1 Leitsätze
Eine bauliche Veränderung liegt nicht allein deshalb vor, weil das Sondereigentum vom Bauträger abweichend vom Aufteilungsplan erstellt wird.
Der Anspruch auf erstmalige Herstellung eines den Plänen entsprechenden Zustands kann nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen sein.
2 Normenkette
§ 20 Abs. 1 WEG
3 Das Problem
Wohnungseigentümer K und die anderen Wohnungseigentümer streiten darüber, ob ein Balkon zurückzubauen/zu beseitigen ist. Das AG weist die entsprechende Beseitigungs-/Rückbauklage von Wohnungseigentümer K ab. K stehe weder ein Anspruch auf Rückbau eines Balkons noch auf Duldung eines solchen Rückbaus zu. Ferner bestehe kein Anspruch auf eine erstmalige plangerechte Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums. Der Aufteilungsplan enthalte zwar keinen Balkon. Nach der Gemeinschaftsordnung sei aber jeder Wohnungseigentümer berechtigt, an seinem Sondereigentum beliebige bauliche Veränderungen vorzunehmen. Hiergegen richtet sich die Berufung.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Es fehle bereits an einer baulichen Veränderung, der die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer entgegentreten müsste. Es sei zwar möglich, dass die Wohnungseigentumsanlage vom Bauträger abweichend vom Aufteilungsplan erstellt worden sei. Hierin liege aber noch keine bauliche Veränderung. Dass B für die Arbeiten des Bauträgers eine Baugenehmigung beantragt hatte, ändere nichts. K habe auch keinen Rückbau-/Beseitigungsanspruch unter dem Gesichtspunkt einer erstmaligen plangerechten Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums. Ein solcher Anspruch würde sich allerdings auch dann, wenn die Gemeinschaftsordnung die Erhaltungspflicht für einen Teil des gemeinschaftlichen Eigentums dem einzelnen Wohnungseigentümer auferlege, gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer richten. Daher erfordere die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs die vorherige Befassung der Versammlung. Komme ein Beschluss nicht zustande, bestehe die Möglichkeit einer Beschlussersetzungsklage. Ein Antrag auf Beschlussersetzung wäre allerdings unbegründet. Der ordnungsmäßige plangerechte Zustand werde bei zu errichtenden und bei bestehenden Gebäuden primär durch die Erklärungen zur Begründung von Wohnungseigentum, nämlich die Teilungserklärung oder den Teilungsvertrag und/oder durch den mitbeurkundeten oder den in Bezug genommenen Aufteilungsplan bestimmt. Aus dem Aufteilungsplan ergebe sich aber nicht, dass ein Balkonüberstand nicht dem plangerechten Zustand entspreche. Der Anspruch auf erstmalige Herstellung sei jedenfalls nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen. Die Abweichung sei gering, sei klein und betreffe nicht die Abgrenzung von Sondereigentum. Die mit einem Rückbau verbundenen Kosten stünden hingegen außer Verhältnis zu dem Nutzen.
5 Hinweis
- Welchen Inhalt ein rechtlicher Begriff hat, definieren die Juristen – und streiten dabei wie die Kesselflicker. Um diesen Streit zu unterbinden, bietet der Gesetzgeber manchmal "Legaldefinitionen". Dies ist häufig der Fall, wenn sich in einem Gesetz nach einer Folge von Worten eine Klammer findet, in der ein Begriff steht. So ist es bei § 20 Abs. 1 WEG. Dort findet sich nach den Worten "Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen" eine Klammer, in der sich der Begriff "bauliche Veränderungen" findet. Diese "Legaldefinition" ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht worden. Ihr ist nämlich nur zu entnehmen, dass sich Erhaltungsmaßnahmen und bauliche Veränderungen unterscheiden. Was eine bauliche Veränderung ist, ist damit noch nicht gesagt. Ich selbst biete etwa die folgende Präzisierung (siehe Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 20 Rn. 18): "Eine bauliche Veränderung ist positiv jede Maßnahme eines Wohnungseigentümers, die über eine ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgeht, dieses durch Eingriff in die Substanz des gemeinschaftlichen Eigentums umgestaltet und auf Dauer angelegt ist". Ich nutze den Begriff "Wohnungseigentümer" dazu, Eingriffe des Bauträgers aus dem Begriff der "baulichen Veränderung" auszuscheiden. Ich schreibe daher (siehe Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 20 Rn. 19), eine bauliche Veränderung liege nicht vor, wenn – wie im Fall – der Bauträger in das gemeinschaftliche Eigentum eingreift, beispielsweise ein Wohnungseigentum auf Verlangen des künftigen Wohnungseigentümers abweichend von Plänen erstellt.
- In einem solchen Fall besteht allerdings gegebenenfalls – wie es das LG auch erwägt – ein Anspruch der Wohnungseigentümer untereinander auf Herstellung eines den Plänen entsprechenden Zustands. Diesem sind Grenzen gesetzt. Denn der Anspruch, eine Korrektur der Bauausführung in Bezug auf die Eigentumsgrenzen zu verlangen, wird durch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) begrenzt. Er entfällt deshalb, wenn seine Erfüllung nach den Umständen des Einzelfalls nicht zuzumuten ist. So kann es nach der Rechtsprechung und auch nach den Hamburger Richtern etwa liegen, wenn die plangerechte Herstellung tiefgreifende Eingriffe in das Bauwerk erfordert oder Kosten verursacht, die auc...