Dr. Falk Mylich, Prof. Dr. Christian Fink
Tz. 157
Ewige Anleihen, deren Charakteristika in der unbegrenzten Laufzeit, der Bindung der Zinszahlung an Dividendenbeschlüsse, des Kündigungsrechts seitens des Unternehmens sowie eines akzelerierenden Zinses bestehen, stellen eine besondere Finanzierungsform dar. Von Rating-Agenturen werden diese üblicherweise als wirtschaftliches Eigenkapital angesehen. Fraglich ist jedoch die bilanzrechtliche Zuordnung zu Eigen- oder Fremdkapital nach IFRS.
Tz. 158
Bei ewigen Anleihen besitzt der Emittent keine Verpflichtung zur Rückzahlung des Nominalbetrags der Anleihe. Das zentrale Kriterium einer Finanzverbindlichkeit, die Verpflichtung zu Geldzahlungen in der Zukunft, ist somit nicht gegeben. Gleichwohl handelt es sich bei ewigen Anleihen im Regelfall – d. h. bei normaler Ausgestaltung – nicht um Eigenkapital, zumal eine unbegrenzte Zahlungsverpflichtung in Bezug auf die Verzinsung des Nominalbetrags besteht.
BEISPIEL
Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital bei ewigen Anleihen
Die XY-AG plant die Emission einer Anleihe mit einem Nominalbetrag von 1.000 GE, wobei folgende Alternativen zur Auswahl stehen:
- Anleihe mit einer Laufzeit von 200 Jahren oder
- ewige Anleihe mit einer jeweiligen marktgerechten Zinszahlung i. H. v. 40 GE.
In Bezug auf den Barwert der Anleihen gilt:
- Anleihe mit einer Laufzeit von 200 Jahren: Die diskontierte Summe der zu leistenden Zinszahlungen sowie der mit dem laufzeitäquivalenten Zins abgezinste Nominalbetrag führen zu einem Barwert von etwa 100 GE. Dabei ist der Barwert des Rückzahlungsbetrags, da dieser weniger als 0,04 % des Barwerts beträgt, grundsätzlich vernachlässigbar.
- Ewige Anleihe: Die diskontierte Summe der zu leistenden Zinszahlungen – nach der Rentenformel 4 GE/4 %) – führt zu einem Barwert von 100 GE.
Die exemplarische Darstellung verdeutlicht eine aus ökonomischer Perspektive bestehende Äquivalenz zwischen der ewigen Anleihe auf der einen Seite und der Anleihe mit begrenzter Laufzeit auf der anderen Seite. Indem IAS 32.AG6 die Fremdkapitalqualifikation für ewige Anleihen mit marktgerechter Verzinsung und ohne zusätzliche Ausgestaltungsmerkmale vorsieht, trägt der Standardsetzer dieser wirtschaftlichen Äquivalenz Rechnung. Als ausschlaggebendes Kriterium für eine Klassifizierung als Fremdkapital ist die Verpflichtung zur Leistung von Zahlungen anzusehen. Bei entsprechender Laufzeit ist es dabei nicht ausschlaggebend, ob es sich bei den Zahlungen zivilrechtlich um Zinsen oder um die Rückzahlung des Nominalbetrags handelt.
Tz. 159
Die Klassifizierung als Fremdkapital bedingt eine Zahlungsverpflichtung, der sich der Schuldner nicht entziehen kann. Ob die Zahlung im Voraus feststeht oder an nicht vollständig vom Schuldner kontrollierte Gegebenheiten anknüpft, ist nicht entscheidend. Nicht ausreichend für eine Klassifizierung als Eigenkapital ist nach IAS 32.25 die Anknüpfung der Zinszahlung an den Jahresüberschuss. Die Anknüpfung an einen Dividendenbeschluss ist demgegenüber unschädlich. Die Zinszahlung liegt im Ermessen der Gesellschaft, wenn der Zins ausschließlich für die Jahre gezahlt wird, in denen es auch zur Dividendenzahlung kommt. Die Gesellschaft muss keine Dividenden zahlen, sofern diese auf Dividendenbeschlüsse verzichtet. Jedoch sorgt ausschließlich die Bindung der Zinszahlung an den Dividendenbeschluss der Gesellschaft ohne Nachholungsklausel für eine Gleichstellung von Gläubiger der ewigen Anleihe und Eigenkapitalgebern der Gesellschaft. Die Definition von Eigenkapital im Sinne des IAS 32 wird somit durch eine ewige Anleihe ohne vertraglich garantierte Zahlungen des Schuldners erfüllt.
Tz. 160
In manchen Fällen ist eine einseitige Kündigungsmöglichkeit durch den Schuldner gegeben. Im Falle eines ausschließlich in der Anfangszeit (bspw. zehn Jahre) konstanten Zinsniveaus, das im Anschluss steigt, ist bei Unterstellung rationalen Handelns von einer Ausübung des Kündigungsrechts durch den Schuldner auszugehen, da die Finanzierung nach der Grundzeit zu kostenintensiv wird. Jedoch sind auch bei Vorliegen eines faktischen Ausübungszwangs die Kündigungsoptionen des Schuldners nicht beachtlich, weil es an einer vertraglich – einklagbaren – Verpflichtung gegenüber dem Schuldner mangelt (IAS 32.AG25).