Leitsatz (amtlich)

1. Eine wirksame Zustellung setzt den Zustellungswillen der veranlassenden Behörde und ein Empfangsbekenntnis des Zustellungsadressaten, das in Kenntnis der Zustellung erfolgt ist, voraus.

2. Eine Rechtsmittelfrist beginnt erst mit der Zustellung einer Entscheidung, nicht aber mit der Zustellung eines Entwurfs der Entscheidung zu laufen.

3. Ist der Zuschlag bereits vor Zustellung des Nachprüfungsantrags erteilt, ist der im Nachprüfungsverfahren gestellte Antrag, den Zuschlag dem Beschwerdeführer zu erteilen, unzulässig.

4. Wird in einem schriftlichen Angebot ausgeführt, es folge ein Bestätigungsschreiben mit Detailfestlegungen, ist in der Regel nicht davon auszugehen, daß dieses wesentliche Vertragsbestandteile betrifft.

5. Jedenfalls der Auftragnehmer ist nicht gehindert, ein Rechtsgeschäft nach Zustellung des Nachprüfungsantrags mit rückwirkender Kraft für einen Zeitpunkt vor Zustellung des Nachprüfungsantrags zu genehmigen.

6. Es ist gesetzlich nicht bestimmt, daß ein Bauvertrag erst durch schriftliche Vollziehung seitens beider Parteien rechtswirksam wird.

7. Bei einer Teilentscheidung kann die ungerechtfertigte Versagung der Akteneinsicht im Beschwerdeverfahren nur insoweit gerügt werden, als die Rüge den Teil der Hauptsache betrifft, der dem Beschwerdegericht angefallen ist.

8. Akteneinsicht in das Angebot eines anderen Bieters ist zu versagen, wenn der im Nachprüfungsverfahren gestellte Antrag unzulässig ist, weil bereits vor Zustellung des Nachprüfungsantrags der Zuschlag erteilt worden ist.

 

Normenkette

BGB §§ 150, 184; GWB § 61 Abs. 1 S. 1, §§ 99, 111, 113, 114 Abs. 3 S. 3, § 115

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Südbayern

 

Tenor

I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß der Vergabekammer Südbayern vom 30. Juni 2000 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragstellerin wird im Beschwerdeverfahren eine weitergehende Akteneinsicht, als sie durch die Verfügung des Vorsitzenden der Vergabekammer Südbayern vom 16. Juni 2000 eingeräumt wurde, nicht gewährt.

III. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

IV. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.091.570,– DM festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Vergabestelle, die Autobahndirektion, schrieb den Neubau und die Integration der bereits vorhandenen Verkehrsbeeinflussungsanlagen … aus. Bei der Vergabestelle gingen mehrere Angebote, unter anderem der Antragstellerin und der Beigeladenen, ein.

Die Vergabestelle teilte mit Telefax vom 31.5.2000 der Beigeladenen unter anderem folgendes mit:

Hiermit erhalten Sie unter den nachfolgenden Bedingungen vorab per Fax den Auftrag für das Bauvorhaben … nach Maßgabe Ihres Angebots vom 7.3.2000 und der Bietergespräche vom 6.4.2000 und 30.5.2000. Zur Ausführung kommen … Das Bestätigungsschreiben mit allen Anlagen sowie die Detailfestlegungen wird Ihnen in Kürze zugehen.

Noch am gleichen Tage übermittelte die Vergabestelle der Antragstellerin dann ein Telefax mit dem Inhalt, daß der Auftrag an die Beigeladene erteilt worden sei.

Die Antragstellerin hat daraufhin, noch am 31.5.2000, bei der Vergabekammer die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens beantragt.

Am 2.6.2000 (zwischen 9.00 Uhr und 9.30 Uhr) telefonierte der stellvertretende Abteilungsleiter der Vergabestelle mit dem Gesamtprokuristen der Beigeladenen; letzterer bedankte sich dabei für die Auftragserteilung.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wurde durch die Vergabekammer der Vergabestelle am 2.6.2000 (9.58 Uhr) zugestellt.

Die Antragstellerin hat am 5.6.2000 Akteneinsicht beantragt. Der Vorsitzende der Vergabekammer bestimmte am 16.6.2000 den Umfang der Akteneinsicht wie folgt:

Jeder Verfahrensbeteiligte erhält Einsicht in sein eigenes Leistungsverzeichnis, den Vergabe vermerk gemäß § 30 VOB/A und sonstige gleichwertige Unterlagen der Vergabestelle über alle Stufen des Vergabeverfahrens, insbesondere der Prüfung und Wertung der Angebote. Einsicht in die Leistungsverzeichnisse anderer Bieter kann im Sinn des § 111 Abs. 2 GWB nicht zugelassen werden, da eine mögliche Ausforschung des technischen Wissens anderer Bieter nicht im Rechtsschutzinteresse der Verfahrensbeteiligten liegt.

Die Antragstellerin brachte in ihrem Nachprüfungsantrag und im weiteren Verlauf des Verfahrens vor, ihr Angebot sei von der Vergabestelle, der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern und dem Ingenieurbüro, das die Wertung durchgeführt habe, als das wirtschaftlichste Angebot zur Annahme empfohlen worden. Erst aufgrund der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen vertretenen Auffassung, daß ein Nebenangebot der Antragstellerin nicht berücksichtigt werden dürfe, sei es zu einer Verschiebung der Bieterreihenfolge zugunsten der Beigeladenen gekommen. Eine Vorabmitteilung über die beabsichtigte Zuschlagserteilung sei unterblieben. Ein wirksamer Vertragsschluß zwischen der Beschwerdegegnerin und der Beigeladenen vor Zustellung des Nachprüfungsantrags liege nicht vor. Das Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 31.5...

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