1 Leitsatz
Greift ein Wohnungseigentümer den Beschluss nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG an, ist sein Interesse nicht anhand des Nachschusses, sondern anhand der Kosten zu ermitteln, die er für das Gesamtjahr tragen soll.
2 Normenkette
§ 49 Satz 2 GKG; § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG
3 Das Problem
Wohnungseigentümer K greift u. a. den Beschluss an, mit dem die Wohnungseigentümer am 3.12.2020 die Nachschüsse für das Jahr 2019 bestimmt haben. K greift sämtliche Nachschüsse in voller Höhe an, obwohl er nur 3 Kostenpositionen bemängelt. Fraglich ist, wie der Gebührenstreitwert zu berechnen ist.
4 Die Entscheidung
Das LG meint, der Gebührenstreitwert sei nach § 49 Satz 2 GKG auf die 7,5-fachen Kosten des K und damit auf 27.246 EUR (Kosten des Gesamtjahres 3.632,80 EUR x 7,5) festzusetzen.
Zwar werde vertreten, es seien die Beträge der Nachforderungen und die Beträge der Anpassungen für das Gesamtinteresse zu addieren, wobei die Parteien zur Vorlage entsprechender Aufstellungen aufzufordern seien (Hinweis auf Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kapitel 14 Rn. 205 und Rn. 207). Das Einzelinteresse des Klägers bemesse sich demzufolge nach der ihm durch die Jahresabrechnung auferlegten Nachforderung (Hinweis auf "in diesem Sinne auch" Drasdo, NZM 2020, S. 953).
Nach anderer Auffassung sei aber weiter an der bisherigen Streitwertbemessung festzuhalten (Hinweis u. a. auf Jennißen/Suilmann, WEG, 7. Aufl., § 49 GKG Rn. 15). Dieser Ansicht sei auch zu folgen. Die Beschränkung auf den Nachschuss (im Fall: 8,80 EUR) würde zu unangemessen niedrigen Gerichts- und Anwaltsgebühren führen. Außerdem würde das "Interesse" der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bzw. des Anfechtungsklägers i. S. d. § 49 GKG viel zu eng gefasst werden. Denn beim Beschluss nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG gehe es nur "vordergründig" um die "Abrechnungsspitze". Auch nach neuem Recht sei nämlich "inzident" die Richtigkeit der "beschlossenen Zahlungsverpflichtungen" zu prüfen (Hinweis auf Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kapitel 14 Rn. 209).
Hinzu komme, dass der Gesetzgeber mit § 49 GKG nur das Gesamtinteresse (volles Gesamtinteresse statt bisher hälftiges Interesse) und den Faktor für das klägerische Interesse (7,5 statt bisher 5) verändern, im Übrigen aber die Regelung des § 49a GKG a. F. für Beschlussklagen habe beibehalten wollen. Es sei nicht intendiert gewesen, die Streitwerte für die Anfechtung von "Abrechnungsbeschlüssen" insgesamt drastisch abzusenken und durch die Veränderung des Beschlussgegenstands auf die Nachschüsse ggf. zugleich die Berufungsfähigkeit amtsgerichtlicher Urteile über Abrechnungsbeschlüsse weitgehend infrage zu stellen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um den Gebührenstreitwert für eine Beschlussklage, mit der ein Wohnungseigentümer gegen die Nachschüsse nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG vorgeht (eine Klage nur gegen den Nachschuss, den ein Wohnungseigentümer zahlen soll, wäre nicht möglich). Dieser ist nach § 49 GKG zu bestimmen. Der Gebührenstreitwert ist danach auf das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung festzusetzen (Satz 1). Er darf den 7,5-fachen Wert des Interesses des Klägers und der auf seiner Seite Beigetretenen sowie den Verkehrswert ihres Wohnungseigentums aber nicht übersteigen (Satz 2).
Grundsätze
Das Interesse aller Wohnungseigentümer an der Entscheidung (§ 49 Satz 1 GKG) ist das Interesse, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Forderungen gegen die Wohnungseigentümer aus § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG nicht verliert. Dazu sind alle Nachschüsse zu addieren. Das Interesse des Klägers i. S. v. § 49 Satz 2 GKG, welches § 49 Satz 1 GKG "sticht", besteht darin, seinen Nachschuss zu reduzieren oder zu eliminieren (im Fall ging es wohl um eine Reduzierung).
Die LG-Lösung
Das LG berichtet nur über das Interesse des Klägers. Es setzt aber nicht den Nachschuss an, den der Kläger zahlen soll (8,80 EUR), sondern die Kosten, die auf den Kläger im abzurechnenden Gesamtjahr 2019 insgesamt entfallen sind (3.632,80 EUR). Damit ignoriert das LG den Gegenstand des Beschlusses nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG.
Zum Beleg zieht es Dötsch/Schultzky/Zschieschack, WEG-Recht 2021, Kapitel 14 Rn. 209 heran. Dieser Beleg trägt aber nicht. Denn dort heißt es: "Im Ergebnis werden daher die Streitwerte bei Abrechnungsstreitigkeiten deutlich sinken. Das ist zwar im Hinblick auf den Beschlussgegenstand konsequent, aber dennoch in der Sache nicht gerechtfertigt, da inzident auch nach neuem Recht für die Richtigkeit der beschlossenen Zahlungsverpflichtungen die vom Verwalter vorgelegte Abrechnung zu prüfen ist. Hinzu kommt, dass nun die Streitwerte für Wirtschaftspläne, deren Anfechtung wegen des weiten Ermessensspielraums nur selten Erfolg hat, die von Jahresabrechnungen, die ein deutlich komplexeres Prüfungsprogramm haben, übersteigen werden. Überzeugend ist das nicht". Dötsch/Schultzky/Zschieschack beklagen also, § 49 GKG sei verfehlt, sagen aber nicht, es seien die Kosten des Gesamtjahres heranzuziehen. Sie sagen das Gegenteil.
Der andere "Beleg" ist Jennißen/Suilmann, WEG, 7. Aufl., § 49 GKG ...