Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 46
Gesetzgeberische Konzeption seit BilRUG
Besonders diskussionsbedürftig war lange, ob Dividendenansprüche phasengleich, nämlich für das Geschäftsjahr zu aktivieren sind, in dem sie wirtschaftlich entstanden sind. Denn rechtlich entstehen diese Ansprüche erst im Folgejahr, wenn der Jahresabschluss festgestellt ist und ein Gewinnverwendungsbeschluss vorliegt.
BEISPIEL
Die M-GmbH ist Alleingesellschafterin der T-GmbH, beide haben den Bilanzstichtag 31.12. Angenommen, der für den 31.12. ermittelte Jahresüberschuss im Geschäftsjahr X0 beträgt 100, so gilt doch: Auch wenn die hinter beiden Gesellschaften stehenden Personen identisch sind und insofern praktisch schon feststeht, dass die T-GmbH ihre Gewinne an die M-GmbH abführen soll, besteht ein Anspruch der M-GmbH auf diesen Überschuss erst, wenn ein entsprechender wirksamer Gewinnverwendungsbeschluss vorliegt. Der kann aber erst im Geschäftsjahr X1 getroffen werden, sodass der Anspruch erst im Geschäftsjahr X1 entsteht.
Tz. 47
Mit dem BilRUG hat der Gesetzgeber diese Diskussion entschärft, wenn nicht sogar beendet. Zugleich hat er eine Situation geschaffen, die im Konzernzusammenhang zu neuen Problemen führt: Die zu erwartende Forderung der Mutter gegen die Tochter ist in der Bilanz der Mutter zu aktivieren, dieser Betrag darf jedoch nicht ausgeschüttet werden, bis er der Mutter tatsächlich zugeflossen ist. Dies ergibt sich aus folgendem:
Aus § 272 Abs. 5 HGB folgt implizit, dass die Forderung gegen das verbundene Unternehmen anzusetzen ist. Denn nach dieser Vorschrift darf ein auf die Beteiligung entfallender Jahresgewinn des Tochterunternehmens nur ausgeschüttet werden, wenn er tatsächlich eingegangen ist oder ein Anspruch auf ihn besteht. Durch diese Ausschüttungssperre bleibt der Ansatz in der Bilanz bis zu diesem Zeitpunkt erfolgsneutral. Der Gesetzgeber setzt mit der Bestimmung die phasengleiche Aktivierbarkeit von Dividendenansprüchen logisch voraus. Dies entspricht Art. 9 der EU-Bilanzrichtlinie. Die Praxis wird dem für die Handelsbilanz folgen und den künftigen Anspruch – wie schon bisher – in der Bilanz aktivieren.
Tz. 48
Kritik aufgrund praktischer Folgen
Die Ausschüttungssperre führt zu praktisch oft unerwünschten Folgen: Im mehrstufigen Konzern können die Gewinne nur dann an die Konzernobergesellschaft oder die Konzernmutter durchgebucht und in ihrer Bilanz dargestellt werden, wenn die Untergesellschaft, um deren (künftigen) Gewinn es geht, genügend frei verfügbare Rücklagen hat, aus denen sie den erwarteten Betrag an die Gesellschafterin ausschütten kann. Dadurch droht sich eine Problematik zu verschärfen, die bereits vor der Neuregelung bestand: dass Gesellschafter der Konzernobergesellschaft "ausgehungert" werden, indem Gewinne schlicht nicht an die Mutter durchgereicht werden. Die Neuregelung bietet für ein solches – rechtlich in den Grenzen der Treuepflicht mögliches – Vorgehen im Zweifel eine gute Argumentationsgrundlage.
Tz. 49
Unklares Verständnis des Anspruchsbegriffs
Dogmatisch erkennt der Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 272 Abs. 5 HGB die phasengleiche Aktivierung von Dividendenansprüchen als Ausnahme an. Erst der "Anspruch", der bestehen muss, um die Sperre nicht auszulösen, führt zur hinreichenden Realisation, die einen erfolgswirksamen Ansatz rechtfertigt. Vorher muss der erfolgswirksame Ansatz unterbleiben. Der Begriff des Anspruchs ist technisch im Sinne des § 194 BGB zu verstehen und verlangt damit die rechtliche Entstehung des Anspruchs durch einen wirksamen Gewinnverwendungsbeschluss. Bei einem anderen Verständnis hätte die Ausschüttungssperre keinen – jedenfalls nicht den vom Gesetzgeber gedachten – Geltungsbereich (zu möglichen anderen Anwendungsfällen der Ausschüttungssperre vgl. Kapitel 7 Tz. 104 ff.). Der Gesetzgeber selbst ist aber offenbar der Auffassung, dass ein Anspruch im Sinne des § 272 Abs. 5 HGB bereits dann vorliegt, wenn feststeht, dass die Kapitalgesellschaft den Beteiligungsertrag so gut wie sicher vereinnahmen wird, obwohl noch kein entsprechender Gewinnverwendungsbeschluss vorliegt und der Anspruch damit rechtlich noch nicht entstanden ist.
Tz. 50
Dieses Verständnis von der Bedeutung des Begriffs "Anspruch" wäre ein absolutes Novum. Es legt dem Anspruchsbegriff faktisch die Ansatzkriterien zugrunde, die die zivilrechtliche Rechtsprechung, insbes. die Tomberger-Judikate (vgl. Tz. 51), für eine phasengleiche Aktivierung aufgestellt hat (vgl. Kapitel 7 Tz. 106 ff.). Dies führt jedoch zu einem unschlüssigen Regelungskonzept:
- Sind Aktivierungsvoraussetzungen und Anspruchsbegriff deckungsgleich, hat die Ausschüttungssperre gem. § 272 Abs. 5 HGB keine Anwendungsfälle.
- Soll der Anspruchsbegriff den Tomberger-Kriterien entsprechen und § 272 Abs. 5 HGB dennoch einen Anwendungsbereich haben, müsste ein Ansatz der künftigen Dividendenforderung noch früher erfolgen. Welchen Kriterien sollte ein solcher Ansatz folgen? Es existiert zu diesem Zeitpunkt eben noch kein Vermögensgegenstand und es gibt auch – anders als im...