Dr. Falk Mylich, Prof. Dr. Christian Fink
Tz. 142
Auf den künftigen Erwerb bzw. die künftige Veräußerung eigener Aktien ausgerichtete Kontrakte führen gemäß IAS 32.16(b)(ii) in manchen Fällen zu Eigen- und in anderen zu Fremdkapital. Anhand von Optionskontrakten sind nachfolgende Fälle von Relevanz:
- Purchased call option: Gegen Zahlung einer Prämie hat die Gesellschaft das Recht zum Erwerb eigener Aktien zu einem bestimmten Preis (Ausübungspreis) gekauft. Durch diesen Vertrag wird ausschließlich das Eigenkapital berührt. Nach IAS 32.AG14 ist die gezahlte Optionsprämie vom Eigenkapital abzuziehen. Im Falle der Optionsausübung ist die Buchung "Eigenkapital an Geld" vorzunehmen.
- Written or issued call option: Die Gesellschaft ist bereits im Besitz eigener Anteile oder wird diese – falls notwendig – noch erwerben. Dem Vertragspartner hat die Gesellschaft gegen Erhalt einer Prämie das Recht zum Erwerb der Aktien eingeräumt. Vom Optionsvertrag ist ausschließlich das Eigenkapital berührt. Für die vereinnahmte Optionsprämie besteht das Gebot einer Zuschreibung zum Eigenkapital (IAS 32.AG13 und IAS 32.AG27(a)). Im Falle der Optionsausübung durch den Vertragspartner ist die Buchung "Geld an Eigenkapital" vorzunehmen.
- Written put option: Der Vertragspartner hat das Recht zur Veräußerung von Aktien der Gesellschaft an diese. Die bedingte Erwerbsverbindlichkeit hat eine Umgliederung von Eigen- in Fremdkapital zur Folge (IAS 32.AG27(a)). Im Falle der Optionsausübung ist die Buchung "Verbindlichkeit an Geld" vorzunehmen.
In nachfolgenden Fällen liegen keine Eigenkapitalinstrumente vor:
- Vereinbarung der Erfüllungsart "Barausgleich" (net cash settlement) für das Derivat (IAS 32.AG27(c)–(d)).
- Erfüllung des Terminkontrakts durch physische Lieferung der Aktien (gross physical settlement), wobei die zu liefernde Zahl der eigenen Eigenkapitalinstrumente und/oder der Betrag der Gegenleistung noch nicht feststehen (IAS 32.11).
Tz. 143
Freiwillige Erwerbsangebote nach dem WpÜG sind für börsennotierte Aktiengesellschaften ein zentrales Anwendungsfeld des letztgenannten Falls. Möchte eine börsennotierte Gesellschaft ein Angebot zum Erwerb eigener Aktien unterbreiten, ist dieses mit Blick auf die Gleichstellung sämtlicher Aktionäre öffentlich zu machen (§ 10 WpÜG). Im Falle der Überzeichnung des Angebots muss die Gesellschaft mittels quotaler Zuteilung die Gleichbehandlung der Aktionäre, die das Angebot annehmen, sicherstellen (§ 19 WpÜG). Im Zuge des Erwerbsangebots kommt es bei der Gesellschaft zu einer bedingten Verpflichtung zur Zahlung von Geld.
Wenn diese Verpflichtung einen vertraglichen Charakter aufweist, ist gemäß IAS 32.16 und 32.23 i. V. m. IAS 32.AG27(b) ein Ausweis als Verbindlichkeit geboten. Dass das Angebot unter die Regelungen des WpÜG fällt, spricht nicht gegen einen solchen vertraglichen Charakter. Wenngleich das WpÜG einen öffentlich-rechtlichen Charakter – u. a. bezüglich der Aufsichts- und Untersagungsrechte der BaFin – aufweist, hat es den Charakter eines speziellen Zivilrechts, welches zu einer Einschränkung der Kontrahierungs-, Inhalts- und Formfreiheiten des allgemeinen Zivilrechts im Interesse des Gleichbehandlungsgrundsatzes führt. Unter Berücksichtigung dieser Beschränkungen unterliegen das Erwerbsangebot und seine Annahmen den generellen Regelungen des Vertragsrechts. Die Qualifikation eines öffentlichen Erwerbsangebots als vertragsrechtliche Verpflichtung – contractual obligation – im Sinne des IAS 32 wird durch die Einschränkungen der generellen Vertragsfreiheiten bzw. die quasi öffentlich-rechtliche Prägung des Vertragsverhältnisses nicht verhindert. Somit führt auch das freiwillige Erwerbsangebot zum Ausweis einer Verbindlichkeit.
Tz. 144
Gegen die Qualifizierung der aus dem Übernahmeangebot resultierenden Verpflichtung als finanzielle Verbindlichkeit könnte Folgendes sprechen: Durch IAS 32.11 werden finanzielle Verbindlichkeiten als contractual obligations definiert. Sofern hiermit entsprechend der amtlichen deutschen Übersetzung eine vertragliche Verpflichtung und somit keine vertragsrechtliche Verpflichtung gemeint ist, wäre der Einwand möglich, dass im Zuge des Übernahmeangebots kein Vertrag entsteht, sondern ausschließlich das Angebot zum Vertragsabschluss abgegeben werde, so dass es vor Angebotsannahme an einer vertraglichen Verpflichtung mangelt.