Dr. Falk Mylich, Prof. Dr. Christian Fink
Tz. 139
Die Qualifizierung als Finanzinstrument setzt das Vorliegen eines Vertrags (einer Vereinbarung) voraus, der gleichzeitig bei dem einen Unternehmen zu einem finanziellen Vermögenswert und bei dem anderen Unternehmen zu einer finanziellen Verbindlichkeit bzw. Eigenkapitalinstrument führt.
Grundlegend für das Vorliegen einer finanziellen Verbindlichkeit ist gemäß IAS 32.16(a)–(b) das Bestehen einer sog. contractual obligation zur
- Lieferung von Geld oder sonstigen Vermögenswerten zu einem potenziell nachteiligen Tausch von Vermögenswerten bzw. Verbindlichkeiten;
- Lieferung einer variablen Zahl eigener Anteile bzw. das Recht oder die (bedingte) Pflicht zum Erwerb einer festen Zahl eigener Anteile gegen einen festen Geldbetrag oder sonstigen Vermögenswerte (vgl. Tz. 137).
Es wird für die Klassifizierung – eine Erfüllung in eigenen Eigenkapitalinstrumenten vernachlässigend – auf die bedingte oder unbedingte Verpflichtung zur Überlassung von Geld bzw. anderen Vermögenswerten abgestellt. Ein faktisch zur Zahlung verpflichtender, rein wirtschaftlicher Zwang (economic compulsion) ist für eine Fremdkapitalklassifizierung nicht ausreichend. Vielmehr ist das Bestehen einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich.
Tz. 140
Gemäß amtlicher Übersetzung der contractual obligation soll eine finanzielle Verbindlichkeit eine "vertragliche Verpflichtung" bzw. das Vorliegen eines Vertrags bedingen (IAS 32.17). Jedoch schließt sich unmittelbar eine Relativierung an, gemäß derer die Vereinbarung zwischen zwei bzw. mehreren (Vertrags-)Parteien, welche aufgrund rechtlicher Durchsetzbarkeit klare und kaum bzw. nicht zu vermeidende ökonomische Folgen nach sich zieht, als contractual obligation anzusehen ist (IAS 32.13). Das Vorliegen eines Finanzinstruments bedingt somit keine bilaterale Vereinbarung, sondern umfasst auch Verhältnisse, die zwischen mehr als zwei Parteien bestehen. Es besteht kein Erfordernis zur Schriftform. Weniger restriktiv und dennoch im Einklang mit den Charakteristika eines Finanzinstruments bietet sich die Übersetzung des Terminus contractual obligation mit "vertragsrechtlicher (bzw. -ähnlicher) Verpflichtung" an.
Tz. 141
Nur im Ausnahmefall gilt für Verpflichtungen zur Lieferung von Geld oder anderen Vermögenswerten ein expliziter Ausschluss vom Anwendungsbereich der bilanziellen Vorschriften für Finanzinstrumente (IAS 32.AG12):
- Gesetzlich begründete Verpflichtungen (statutory requirement) sind nicht als Finanzinstrumente zu erfassen. Angesprochen sind von der öffentlichen Hand auf Basis gesetzlicher Vorschriften erhobene Steuerverbindlichkeiten.
- Mit Blick auf die fehlende rechtliche Verpflichtung besteht ein weiterer Ausschluss für faktische Verpflichtungen (constructive obligations), deren Erfassung im Falle der Erfüllung der Ansatzvoraussetzungen (IAS 37.14 ff.) als nicht finanzielle Verbindlichkeiten zu erfolgen hat.
Bei faktischen Verpflichtungen mangelt es generell an einem durchsetzbaren Anspruch für eine andere Partei, so dass eine Klassifizierung als Finanzinstrument ausscheidet. In Bezug auf Steuerverbindlichkeiten richtet sich die Bilanzierung nach separaten Regelungen (IAS 12). Die Nichtbehandlung als Finanzinstrument ist insoweit gerechtfertigt.