Dr. Thilo Schülke, Prof. Dr. Heribert Anzinger
Tz. 164
Grundsätze
Verpflichtungen, denen im Rahmen eines schwebenden Austauschverhältnisses eine Gegenleistung gegenüber steht, sind nicht in der Bilanz anzusetzen (vgl. Kapitel 5 Tz. 18, schwebende Geschäfte). Denn insofern besteht eine Ausgeglichenheitsvermutung für Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzprinzip, vgl. Tz. 666). Jedoch ist eine Rückstellung in der Höhe zu bilden, in der die Verpflichtung die geschuldete Gegenleistung übersteigt (Verpflichtungsüberschuss), wenn die Ausgeglichenheitsvermutung widerlegt ist (dazu sogleich). Der dann erforderliche Betrag ist nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung vorsichtig zu schätzen. Dabei ist der bestehenden, aber schwebenden Verpflichtung der künftige Aufwand gegenüber zu stellen, der mit den zu erwartenden Erträgen zu saldieren ist. Wirtschaftlich entspricht die Rückstellungsbildung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften damit einer Vorwegnahme außerplanmäßiger Abschreibungen auf den anzuschaffenden Vermögensgegenstand.
Tz. 165
Beschaffungsgeschäfte
Zu differenzieren ist zwischen schwebenden Beschaffungsgeschäften und schwebenden Absatzgeschäften. Die Ausgeglichenheitsvermutung kann im Falle schwebender Beschaffungsgeschäfte widerlegt sein:
- bei fehlender Auslastung,
- wenn der Beschaffungspreis unter den im konkreten Geschäft vereinbarten Preis sinkt.
Tz. 166
Weiter ist danach zu unterscheiden, ob der zu beschaffende Gegenstand oder Wert aktiviert werden kann. Liegt ein bilanzierungsfähiger Vermögensgegenstand vor (vgl. Kapitel 5 Tz. 27) und ist die Ausgeglichenheitsvermutung widerlegt, ist in Höhe der geschätzten Wertdifferenz eine Drohverlustrückstellung erforderlich, wenn es sich um einen Vermögensgegenstand des Umlaufvermögens handelt. Für Vermögensgegenstände des Anlagevermögens kann eine Drohverlustrückstellung nur dann gebildet werden, wenn die Wertminderung dauerhaft ist. Dies gebietet das Niederstwertprinzip, andernfalls würde dessen Wertung, die im Rahmen von Abschreibungen gilt, unterlaufen.
Tz. 167
Geht es um die Beschaffung nicht bilanzierungsfähiger Leistungen, ist umstritten, ob eine Drohverlustrückstellung gebildet werden kann bzw. muss.
BEISPIEL
- Mietverträge
- Pachtverträge
- Leasingverträge
Die überwiegende Auffassung spricht sich für eine Passivierungspflicht aus. Kritisiert wird daran, dass auf diese Weise kalkulatorische Kosten in die Bilanz einfließen, was mit den GoB nicht vereinbar sei. Auch die erstgenannte Auffassung macht aber insofern eine Einschränkung: Nur solche Erfolgsbeträge, die sich hinreichend verlässlich ermitteln lassen, dürfen berücksichtigt werden. Andernfalls dürfe eine Drohverlustrückstellung nur dotiert werden, wenn eine Verwertungsmöglichkeit der beschafften Leistung nicht in Betracht kommt.
Tz. 168
Absatzgeschäfte
Geht es um schwebende Absatzgeschäfte, ist eine Drohverlustrückstellung zu bilden, wenn der Wert der Leistungsverpflichtung am Stichtag über dem Wert der Gegenleistung liegt. Die Vermutung für die Wertäquivalenz von Leistung und Gegenleistung kann gestört sein,
- wenn die mit der Leistungserbringung verbundenen Kosten ("Wegschaffungskosten") gestiegen sind, wobei die Vollkosten zugrunde zu legen sind und zusätzlich auch die voraussichtlich noch anfallenden Vertriebskosten berücksichtigt werden müssen (die grds. gem. § 255 Abs. 2 Satz 4 HGB außer Betracht bleiben). Ein Gewinnaufschlag ist unzulässig;
- wenn im Falle von Anlagevermögen die Wiederbeschaffungskosten für noch benötigte Ressourcen gestiegen sind. Eine Wertsteigerung der Leistung am Markt seit dem Vertragsschluss, die dem Unternehmen heute bessere Konditionen hinsichtlich der Veräußerung des Vermögensgegenstandes beschert hätten (Opportunitätsverluste), müssen außer Betracht bleiben.
Tz. 169
Dauerschuldverhältnisse
Drohende Verluste können auch im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen entstehen. Wegen eines Verpflichtungsüberhangs aus Dauerschuldverhältnissen ist auf die Restlaufzeit des Vertrags abzustellen: Drohende Verluste kommen nur in Betracht, soweit das Geschäft noch schwebt.
BEISPIEL
Ein Mietvertrag über 5 Jahre stellt nur bzgl. des noch nicht verstrichenen Zeitraums ein schwebendes Geschäft dar. Soweit das Dauerschuldverhältnis bereits erfüllt ist, schwebt das Geschäft nicht mehr. In der Regel besteht dann ein Anspruch auf die Gegenleistung, der gegebenenfalls abzuschreiben ist, falls er uneinbringbar ist.