Dezember) dringend benötigtes Weizenmehl für das zweite Quartal in 03 bestellt. Aufgrund internationaler Wirtschaftssanktionen gegen das Land R verknappte sich bereits in 01 das vorhandene Handelsvolumen, wodurch der Preis für Weizen rasant anstieg. Ende Dezember 02 werden die Sanktionen gegen R überraschend aufgehoben, prompt sinkt der Weizenpreis, wodurch auch der Preis für Weizenmehl stark zurückgeht. Das Mehl wäre nun günstiger als vormals zu bestellen. Entscheidend für die Bildung einer Drohverlustrückstellung ist die Frage, ob ein effektiver Verlust zum Bilanzstichtag vorliegt. Sofern die Backwaren nicht verlustträchtig verkauft würden, führt der Anstieg der Rohstoffpreise zu einer geringeren Gewinnmarge. Diese stellt keine wirtschaftliche Belastung von M dar, eine Drohverlustrückstellung ist abzulehnen.
Tz. 518
Auf die Aktivierungsfähigkeit und den Wertansatz kann sich gerade bei nicht aktivierungsfähigen Vermögensgegenständen nicht bezogen werden, stattdessen steht hier der ökonomische Wert der Leistung (z. B. Leistungen zur Abschlussprüfung) im Vordergrund. Das schuldrechtliche Synallagma unterliegt der Ausgeglichenheitsvermutung. Eine Drohverlustrückstellung kann dennoch geboten sein, falls der Wert, respektive der Wiederbeschaffungspreis der Leistung sinkt oder die Leistung nicht mehr benötigt wird und somit keinen Wert mehr für das bilanzierende Unternehmen besitzt (Fehlmaßnahme). Lässt sich der wirtschaftliche Wert der Leistung nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten bemessen, begrenzt sich der Ansatz einer Drohverlustrückstellung auf Situationen, in denen die Leistung für das bilanzierende Unternehmen (so gut wie) wertlos ist.
Tz. 519
Schwebende Absatzgeschäfte führen zu Drohverlusten in Fällen, in denen die erforderlichen Aufwendungen zur Erfüllung der Verpflichtung, Anschaffungs-/Herstellungskosten zzgl. weiterer noch zu erwartender Aufwendungen, den Ertrag aus der schuldrechtlichen Beziehung (Wert der Gegenleistung) übersteigen. Zu den weiteren Aufwendungen gehören alle zukünftigen Aufwendungen, die zur Vertragserfüllung notwendig sind. Darunter fallen u. a. Gewährleistungsaufwendungen oder Aufwendungen für Projektfinanzierungen. Typische Ursachen für drohende Verluste aus Absatzgeschäften stellen bewusste Verlustgeschäfte oder falsche Kostenkalkulationen dar. Dabei ist jedoch zu beachten, dass vor einer Rückstellungsbildung zunächst die Vermögensgegenstände, die unmittelbar oder lediglich mittelbar Gegenstand des Absatzgeschäfts sind, nach den Regeln der Bewertung dieser Vermögensgegenstände einer außerplanmäßigen Wertberichtigung zu unterziehen sind. Die Rückstellung ist dann nur für den nicht durch eine ggf. gebildete Wertberichtigung bereits berücksichtigten Anteil des Drohverlusts zu bilden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den unmittelbar den Absatzgeschäften zugrunde liegenden Vermögensgegenständen in der Regel um Umlaufvermögen handelt, während die mittelbar den Absatzgeschäften zugrunde liegenden Vermögensgegenstände oft im Anlagevermögen ausgewiesen werden. Insgesamt wird so der bei der Bildung von Wertberichtigungen relevante Aspekt der Dauerhaftigkeit der Wertminderung für Zwecke der Aufwandserfassung im Falle eines drohenden Verlusts letztendlich nicht berücksichtigt: Wer...