Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsgefährdender Fahrspurwechsel auf Autobahn
Leitsatz (amtlich)
1. Den Sorgfaltsanforderungen aus §§ 5 Abs. 4 S. 1, 7 Abs. 5 S. 1, 18 Abs. 3 StVO genügt ein auf die Autobahn auffahrender Verkehrsteilnehmer im Zusammenhang mit einem hiernach beabsichtigten Überholvorgang nur dann, wenn dieser sich zunächst in den Verkehrsfluss auf der (rechten) Normalspur für eine gewisse nennenswerte Zeit von "mehr als wenigen Sekunden" einfügt, um sich erst selbst in die konkret vorgefundene Verkehrssituation auf der Autobahn einzuordnen und sich hinreichend zu vergewissern, dass er durch das beabsichtige Überholen andere Fahrzeuge, die sich von hinten annähern, nicht gefährdet oder behindert.
2. Ereignet sich eine Kollision des Fahrspurwechslers mit dem auf der Überholspur der Autobahn befindlichen nachfolgenden Fahrzeug im unmittelbaren zeitlichen, örtlichen und situativen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel auf dem Überholstreifen, so spricht zulasten der Fahrspurwechslers der Anschein für eine Verletzung der Sorgfaltspflichten nach §§ 5 Abs. 4 S. 1, 7 Abs. 5 S. 1, 18 Abs. 3 StVO, nämlich Fahrstreifenwechsel nur dann vorzunehmen, wenn jegliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
3. Für die Frage, ob die allgemeine einfache Betriebsfahr des die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h deutlich überschreitenden auf der Überholspur befindlichen Fahrzeugs im Kollisionsfalle hinter dem Verschulden des einen verkehrsgefährdenden Fahrstreifenwechsel auf einer Autobahn durchführenden Fahrspurwechslers zurücktritt, sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgeblich.
Regelmäßig wird im Falle des Fehlens besonderer - über den verkehrsgefährdenden Fahrstreifenwechsel als solchen hinausgehender - Verschuldensbeiträge die einfache Betriebsgefahr des die Richtgeschwindigkeit deutlich überschreitenden Fahrzeugs nicht verdrängt werden: Denn auch das Verschulden des einen verkehrsgefährdenden Fahrstreifenwechsel durchführenden Spurwechslers führt nicht zu einem "Freibrief", mit einem erheblich über der Richtgeschwindigkeit liegenden Tempo auf der Autobahn zu fahren und bei einem dann erfolgten Unfall jede Haftung von sich zu weisen, obwohl durch diese erhöhte Geschwindigkeit die Gefahrensituation und damit das Unfallrisiko ebenfalls gesteigert waren (Fortführung von OLG Nürnberg Urteil vom 09.09.2010, Aktenzeichen 13 O 712/10, Randzeichen 27 bis 30 - zitiert nach [...]; OLG Stuttgart OLG Stuttgart, Urteil vom 11.11.2009, Aktenzeichen 3 U 122/09, Randzeichen 31 bis 35 - zitiert nach [...]; OLG Hamm, Urteil vom 08.09.1999, Aktenzeichen 13 U 35/99, Randzeichen 11 - zitiert nach [...]).
Normenkette
StVG § 17 Abs. 1-2, § 18 Abs. 3; StVO § 5 Abs. 4 S. 1, Abs. 4a, 7 S. 2, § 18 Abs. 3
Tatbestand
Die Parteien streiten Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 06.02.2012 auf einer (zweispurig ausgebauten) Bundesautobahn im Bereich einer Anschlussstelle ereignete. Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw des Typs BMW mit einer Geschwindigkeit von etwa 160 km/h die Überholspur. Der vom Beschleunigungsstreifen auf die Autobahn auffahrende Beklagte zu 1) befuhr mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw des Typs VW zunächst für kurze Zeit die (rechte) Normalspur der Autobahn, bevor dieser gleich darauf auf die Überholspur überwechselte, um ein vor ihm auf der rechten Fahrspur befindliches langsameres Fahrzeug zu überholen. Im Zusammenhang mit diesem Fahrspurwechsel kam es auf der Überholspur zur Kollision des Beklagtenfahrzeugs mit dem von hinten herannahenden Pkw der Klägerin, wobei sich letzterer zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes in gebremstem Zustand befand. Die Beteiligten blieben unverletzt.
Die Beklagte zu 2) ersetzte vorgerichtlich den (Sach-)Schaden der Klägerin teilweise unter Anrechnung der allgemeinen Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs von 25% dem Grunde nach zu 75%, wobei im Hinblick auf die Schadensposten der Höhe nach von der Beklagten zu 2) überdies Abzüge von den Positionen Mietwagenkosten, Verbringungskosten und Unkostenpauschale vorgenommen wurden.
Mit der vorliegenden Klage machte die Klägerin die restlichen (Sach-)Schäden i.H.v. 2.450,49 EUR auf Grundlage einer alleinigen Haftung der Beklagtenseite und unter Abrechnung der vollen (höheren) Mietwagenkosten, Verbringungskosten und Unkostenpauschale geltend.
Das Amtsgericht gab der Klage i.H.v. 1.185,18 EUR auf Basis einer Haftung dem Grunde nach von 80% zu 20% zulasten der Beklagtenseite teilweise statt, wobei das Gericht der Höhe nach die klägerseits abgerechneten vollen Verbringungskosten und Unkostenpauschale sowie in Bezug auf die Mietwagenkosten die "Schwacke-Liste 2011" seiner Entscheidung zugrunde legte.
Die dagegen seitens der Klagepartei eingelegte Berufung zum Landgericht Bamberg wurde zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
(...) I.2. Gemäß §§ 18, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG war eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge vorzunehmen, wobei nur bewiesene und unstreitige verursachungsbeitragse...