Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung und Rechtsfolge einer Pflichtteilsklausel (Verwirkungsklausel) im sog. Berliner Testament, wenn ein als Schlusserbe eingesetzter Abkömmling nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil gefordert und erhalten, aber später an den überlebenden Elternteil zurückgezahlt hat.
Verfahrensgang
LG Kempten (Beschluss vom 09.10.2002; Aktenzeichen 4 T 669/01) |
AG Lindau (Bodensee) (Beschluss vom 14.02.2001; Aktenzeichen VI 664/00) |
Tenor
I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) wird der Beschluss des LG Kempten (Allgäu) vom 9.10.2002 aufgehoben.
II. Die Beschwerde der Beteiligten zu 5a) bis i) gegen den Beschluss des AG Lindau vom 14.2.2001 wird zurückgewiesen.
III. Die Beteiligten zu 5a) bis i) haben dem Beteiligten zu 2) die diesem im Verfahren der Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
IV. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 18.670 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die 2000 im Alter von 85 Jahren verstorbene Erblasserin und ihr 1970 verstorbener Ehemann hatten sechs Kinder, die Beteiligten zu 1) bis 5) und den – 1996 verstorbenen – Vater der Beteiligten zu 6) (die dessen einziges Kind ist). Die Eheleute haben am 18.2.1964 ein eigenhändiges gemeinschaftliches Testament errichtet, das auszugsweise lautet wie folgt:
„Unser letzter Wille.
Wir, die Eheleute …, erklären hiermit unseren letzten Willen: Wir setzen uns gegenseitig, der Erstversterbende den Überlebenden, zu uneingeschränkten und alleinigen Erben ein.
Nach dem Tod des letztversterbenden Ehegatten erhalten unsere Kinder … (die Beteiligten zu 1) bis 5) und der Vater der Beteiligten zu 6) den Nachlass zu gleichen Teilen.
Wer von unseren Kindern beim ersten Erbfall seinen Pflichtteil verlangt, soll auch beim Tod des zuletzt versterbenden Elterteils nur den Pflichtteil erhalten ….”
Nach dem Tod des Ehemanns der Erblasserin haben die Beteiligte zu 4) und der Beteiligte zu 5) den Pflichtteil i.H.v. jeweils 9.500 DM gefordert und erhalten.
In einer handschriftlichen „Bestätigung” vom 4.8.1985 hat die Erblasserin erklärt:
„Hiermit bestätige ich meinem Sohn … (dem Beteiligten zu 5) und meiner Tochter … (der Beteiligten zu 4), dass sie beide den seinerzeit erhaltenen Pflichtteil i.H.v. 9.500 DM an mich zurückgezahlt haben, so dass sie jetzt wieder so zu behandeln sind, als hätten sie niemals einen Pflichtteil nach ihrem Vater beansprucht und erhalten.”
Der Beteiligte zu 5) hat mit einer öffentlich beglaubigten Erklärung vom 5.10.2000, beim Nachlassgericht eingegangen am 10.10.2000, die Erbschaft nach seiner Mutter ausgeschlagen. Die Beteiligten zu 5a) bis i) sind seine neun (minderjährigen) Kinder.
Der Beteiligte zu 1) hat die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt, der bezeugen soll, dass die Erblasserin von den Beteiligten zu 1) bis 3 und der Beteiligten zu 6) zu je 1/4 beerbt wurde. Er ist der Meinung, dass die Schlusserbeinsetzung der Beteiligten zu 4) und 5 entfallen ist, weil diese ihren Pflichtteil am Nachlass des Vaters geltend gemacht haben. Auch die Kinder des Beteiligten zu 5) kämen nicht als Miterben in Betracht, weil die in der Pflichtteilsklausel verfügte Enterbung des Beteiligten zu 5) für seinen ganzen Stamm gelte. Die Bestätigung der Erblasserin vom 4.8.1985 könne nicht dazu führen, dass die im Testament verfügte Enterbung der den Pflichtteil nach dem Vater verlangenden Kinder als aufgehoben anzusehen sei.
Die Beteiligten zu 5a) bis i) sind dem Antrag entgegengetreten. Sie sind der Meinung, dass auch sie – und die Beteiligte zu 4) – Miterben seien. Die Bestätigung der Erblasserin vom 4.8.1985 sei als Verfügung von Todes wegen zu werten.
Mit Vorbescheid vom 14.2.2001 hat das Nachlassgericht angekündigt, einen Erbschein gem. dem Antrag des Beteiligten zu 1) zu erteilen. Die Eheleute hätten die Einsetzung ihrer Kinder als Schlusserben mit der auflösenden Bedingung versehen, dass sie für Kinder, die nach dem Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen, entfalle. Die auflösende Bedingung sei für die Beteiligte zu 4) und den Beteiligten zu 5) eingetreten, weil sie beim Tod des Vaters den Pflichtteil beansprucht und erhalten hätten. Sie seien damit als Schlusserben weggefallen. Dass sie später den Pflichtteil möglicherweise zurückgezahlt hätten, ändere daran nichts. Die Enterbung des Beteiligten zu 5) gelte auch für dessen Abkömmlinge, da der Sanktion sonst die von den Eheleuten beabsichtigte Härte fehlen würde.
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 5a) bis i) hat das LG mit Beschluss vom 9.10.2002 den Vorbescheid aufgehoben und den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.
Die Beteiligten zu 1) und 2) haben gegen diesen Beschluss weitere Beschwerde eingelegt.
II. Die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 1) und 2) sind zulässig; insb. ist auch der Beteiligte zu 2) als durch die Abweisung des Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 1) mitbetroffener Miterbe beschwerdeberechtigt (§ 20 Abs. 1 FGG). Dass er selbst den Erbscheinsantrag nicht gestellt hat, steht sein...