Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung auf Büropersonal. Fristenberechnung. Berufungsbegründungsfrist. Neues Recht
Leitsatz (redaktionell)
Wird die Berechnung der Berufungsbegründungsfrist nach neuem Recht in einem Büro erstmals notwendig, kann das Vorliegen einer geläufigen Routinefrist verneint werden. Der Rechtsanwalt muss daher sicherstellen, dass ihm die Feststellung des Beginns und des Endes dieser Frist in diesem Fall vorbehalten bleibt.
Normenkette
ZPO §§ 233, 520 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Kleve (Beschluss vom 08.10.2002) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 8. Oktober 2002 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 1.149,81 EUR.
Tatbestand
I.
Die Klägerin hat die Beklagte aus einem am 15. März 2001 geschlossenen Kaufvertrag über einen gebrauchten Pkw auf Zahlung von 4.748,83 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Nachdem die Beklagte die Klageforderung in Höhe eines Teilbetrages von 1.278,23 EUR anerkannt hatte, hat das Amtsgericht die Beklagte durch Urteil vom 15. Mai 2002 zur Zahlung des anerkannten Betrages nebst Zinsen verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen.
Gegen das den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 14. Juni 2002 zugestellte Urteil haben diese am 15. Juli 2002 (Montag) Berufung eingelegt und sodann mit Schriftsatz vom 15. August 2002, eingegangen bei Gericht am gleichen Tage, die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt. Nachdem die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit gerichtlichem Schreiben vom 21. August 2002, zugestellt am 27. August 2002, auf die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen worden waren, haben diese für die Klägerin mit Schriftsatz vom 9. September 2002 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Rechtfertigung haben sie vorgetragen, die Fristversäumnis beruhe darauf, daß die Rechtsanwaltsfachangestellte P. die Berufungsbegründungsfrist nach Eingangsbestätigung des Gerichts nach alter Rechtslage notiert habe, obwohl sie durch – von ihr unterzeichnete – Dienstanweisung vom 2. Januar 2002 auf die Änderung der Berufungsbegründungsfristen hingewiesen worden sei, die sich durch die am 1. Januar 2002 in Kraft getretene ZPO-Reform ergeben hat. Da in der Folgezeit bis zum 14. Juni 2002 in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin keinerlei Berufungsfristen und dementsprechend auch keine Begründungsfristen zu notieren gewesen seien, sei die Änderung bei der Angestellten P. offenbar in Vergessenheit geraten.
Das Landgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 15. Mai 2002 als unzulässig verworfen.
Gegen den am 21. Oktober 2002 zugestellten Beschluß richtet sich die am 21. November 2002 eingegangene Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie ihr Wiedereinsetzungsgesuch weiterverfolgt und die Aufhebung der vom Landgericht ausgesprochenen Verwerfung der Berufung erstrebt. Sie macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend, die sie in der Frage sieht, ob es im Rahmen der ZPO-Reform ausreichend gewesen sei, mit dem geschulten und zuverlässigen Büropersonal, dem die Berechnung der im Büro geläufigen Fristen übertragen worden sei, die neue Fristensituation zu erörtern und darüber eine – abgezeichnete – Dienstanweisung zu erstellen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 – V ZB 16/02, NJW 2002, 3029 unter II); daß die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erreicht ist, ist unschädlich (BGH, Beschluß vom 4. September 2002 – VIII ZB 23/02, NJW 2002, 3783 unter II 1; BGH, Beschluß vom 19. September 2002 – V ZB 31/02, NJW-RR 2003, 132 unter II 1).
2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 aaO; BGH, Beschluß vom 5. November 2002 – VI ZB 40/02, NJW 2003, 437 unter II 1). Ein solcher Fall liegt nicht vor.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Rechtsanwalt die Berechnung der allgemein anfallenden einfachen Fristen sowie die Führung des Fristenkalenders im Rahmen einer von ihm zu verantwortenden Büroorganisation auf sein geschultes, als zuverlässig erprobtes und sorgfältig überwachtes Personal zur selbständigen Erledigung übertragen (vgl. BGHZ 43, 148, 153; BGH, Beschluß vom 13. Januar 2000 – VII ZB 20/99, NJW 2000, 1872 unter a; BGH, Beschluß vom 27. März 2001 – VI ZB 7/01, NJW-RR 2001, 1072 unter II m.w.Nachw.). Allerdings muß der Rechtsanwalt durch geeignete Anweisungen sicherstellen, daß ihm die Feststellung des Beginns und des Endes der Fristen in den Fällen vorbehalten bleibt, die in seiner Praxis ungewöhnlich sind oder bei deren Berechnung Schwierigkeiten auftreten können (BGHZ aaO; siehe auch Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rdnr. 23 Stichwort „Übertragung auf Büropersonal” m.w.Nachw.).
Ob der Rechtsanwalt diesen Sorgfaltsanforderungen nachgekommen ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Das Berufungsgericht hat unter Beachtung der vorgenannten Grundsätze im Streitfall das Vorliegen einer geläufigen Routinefrist verneint, da im Büro des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ein Fall, in dem eine Berufungsbegründungsfrist nach neuem Recht (§ 520 Abs. 1 Satz 1 ZPO) berechnet werden mußte, noch nicht aufgetreten war und dies im vorliegenden Verfahren erstmals notwendig wurde. Damit hat das Berufungsgericht unter Würdigung der konkreten Einzelfallumstände einen Sorgfaltsverstoß des Klägersvertreters bejaht, ohne daß eine abstrakte, der Verallgemeinerung zugängliche Rechtsfrage, insbesondere die Behandlung der Berufungsbegründungsfristen nach neuem Recht, aufgeworfen wird.
b) Das Berufungsgericht hat auch nicht die Anforderungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand überspannt und dadurch das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes und rechtliches Gehör verletzt. Voraussetzung für eine hierauf gestützte Rechtsbeschwerde ist, daß nach den Darlegungen des Beschwerdeführers ein Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte im Einzelfall klar zutage tritt, also offenkundig ist, und die angefochtene Entscheidung hierauf beruht (BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 aaO unter II 3 b aa; BGH, Beschluß vom 19. Dezember 2002 – VII ZR 101/02, zur Veröffentlichung bestimmt unter II 2 b dd). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
3. Nach alledem war die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.
Unterschriften
Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Leimert, Wiechers, Dr. Wolst
Fundstellen
Haufe-Index 932368 |
NJW-RR 2003, 1211 |
KammerForum 2003, 417 |