Dr. Thilo Schülke, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 363
Eine weitere Gruppe von Finanzinstrumenten sind Finanzprodukte, welche ein originäres Finanzinstrument mit zusätzlichen Rechten oder Pflichten kombinieren. Diese Gruppe wird als hybride Finanzinstrumente oder auch strukturierte Produkte bezeichnet, die aus einem
- Basisinstrument und einem
- Derivat bestehen.
Als klassisches Beispiel gilt eine Wandelschuldverschreibung, die aus einer Anleihe (Basisinstrument) und einem Wandlungsrecht in Eigenkapitalinstrumente (Derivat) besteht. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl weiterer Produkte wie bspw.:
- Anleihen mit variabler Verzinsung (floater)
- Indexanleihen mit variabler Rückzahlung
- Anleihen mit Kündigungsrecht des Gläubigers
- Knock-out Anleihen
- Leveraged/bear floater und Leveraged/bull floater
Die nachfolgenden Erläuterungen beziehen sich exemplarisch auf die Bilanzierungsfolgen für Wandelanleihen.
Tz. 364
Folgt man der o. g. Struktur und der Aufteilung des Gesamtprodukts in die beiden Komponenten, wären folgende Szenarien zur Bilanzierung der beiden Komponenten denkbar:
Produkt |
Kategorie |
Bewertung |
Anleihe |
Fälligkeitswerte |
fortgeführte AK |
zur Veräußerung verfügbar |
fair value (ergebnisneutral) |
Handelswerte |
fair value (ergebniswirksam) |
fair value option |
fair value (ergebniswirksam) |
Wandlungsrecht |
Handelswerte |
fair value (ergebniswirksam) |
Bilanzierungsszenarien
Für die Bewertung der Anleihe (Fremdkapitalinstrument) bestehen, in Abhängigkeit von der Intention und der Fähigkeit des Unternehmens, mehrere Kategorisierungsmöglichkeiten innerhalb von IAS 39. Da das Wandlungsrecht bei separater Betrachtung ein Derivat darstellt, ist dieses zwingend ergebniswirksam zum fair value zu bewerten. Aus obiger Darstellung wird deutlich, dass die verschiedenen Bewertungsmaßstäbe innerhalb von IAS 39 (mixed model) zu unterschiedlichen Bilanzierungen der beiden Komponenten führen können. Nur wenn sich das Unternehmen zur freiwilligen ergebniswirksamen Bewertung zum fair value entscheidet, stimmt die Bewertung der beiden einzelnen Komponenten überein. Eine einheitliche Bilanzierung der Wandelanleihe, d. h. beider Komponenten, entweder zu
- fortgeführten Anschaffungskosten oder
- ergebnisneutraler fair-value-Bewertung
würde einen Verstoß gegen die Vorgaben des mixed model bedeuten.
Tz. 365
Diesem Verstoß treten die Vorgaben in IAS 39.11 entgegen, die für eingebettete Derivate (embedded derivatives) eine getrennte Bilanzierung vom Basisinstrument vorsehen, sofern
- die ökonomischen Merkmale und Risiken des eingebetteten Derivats nicht eng mit den ökonomischen Merkmalen und Risiken des Basisinstruments verbunden sind;
- ein separates Instrument, mit denselben Bedingungen, die Definition eines Derivats erfüllt;
- das hybride Finanzinstrument nicht ergebniswirksam zum fair value bewertet wird.
Sind die vorgenannten Kriterien erfüllt, ist das eingebettete Derivat ergebniswirksam zum fair value zu bilanzieren und das Fremdkapitalinstrument (Anleihe) entweder zu fortgeführten Anschaffungskosten oder ergebnisneutral zum fair value zu bewerten.
Tz. 366
Gerade das erste Kriterium der engen Verbundenheit zwischen Basisinstrument und eingebettetem Derivat ist in der Praxis kritisch. Die beiden Komponenten eines hybriden Finanzinstruments gelten dann nicht als eng verbunden, wenn das Basisinstrument ein Fremdkapitalinstrument ist und das eingebettete Derivat Eigenkapitalcharakter hat (IAS 39.AG30(f)). Für den oben (Tz. 364) beschriebenen Fall der Wandelanleihe ist dies der Fall, wodurch es regelmäßig zu einer getrennten Bilanzierung von Wandlungsrecht (Derivat) und Anleihe (Basisinstrument) kommt. Weitere Beispiele für Situationen, in denen Basisinstrument und eingebettetes Derivat nicht eng miteinander verbunden sind, liefert die Aufzählung in IAS 39.AG30.