Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbeschwerde. Sachrüge. Geldbuße. Bußgeld. Urteilsaufhebung. Tatgericht. Schuldspruch. Urteilsgründe. Feststellungen. Beweiswürdigung. Beweisergebnis. Betroffeneneinlassung. Tatsachen. Tatsachengrundlage. Nachvollziehbarkeit. widersprüchlich. verstandesmäßig. Kind. minderjährig. Schüler. Schülerin. Grundschule. Schulunterricht. Schulbesuch. Schulpflicht. Schulpflichtverletzung. Sorgetragen. Obliegenheit. Obliegenheitsverletzung. Unterricht. Präsenzunterricht. Corona. Testung. Testobliegenheit. Erziehungsberechtigte. Mutter. Vater. Eltern. Handlungsmöglichkeiten. erfolgsversprechend. Versuch. fruchtlos. Schulbehörde. Schulverweigerung. Psychologin. Psychologe. Beratungstermin. Therapiegespräch. Maßnahme. Unterlassung. Einwirken. erzieherisch. Zureden. Schimpfen. Hausarrest. zumutbar
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beweiswürdigung des Tatgerichts hat sich auf eine verstandesmäßig nachvollziehbare Tatsachengrundlage zu stützen. Dem wird ein tatrichterliches Urteil nicht gerecht, wenn die dem Schuldspruch zugrunde gelegten Feststellungen durch die Beweiswürdigung nicht nur nicht belegt werden, sondern die Urteilsfeststellungen sogar dem Ergebnis der Beweiswürdi- gung widersprechen.
2. Im Falle einer Verurteilung eines Erziehungsberechtigten, entgegen den gesetzlichen Ver- pflichtungen nicht dafür Sorge getragen zu haben, dass das minderjährige Kind am Schulun- terricht teilnimmt, hat das Tatgericht grundsätzlich erfolgversprechende Handlungsmöglichkei- ten, die nicht ergriffen wurden, aufzuzeigen. Insbesondere in Fällen, in denen der Erziehungs- berechtigte wiederholt ernsthafte, wenn auch im Ergebnis fruchtlose Versuche unternommen hat, das Kind zum Schulbesuch zu bewegen, hat sich das Tatgericht hiermit eingehender aus- einanderzusetzen (Anschl. an BayObLG, Beschl. v. 20.02.2023 - 202 ObOWi 1584/22 bei juris = BeckRS 2023, 5132).
Normenkette
BayEUG Art. 74 Abs. 2 S. 1, Art. 76 S. 2, Art. 119 Abs. 1 Nr. 2; StPO § 349 Abs. 2, § 353; OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, Abs. 6, § 80a Abs. 1
Verfahrensgang
AG Kulmbach (Entscheidung vom 24.10.2022) |
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Kulmbach vom 24. Oktober 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Kulmbach zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht die Betroffene wegen vorsätzlicher Verletzung der ihr als Erziehungsberechtigte und Mutter gemäß Art. 74 Abs. 2 Satz 1, 76 Satz 2 i.V.m. Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG obliegenden Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass ihre minderjährige schulpflichtige Tochter in dem Zeitraum vom 10.01. bis zum 24.10.2022 am Unterricht regelmäßig teilnimmt und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besucht, zu einer Geldbuße in Höhe von 600 Euro verurteilt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,
die Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 Satz1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil die Überzeugung des Tatgerichts hinsichtlich der den Schuldspruch tragenden Feststellungen von den im Urteil mitgeteilten Beweistatsachen und der aus diesen gezogenen Folgerungen und dem Beweisergebnis nicht getragen werden. Auf die verfahrensrechtlichen Beanstandungen kommt es nicht mehr an.
1. Zwar wird die Verurteilung von den getroffenen Feststellungen (vgl. hierzu zuletzt BayObLG, Beschl. v. 20.02.2023 - 202 ObOWi 1584/22 bei juris = BeckRS 2023, 5132) getragen, allerdings werden diese Feststellungen durch die Beweiswürdigung, die maßgeblich auf "dem Gesamtbild der Äußerungen der Betroffenen" beruht, nicht belegt.
2. Aus den Urteilsgründen ergibt sich vielmehr, dass die Betroffene immer wieder durchaus ernsthafte, wenn auch im Ergebnis fruchtlose Versuche unternommen hat, ihre Tochter zum Schulbesuch zu bewegen. So suchte die Betroffene nach einem Diskussionsgespräch mit Vertretern des Landratsamtes entsprechend dem dort verabredeten Vorgehen mit ihrer Tochter eine auf Schulverweigerung spezialisierte Psychologin bei Köln auf. Dem dortigen persönlichen Beratungstermin schlossen sich zwei weitere online durchgeführte Therapiegespräche mit ihrer Tochter an, in deren Anschluss die Tochter der Betroffenen in Absprache mit der Psychologin auch einen oder zwei Tage freiwillig in die Schule ging. Darüber hinaus versuchte die Betroffene immer wieder, ihre Tochter durch gutes Zureden, aber auch durch Schimpfen zum Schulbesuch zu bewegen. Sogar die Wegnahme des Lieblingsspielzeugs der Tochter und die Anordnung von Hausarrest blieben indes fruchtlos.
3. Vor diesem Hintergrund entbehrt die Überzeugung des Amtsgerich...