Leitsatz (amtlich)
1. Die Zuständigkeit des AG, in Wohnungseigentumssachen eine einstweilige Anordnung zu erlassen, abzuändern oder aufzuheben, geht mit Einlegung der sofortigen Beschwerde auf das LG über.
2. Das Erfordernis der Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu einer baulichen Veränderung ist abdingbar.
3. Die Beurteilung, ob eine bauliche Veränderung andere Wohnungseigentümer beeinträchtigt, ist Sache des Tatrichters. Dieser kann sich dabei auf vorgelegte Pläne und Lichtbilder stützen, sofern diese geeignet sind, eine umfassende Beurteilung zu ermöglichen. Andernfalls ist ein Augenschein einzunehmen.
Normenkette
WEG § 14 Nr. 1, § 22 Abs. 1, § 44 Abs. 3
Verfahrensgang
LG München (Beschluss vom 05.02.2003; Aktenzeichen 1 T 17376/02) |
AG München (Beschluss vom 02.10.2002; Aktenzeichen 481 UR II 743/02) |
Tenor
I. Auf die sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des LG München I vom 5.2.2003 mit Ausnahme der dort ausgesprochenen Aufhebung des Beschlusses des AG München vom 2.10.2002 und der Geschäftswertfestsetzung aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.
III. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 40.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragstellerin und ihr Ehemann sowie die Antragsgegnerin sind die Wohnungseigentümer einer aus drei Wohnungen bestehenden Wohnanlage mit zwei Gebäuden samt Garagen und Sondernutzungsrechten an der Grundstücksfläche.
§ 8 der als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragenen Gemeinschaftsordnung lautet wie folgt: Teile des gemeinschaftlichen Eigentums, die einzelnen Sondereigentümern zur ausschließlichen Nutzung zugewiesen wurden, können vom jeweiligen Eigentümer ohne Zustimmung der übrigen Sondereigentümer verändert werden.
Die Antragsgegnerin beabsichtigt, auf der ihr zur Sondernutzung zugewiesenen Terrasse einen Wintergarten zu errichten. Das Vorhaben ist bauaufsichtlich genehmigt. Mit den Bauarbeiten wurde im Sommer 2002 begonnen.
Die Antragstellerin hat beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Bauarbeiten an dem Wintergarten zu unterlassen und diesen, soweit er bereits errichtet ist, zu beseitigen. Das AG hat dem Antrag am 12.9.2002 stattgegeben und am 2.10.2002 die Baueinstellung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Das LG hat durch Beschluss vom 5.2.2003 die beiden Beschlüsse des AG aufgehoben und die Anträge der Antragstellerin abgewiesen. Dagegen richtet sich deren sofortige weitere Beschwerde.
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg; es führt zur Aufhebung der Entscheidung des LG in der Hauptsache und zur Zurückverweisung an das LG.
1. Das LG hat ausgeführt: § 22 WEG sei nicht durch § 8 der Gemeinschaftsordnung abgedungen worden. Bei der angesichts der objektiven Interessenlage gebotenen restriktiven Auslegung sei unter Veränderungen der Eingriff in die bereits bestehende Substanz zu verstehen, nicht aber die Neuerrichtung eines Anbaus.
Auf die subjektiven Vorstellungen der Beteiligten bei Abschluss des Kaufvertrags über die Wohnung sei nicht abzustellen. Nachdem § 22 WEG nicht abgedungen sei, komme es auf die Einhaltung baurechtlicher Abstandsflächen nicht an.
Angesichts der baulichen Konzeption des Wintergartens, wie sie sich aus den vorgelegten Plänen und Lichtbildern ergebe, sowie der konkreten räumlichen Situation, die durch die Fotos verdeutlicht worden sei, bestehe keine Beeinträchtigung der Antragstellerin durch den Wintergarten. Die Sitz- und Nutzfläche befinde sich auf Kellerebene, an die sich ein Glasaufbau anschließe. Eine verstärkte Lärmbelästigung sei nicht zu befürchten. Da ausweislich der Lichtbilder an der Grenze eine dichte Fichtenbepflanzung bestehe, versperre der Wintergarten auch nicht die Sicht der Antragstellerin. Dass die Bepflanzung wieder beseitigt werden könne, rechtfertige hier keine andere Beurteilung. Ein Überschreiten der Grenze zwischen den Sondernutzungsflächen liege nicht vor.
Der Beschluss des AG über die vorläufige Vollstreckbarkeit sei schon deshalb aufzuheben, weil das AG nicht mehr zuständig gewesen sei, nachdem die sofortige Beschwerde anhängig geworden sei.
2. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung stand, soweit der Beschluss des AG vom 2.10.2002 aufgehoben und der ihm zu Grunde liegende Antrag abgewiesen wurde. Im Übrigen führt die sofortige weitere Beschwerde zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des LG und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.
a) Ohne Rechtsfehler hat das LG den Beschluss des LG vom 2.10.2002 über die vorläufige Vollstreckbarerklärung des Beschlusses vom 12.9.2002 aufgehoben. Zum Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt einer vorläufigen Vollstreckbarerklärung der Hauptsacheentscheidung vom 12.9.2002 war das AG nicht mehr befugt, nachdem die Sache durch Einlegung der sofortigen weiteren Beschwerde am 20.9.2002 beim Beschwerdegericht anhängig geworden war. Ab diesem Zeitpunkt liegt die Zuständigkeit für den Erlass ...