Mithaftung an Unfall bei Überschreiten der Richtgeschwindigkeit

Wer auf der Autobahn deutlich schneller fährt als die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h, dem droht im Falle eines Unfalls eine Mithaftung. Selbst dann, wenn der Unfall von einem unachtsamen Spurwechsler maßgeblich verursacht wurde.

Auf einer Autobahn hatte ein Spurwechsler einen Unfall verursacht. Der Fahrer zog von der mittleren auf die linke Spur und stieß mit dem Fahrzeug des Klägers zusammen. Auf den ersten Blick schien die Sache klar zu sein. Bereits der Beweis des ersten Anscheins sprach für einen Verstoß des Spurwechslers gegen die gesteigerten Sorgfaltspflichten beim Spurwechsel.

Fahrstreifenwechsel erfordern besondere Sorgfalt

§ 7 Abs. 5 StVO legt demjenigen, der einen Fahrstreifen wechseln will oder ihn auch nur teilweise verlässt, ein Höchstmaß an Sorgfaltspflichten auf. Dazu kommt: Der hinzugezogene Sachverständige hatte einen schuldhaften Verstoß des Beklagten gegen die ihm im Zusammenhang mit dem Spurwechsel obliegenden Pflichten bestätigt.

Verstoßen Spurwechsler gegen die Sorgfaltspflicht trifft sie häufig eine Alleinhaftung

Bei einem Verstoß gegen die Sorgfaltsanforderungen des § 7 V StVO trifft den Spurwechsler im Regelfall eine Alleinhaftung, da die einfache Betriebsgefahr des anderen Kraftfahrzeugs hinter sein gewichtiges Verschulden zurücktritt (vgl. BGH, Urteil v. 11.2.2014, VI ZR 161/13).

Das OLG München kam dennoch zu der Einschätzung, dass dem Kläger unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr eine Mithaftung in Höhe von 25 Prozent anzulasten ist. Maßgeblich dafür: Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalls mit 200 km/h unterwegs und hatte damit die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h um 70 Stundenkilometer überschritten.

Richtgeschwindigkeit um 70 km/h überschritten

Zwar schließe die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen durch einen in einen Unfall verwickelten Autofahrer die Berufung auf die Unabwendbarkeit des Unfalls nicht grundsätzlich aus. Der Unabwendbarkeitsbeweis nach § 17 Abs. 3 StVG wäre dann geführt, wenn der Kläger hätte nachweisen können, dass der Unfall sich mit vergleichbar schweren Folgen auch ereignet hätte, wenn er die Richtgeschwindigkeit eingehalten hätte.

Unfall hätte bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit vermieden werden können

Doch genau das war im vorliegenden Fall nicht so. Der gerichtliche Sachverständige hatte ausgeführt, dass der Kläger das Unfallgeschehen hätte vermeiden können, hätte er die Richtgeschwindigkeit eingehalten.

Betriebsgefahr muss bei hoher Geschwindigkeit berücksichtigt werden

Grundsätzlich ist bei einer deutlichen Überschreitung der Richtgeschwindigkeit die Betriebsgefahr zu Lasten des schuldlos an einem Verkehrsunfall Beteiligten zu berücksichtigen. Begründung: „Wer schneller als 130 km/h fährt, vergrößert in haftungsrelevanter Weise die Gefahr, dass sich ein anderer Verkehrsteilnehmer auf diese Fahrweise nicht einstellt und insbesondere die Geschwindigkeit unterschätzt“ (BGH, Urteil v. 17.3.1992, VI ZR 61/91).

Die Erfahrung zeige, so der BGH, dass Verkehrsteilnehmer immer wieder die Geschwindigkeit eines sich schnell von hinten annähernden Fahrzeugs nicht richtig einschätzten und sich hierauf bei einem Wechsel der Fahrstreifen nicht einzustellen vermögen.

(OLG München, Urteil v. 1.6.2022, 10 U 7328/21)


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