1 Leitsatz

Hat ein Wohnungseigentümer eine Anfechtungsklage gegen einen Beschluss nach § 28 Abs. 5 WEG a. F. erhoben, der noch vor dem 1.12.2020 gefasst wurde, ist das Rechtsschutzbedürfnis für diese Klage nicht am 1.12.2020 entfallen.

2 Normenkette

§ 28 Abs. 5 WEG a. F.

3 Das Problem

Wohnungseigentümer K klagt gegen den Beschluss, mit dem die Wohnungseigentümer am 10.8.2020 die Jahresabrechnung 2019 genehmigt haben. K rügt, weder habe die Gesamtabrechnung 2019 bei der Beschlussfassung vorgelegen, noch sei diese den Wohnungseigentümern im Vorfeld der Versammlung zugesandt worden. Auch in dem Service-Portal der Verwalterin sei die Gesamtabrechnung nicht eingestellt gewesen. Der Beschluss sei ferner nicht hinreichend bestimmt. Es sei nicht klar, über welche Gesamtabrechnung unter der Bezeichnung "Wohngeldabrechnung 2019" beschlossen worden sei. Auch sei die Darstellung der Erhaltungsrücklage unrichtig, weil die zum Jahresende angeblich vorhandene "Ist-Rücklage" über den liquiden Mitteln der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zum 31.12.2019 liege. Die Gesamtabrechnung ermögliche außerdem keinen schlüssigen Abgleich der Kontenstände mit den Ein- und Ausgaben. Zudem sei die Zahl der angegebenen Bankkonten unrichtig, weil nur 2 und nicht 4 Bankkonten geführt würden. Auch seien die für das Festgeldkonto mitgeteilten Kontostände unrichtig, es handele sich um Phantasiezahlen. Die Abrechnungsspitze werde in den Einzelabrechnungen unrichtig, nämlich unter Ansatz der tatsächlichen Zahlungen auf das Hausgeld, ermittelt.

Das AG weist die Anfechtungsklage trotz allem als unzulässig ab. Das Rechtsschutzbedürfnis sei wegen der Änderung des WEG zum 1.12.2020 weggefallen. Hiergegen wendet sich die K mit seiner Berufung.

4 Die Entscheidung

Mit Erfolg! Das LG meint, es bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis. Eine Anfechtungsklage diene zur Geltendmachung des materiellen Anfechtungsrechts, das jedem Wohnungseigentümer als altruistisches Mitgliedschaftsrecht eingeräumt sei. Vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich verbürgten Justizgewährungsanspruchs sei das Rechtsschutzbedürfnis im Zweifel anzunehmen und nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein schutzwürdiges Interesse an dem erstrebten Urteil haben könne oder ein Titel auf einfacherem Wege zu erlangen sei. Diese strengen Voraussetzungen gelte es insbesondere bei der Anfechtungsklage im Auge zu behalten. Da K eine Verletzung seines Anspruchs auf eine ordnungsmäßige Verwaltung durch die Genehmigung einer fehlerhaften Jahresabrechnung mit der erhobenen Anfechtungsklage geltend mache, bestehe danach ein Rechtsschutzinteresse. Das Inkrafttreten des neuen Rechts zum 1.12.2020 habe das Rechtsschutzinteresses nicht entfallen lassen. K habe nach wie vor ein berechtigtes Interesse an der Klärung der Frage, ob der Beschluss aus den von ihm geltend gemachten Gründen anfechtbar sei.

Die Anfechtungsklage sei auch begründet, weil die Genehmigung der Jahresabrechnung 2019 gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung verstoßen habe. Der Genehmigungsbeschluss entspreche bereits deswegen nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung, weil die Jahresgesamtabrechnung den Wohnungseigentümern im Vorfeld der Versammlung vom 10.8.2020 nicht zur Verfügung gestellt worden sei. Außerdem entspreche die Jahresabrechnung nicht den Anforderungen der Rechtsprechung.

5 Hinweis

Problemüberblick

Ein Wohnungseigentümer geht gegen einen Beschluss vor, den man seit dem 1.12.2020 nicht mehr fassen kann. Fraglich ist, ob dieser Umstand sein Rechtsschutzbedürfnis entfallen lässt. Dies verneint das LG zu Recht. Es erinnert dabei an die allgemeinen Grundsätze zum Rechtsschutzbedürfnis. Wie vom LG ausgeführt, besteht dieses in aller Regel. Ein Ausnahmefall liegt beispielsweise vor, wenn der Beschluss wegen eines bereits bestandskräftig ergangenen Zweitbeschlusses vollständig bedeutungslos geworden ist.

Jahresabrechnung

Der Fall erinnert daran, dass die Wohnungseigentümer seit dem 1.12.2020 nicht mehr die Jahresabrechnung genehmigen, sondern gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG die Nachschüsse bestimmen. Für diesen Beschluss muss die Jahresabrechnung den Wohnungseigentümern im Vorfeld der Versammlung allerdings zur Verfügung gestellt werden. Verstößt die Verwaltung gegen diese Pflicht, besteht ein formaler Beschlussmangel (das ist streitig). Wie von K gefordert, muss ferner weiterhin klar sein, welche Forderungen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen die Wohnungseigentümer haben soll. Werden die Nachschüsse im Beschluss nicht genannt, sondern wird, was nicht anzuraten ist, auf die Jahresabrechnung verwiesen, muss klar sein, welche Unterlage damit in Bezug genommen wird. Am besten ist ein Datum zu nennen und die Jahresabrechnung als Anlage zur Niederschrift zu nehmen.

Vermögensbericht

Die Darstellung der Erhaltungsrücklage spielt im aktuellen Recht für den Beschluss nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG keine Rolle mehr. Die Darstellung ist Teil des Vermögensberichts nach § 28 Abs. 4 Satz 1 WEG. Ist die Darstellung dort fehlerhaft, kann ein Wohnungseigentümer...

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