1 Leitsatz

Eine Bestimmung der Gemeinschaftsordnung, nach der bauliche Veränderungen nur mit einer Mehrheit von 3/4 aller vorhandenen Stimmen beschlossen werden können, kann nach § 47 WEG nicht mehr anwendbar sein.

2 Normenkette

§§ 20 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4, 47 WEG

3 Das Problem

Wohnungseigentümer B lässt Mitte Januar 2021 im räumlichen Bereich seines Sondereigentums ein Außenfenster ausbauen, die Öffnung zumauern und verputzen. Ferner lässt er innerhalb seiner Wohnung einen Durchbruch durch die Decke und den Fußboden vergrößern. Am 20.12.2021 gestatten die Wohnungseigentümer diese Maßnahmen. Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Für den Beschluss hätten nur 294,290/1.000 Miteigentumsanteile gestimmt, dagegen 185,180 Miteigentumsanteile. 274,300 Miteigentumsanteile hätten sich enthalten. K verweist außerdem auf die Gemeinschaftsordnung. Danach könnten bauliche Veränderungen nur mit einer Mehrheit von 3/4 aller vorhandenen Stimmen beschlossen werden.

4 Die Entscheidung

Die Klage hat keinen Erfolg! Die Wohnungseigentümer seien befugt gewesen, die bauliche Veränderung mit einfacher Mehrheit zu gestatten. Zwar verlange die Gemeinschaftsordnung eine Mehrheit von 3/4 aller vorhandenen Stimmen. Diese Regelung sei aber seit dem 1.12.2020 nicht mehr anwendbar. Im Vergleich zum bis zum 30.11.2020 geltenden § 22 Abs. 1 WEG enthalte die Gemeinschaftsordnung nämlich eine "mildere" Regelung. Der Wille des Verfassers der Gemeinschaftsordnung sei dahingehend auszulegen, die damals gültigen gesetzlichen Regelungen zu baulichen Veränderungen durch Vereinbarungen in der Gemeinschaftsordnung abzusenken und zu erleichtern. Da der mit Wirkung zum 1.12.2020 eingeführte § 20 WEG gegenüber den Regelungen in der Gemeinschaftsordnung jedoch noch milder sei, richte sich die Rechtmäßigkeit des Beschlusses nach § 20 Abs. 1 WEG.

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall geht es um bauliche Veränderungen, die sich zwar im Bereich des Sondereigentums abspielen, aber die Substanz des gemeinschaftlichen Eigentums betreffen. Damit ist nicht § 13 Abs. 2 WEG einschlägig, sondern § 20 Abs. 1 WEG. Die Gestattung, die auch nachträglich ausgesprochen werden kann, bedarf von Gesetzes wegen nur einer einfachen Mehrheit, die im Fall erreicht worden ist. Etwas Anderes würde gelten, wenn die Wohnungseigentümer vereinbart hätten, dass der Beschluss eine höhere Mehrheit auf sich vereinigen muss. An dieser Stelle ist die Gemeinschaftsordnung auszulegen.

Altvereinbarungen

Vereinbarungen, die vor dem 1.12.2020 getroffen wurden und die von solchen Vorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes abweichen, die durch das Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetz vom 16.10.2020 (BGBl. I S. 2187) geändert wurden ("Altvereinbarungen"), stehen nach § 47 Satz 1 WEG der Anwendung dieser Vorschriften in der vom 1.12.2020 an geltenden Fassung nicht entgegen, soweit sich aus der Vereinbarung nicht ein anderer Wille ergibt. Ein solcher Wille ist in der Regel nach § 47 Satz 2 WEG nicht anzunehmen. Im Fall ist zu fragen, ob es einen entgegenstehenden Willen gibt. Das AG verneint die Frage. Es legt die Altvereinbarung aus und meint, diese habe die Gestattung einer baulichen Veränderung erleichtern wollen. Da das seit dem 1.12.2020 geltende Recht die Gestattung baulicher Veränderungen noch mehr erleichtert habe, entspreche dies dem Willen der Gemeinschaftsordnung. Dieses Denken entspricht der derzeit h. M. (siehe nur BeckOK WEG/Elzer, 53. Ed. 3.7.2023, WEG § 47 Rn. 10 mit weiteren Nachweisen).

Was ist für die Verwaltung besonders wichtig?

Eine Verwaltung kann für die Wohnungseigentümer nicht verbindlich entscheiden, ob eine Altvereinbarung nach § 47 WEG noch anwendbar ist oder nicht. Diese Klärung kann auch ein Gutachten durch einen Rechtsanwalt oder eine Universität nicht endgültig herstellen. Wollen die Wohnungseigentümer eine rechtsverbindliche Klärung, bedarf es eines rechtskräftigen Urteils, das den Inhalt der entsprechenden Regelung bestimmt. Bis zu dieser Klärung, die nicht unbedingt anzustreben ist, reicht es, wenn sich die Verwaltungen durch die Wohnungseigentümer anweisen lassen, wie sie das gemeinschaftliche Eigentum verwalten sollen. Hierzu ist den Eigentümern in einem ersten Schritt mitzuteilen, dass es in der Gemeinschaftsordnung eine Regelung gibt, die der jetzigen Gesetzeslage entgegensteht. Dann sollte den Wohnungseigentümern mitgeteilt werden, in welcher Weise diese Regelung verstanden werden könnte. Auf dieser Basis sind die Wohnungseigentümer dann in der Lage, der Verwaltung, möglicherweise auch auf deren Vorschlag, eine Weisung zu erteilen, ob sie ihrem Tun diese Vereinbarung zugrunde legen soll oder nicht.

6 Entscheidung

AG München, Urteil v. 13.10.2022, 1293 C 365/22 WEG

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