Leitsatz (amtlich)
Im Falle der Verweisung des Rechtsstreits durch die Zivilkammer an die Kammer für Handelssachen desselben Gerichts tritt jedenfalls dann nicht nur hinsichtlich der funktionellen, sondern auch hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit Bindungswirkung ein, wenn die Zivilkammer die Zuständigkeit auch in dieser Hinsicht geprüft und bejaht hat.
Normenkette
GVG § 98 Abs. 1 S. 1, § 102 S. 2
Verfahrensgang
LG Augsburg (Aktenzeichen 2 HKO 5333/01) |
LG Hagen (Aktenzeichen 22 O 159/02) |
Tenor
Zuständig ist das LG Augsburg.
Gründe
I. Der Kläger macht als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma A., einer Produzentin von Ladeneinrichtungen, gegen die Beklagte Zahlungsansprüche als Entgelt für die Herstellung und Lieferung von Ladeneinrichtungen geltend. Er hat deshalb bei dem LG Augsburg – Zivilkammer – Klage erhoben. Zur örtlichen Zuständigkeit des LG Augsburg hat der Kläger vorgetragen, dass die Auftragsbestätigungen, die den erbrachten Leistungen zugrunde lägen, als Erfüllungsort und Gerichtsstand Augsburg festlegten.
Die Beklagte hat die örtliche Zuständigkeit des LG Augsburg gerügt und vorgetragen, eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung sei nicht zustandegekommen. Hilfsweise für den Fall, dass sich das LG Augsburg für zuständig halten sollte, hat die Beklagte beantragt, den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen zu verweisen.
Der Kläger ist der Rüge der örtlichen Zuständigkeit des LG Augsburg unter Vorlage weiterer Auftragsbestätigungen entgegengetreten und hat lediglich für den Fall, dass das LG Augsburg nicht von seiner Zuständigkeit ausgeht, vorsorglich und hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits an das LG Hagen beantragt.
Mit Beschluss vom 3.4.2002 hat die Zivilkammer des LG Augsburg entschieden: „Der Rechtsstreit wird auf Antrag der Beklagten an die zuständige Kammer für Handelssachen des LG Augsburg verwiesen (§§ 98 Abs. 1 S. 1, 101 GVG).”
In den Gründen des Verweisungsbeschlusses vom 3.4.2002 ist ausgeführt, eine Verweisung des Rechtsstreits an das LG Hagen komme nicht in Betracht, da zumindest die so genannte „Auftragsbestätigung II” eine wirksame Vereinbarung über den Erfüllungsort i.S.d. § 29 Abs. 2 ZPO enthalte. Der Rechtsstreit sei jedoch an die zuständige Kammer für Handelssachen zu verweisen, da es sich um eine Handelssache i.S.d. § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG handele und der klagende Insolvenzverwalter dem Kaufmann, dessen Insolvenzmasse er verwalte, gleichstehe.
Der Vorsitzende der nunmehr mit der Sache befassten Kammer für Handelssachen bei dem LG Augsburg wies die Klagepartei mit Verfügung vom 9.10.2002 darauf hin, dass bezüglich der örtlichen Zuständigkeit des LG Augsburg erhebliche Bedenken bestünden. In der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2002 erneuerte der Vorsitzende diesen Hinweis und setzte die Parteien davon in Kenntnis, dass nach Auffassung der Kammer für Handelssachen das LG Hagen örtlich zuständig sei. Nach diesem Hinweis beantragte der Kläger, den Rechtsstreit an das LG Hagen zu verweisen.
Durch Beschluss vom 15.10.2002 hat die Kammer für Handelssachen des LG Augsburg entschieden: „Das LG Augsburg erklärt sich für örtlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf Antrag des Klägers nach Anhörung der Beklagten an das örtlich und sachlich zuständige LG Hagen, Kammer für Handelssachen.” Der Beschluss enthält keine Gründe.
Das LG Hagen – Kammer für Handelssachen – hat mit Beschluss vom 25.10.2002 die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Akten dem OLG München zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Das OLG München legte die Akten dem BayObLG vor.
II. Als zuständiges Gericht war das LG Augsburg zu bestimmen. Die nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dafür maßgebenden Voraussetzungen liegen vor.
1. Das BayObLG ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO für die Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem zuerst mit der Sache befassten LG Augsburg und dem LG Hagen zuständig.
2. Örtlich zuständig ist jedenfalls aufgrund des bindenden Verweisungsbeschlusses der Zivilkammer des LG Augsburg vom 3.4.2002 das LG Augsburg.
a) Bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO sind nicht nur die Zuständigkeitsvorschriften selbst, sondern auch die verfahrensrechtlichen Bindungswirkungen zu beachten. entspr. dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, durch Anordnung der Bindung einen Zuständigkeitsstreits unter mehreren Gerichten im Interesse der beteiligten Parteien abzukürzen, geht die Bindungswirkung grundsätzlich den materiellen Zuständigkeitsregeln vor. Als zuständig ist daher dasjenige Gericht zu bestimmen, an das die Sache durch den ersten bindenden Verweisungsbeschluss gelangte (vgl. BayObLGZ 1989,235 [238]; BayObLG v. 14.11.1991 – AR 1 Z 84/91, BayObLGZ 1991, 387 [389]; BayObLG v. 14.3.2000 – 4 Z AR 21/00, NJW-RR 2001, 646 [647]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rz. 28). Die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses entfällt nur dann, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt, so dass sie als objektiv willkürlich erscheint, od...