Dr. Thilo Schülke, Steve Scheffel
Tz. 1
§ 246 Vollständigkeit. Verrechnungsverbot
(1) Der Jahresabschluss hat sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten sowie Aufwendungen und Erträge zu enthalten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Vermögensgegenstände sind in der Bilanz des Eigentümers aufzunehmen; ist ein Vermögensgegenstand nicht dem Eigentümer, sondern einem anderen wirtschaftlich zuzurechnen, hat dieser ihn in seiner Bilanz auszuweisen. Schulden sind in die Bilanz des Schuldners aufzunehmen. Der Unterschiedsbetrag, um den die für die Übernahme eines Unternehmens bewirkte Gegenleistung den Wert der einzelnen Vermögensgegenstände des Unternehmens abzüglich der Schulden im Zeitpunkt der Übernahme übersteigt (entgeltlich erworbener Geschäfts- oder Firmenwert), gilt als zeitlich begrenzt nutzbarer Vermögensgegenstand.
(2) Posten der Aktivseite dürfen nicht mit Posten der Passivseite, Aufwendungen nicht mit Erträgen, Grundstücksrechte nicht mit Grundstückslasten verrechnet werden. Vermögensgegenstände, die dem Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen sind und ausschließlich der Erfüllung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen oder vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen dienen, sind mit diesen Schulden zu verrechnen; entsprechend ist mit den zugehörigen Aufwendungen und Erträgen aus der Abzinsung und aus dem zu verrechnenden Vermögen zu verfahren. Übersteigt der beizulegende Zeitwert der Vermögensgegenstände den Betrag der Schulden, ist der übersteigende Betrag unter einem gesonderten Posten zu aktivieren.
(3) Die auf den vorhergehenden Jahresabschluss angewandten Ansatzmethoden sind beizubehalten. § 252 Abs. 2 ist entsprechend anzuwenden.
1. Einleitung
a) Überblick
Tz. 2
§ 246 HGB konstituiert mit dem Vollständigkeitsgebot (Abs. 1) und dem Verrechnungsverbot (Abs. 2) zwei zentrale Vorgaben für den Jahresabschluss. Dieser muss zum einen vollständig sein, nämlich alle Vermögensgegenstände (vgl. Tz. 27 ff.), Schulden (vgl. Tz. 59 ff.), Rechnungsabgrenzungsposten (vgl. Tz. 118), Aufwendungen und Erträge (vgl. Tz. 17) enthalten. Ausnahmen ergeben sich insbes. aus § 248 HGB. Was nicht die Voraussetzungen eines Vermögensgegenstandes oder einer Schuld erfüllt, darf in der Bilanz nicht angesetzt werden. Zum anderen dürfen Vermögensgegenstände und Schulden, Aufwendungen und Erträge nicht miteinander verrechnet werden. Abs. 3 normiert das Gebot der Ansatzstetigkeit.
Tz. 3
Abs. 1 Satz 2 und 3 betreffen das Problem der subjektiven Zuordnung von Vermögensgegenständen und Schulden. Vermögensgegenstände sind grundsätzlich in der Bilanz des rechtlichen Eigentümers auszuweisen, außer wenn sie wirtschaftlich einem anderen zuzurechnen sind; Schulden gehören in die Bilanz des Schuldners. Abs. 1 Satz 4 enthält eine Fiktion: Der derivativ erworbene Geschäfts- oder Firmenwert wird wie ein Vermögensgegenstand behandelt, obwohl er keiner ist. Das Verrechnungsverbot des Abs. 2 ist bereits eine Konkretisierung des Vollständigkeitsgebots und dient der Klarheit und Übersichtlichkeit des Jahresabschlusses. Abs. 2 Satz 2 und 3 bestimmen Ausnahmen für Altersversorgungsverpflichtungen.
b) Entstehungsgeschichte
Tz. 4
Das Vollständigkeitsgebot ist Ausfluss des Grundsatzes der Bilanzwahrheit und -richtigkeit und damit schon lange zentrales Element jeder Bilanz. Vorläufer der heutigen Regelung finden sich in Art. 28 ADHGB 1861, § 40 HGB 1897. Die Normierung in § 246 Abs. 1 HGB erfolgte durch das BiRiLiG 1985. Die EU-Bilanzrichtlinie setzt das Vollständigkeitsgebot stillschweigend voraus. Der Grundsatz der wirtschaftlichen Zurechnung in Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz ist in dieser Ausgestaltung seit dem BilMoG § 39 AO nachgebildet, die a. F. nannte in Anlehnung an Art. 8 der EG-Bankbilanzrichtlinie einzelne Sicherungsrechte als Fälle, in denen statt dem rechtlichen (Sicherungs-)Eigentum die wirtschaftliche Zurechenbarkeit für den Bilanzansatz maßgeblich sein sollte; das darin liegende allgemeine Prinzip der Bilanzierung beim wirtschaftlich Berechtigten hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung nachvollzogen.
Tz. 5
Das Verrechnungsverbot war zunächst als GoB anerkannt und wurde 1965 für die AG in § 152 Abs. 8 AktG verankert. Seit dem BiRiLiG findet es sich normiert für alle Kaufleute in Abs. 2, die europarechtliche Grundlage bildet Art. 6 Abs. 1 g) EU-Bilanzrichtlinie. Die Verrechnung zur Bildung sog. Planvermögen gestattet Abs. 2 Satz 2 seit dem BilMoG und dient der Umsetzung des true and fair view-Gebots sowie einer Annäherung an die IFRS; die EU-Bilanzrichtlinie nennt die Verrechnungsmöglichkeit zu diesem Zwecke in Erwägungsgrund 9.
c) Geltungsbereich
Tz. 6
Die Vorschrift gilt für alle bilanzierungspflichtigen Kaufleute. Sie ist in der geltenden Fassung gem. Art. 66 Abs. 3 EGHGB zwingend anzuwenden auf alle Geschäftsjahre, die nach dem