Leitsatz (amtlich)
Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes wegen überspannter Anforderungen an die hinreichende Substantiierung des Klägervortrags.
Normenkette
BGB § 823 M; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 28.12.2017; Aktenzeichen I-3 U 29/17) |
LG Duisburg (Entscheidung vom 02.06.2017; Aktenzeichen 10 O 106/16) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 28.12.2017 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert wird auf 65.689,92 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin nimmt den beklagten Hersteller von Schließzylindern aus übergegangenem Recht ihres Ehemannes auf Ersatz materiellen Schadens unter dem Gesichtspunkt der Haftung für wirkungslose Produkte in Anspruch. Sie macht geltend, in der Zeit zwischen dem 2. und 5.12.2013 sei es zu einem Einbruch in das Haus ihres Ehemannes gekommen, bei dem Wertgegenstände mit einem Gesamtwert von rund 69.000 EUR entwendet worden seien. Als einzig denkbare Einbruchstechnik komme das sog. Lockpicking, nämlich das Öffnen des Türschlosses mittels eines Weichholzes, etwa einem einfachen Zahnstocher, in Betracht. Sämtliche Türen seien zum Zeitpunkt des Einbruchs ordnungsgemäß verschlossen gewesen. Ein Nachschlüsseldiebstahl scheide aus. Die Polizei habe bis auf leichte Hebelspuren an einer der Türen keine Einbruchsspuren festgestellt. Die Schlösser seien mit Schließanlagen der von der Beklagten hergestellten K. Serie versehen gewesen. Diese hätten keinen ausreichenden Schutz gegen Lockpicking geboten.
Rz. 2
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
II.
Rz. 3
Das Berufungsgericht hat Ansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB und § 1 Abs. 1 Produkthaftungsgesetz mit der Begründung verneint, dass die Klägerin das Vorliegen eines Produktfehlers nicht ausreichend konkret dargelegt habe. Dass die Schließzylinder tatsächlich dem sog. Lockpicking nicht standgehalten haben könnten und es deshalb zu dem von der Klägerin behaupteten Einbruch gekommen sei, habe die Klägerin nicht schlüssig vorgetragen. Nach ihrem Vortrag habe dem Täter ein Zeitraum von drei Tagen zur Verfügung gestanden, um die Schließzylinder zu überwinden, weshalb keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der behaupteten Öffnung des Schließzylinders innerhalb eines Zeitraums von wenigen Minuten vorlägen. Gegen die behauptete Überwindung des Schließzylinders durch einen Täter, der das Lockpicking beherrsche, spreche zudem der Umstand, dass nach dem Vortrag der Klägerin an der rückwärtigen Eingangstür leichte Hebelspuren zu finden gewesen seien. Auch auf der Basis des Vortrags der Klägerin zu dem erwarteten Sicherheitsstandard der Schließzylinder sei ein Fehler der streitgegenständlichen Zylinder nicht ersichtlich. Die Klägerin habe ausgeführt, die Beklagte bewerbe die von ihr hergestellten Zylinder als "unknackbar". Näherer Vortrag hierzu fehle indes. Etwaige Werbegrundlagen oder Produktbeschreibungen lege die Klägerin nicht vor. Nicht weiterführend sei auch der weitere Vortrag der Klägerin, die Profilzylinder gehörten zu der Angriffswiderstandsklasse 2. So lege die Klägerin die vertraglichen Vereinbarungen mit der Firma K., bei der der Zedent die streitgegenständlichen Schließzylinder erworben haben solle, nicht vor. Es fehle konkreter Vortrag der Klägerin zu dem Widerstand der streitgegenständlichen Schließzylinder gegen Aufsperrversuche.
III.
Rz. 4
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gem. § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht schlüssig vorgetragen, dass die von der Beklagten hergestellten Schließzylinder dem sog. Lockpicking nicht standgehalten haben könnten und es deshalb zu dem von der Klägerin behaupteten Einbruch gekommen sei, beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Rz. 5
a) Art. 103 Abs. 1 GG vermittelt allen an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten einen Anspruch darauf, sich zu dem in Rede stehenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfGE 19, 32, 36; 49, 325, 328; 55, 1, 6; 60, 175, 210; 64, 135, 143 f.). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, tatsächliche und rechtliche Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BGH, Beschl. v. 29.5.2018 - VI ZR 370/17, VersR 2018, 1001 Rz. 8; BVerfGE 60, 1, 5; 65, 227, 234; 84, 188, 190; 86, 133, 144 ff.; BVerfG, Beschl. v. 1.8.2017 - 2 BvR 3068/14, NJW 2017, 3218 Rz. 47). Dabei darf das Gericht die Anforderungen an die Substantiierung des Parteivortrags nicht überspannen. Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verstößt sie gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie offenkundig unrichtig ist (vgl. BGH, Beschl. v. 11.9.2013 - IV ZR 259/12, NJW 2014, 149 Rz. 15; v. 20.10.2015 - XI ZR 532/14, NZG 2016, 70 Rz. 12; v. 5.6.2018 - XI ZR 388/16, BKR 2019, 51, juris Rz. 15; v. 20.11.2018 - II ZR 132/17; v. 18.9.2018 - XI ZR 74/17, MDR 2019, 692 Rz. 20; v. 20.11.2018 - II ZR 132/17, juris Rz. 14).
Rz. 6
b) So verhält es sich im Streitfall. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe nicht schlüssig vorgetragen, dass die von der Beklagten hergestellten Schließzylinder dem sog. Lockpicking nicht standgehalten haben könnten und es deshalb zu dem von der Klägerin behaupteten Einbruch gekommen sein könne, beruht auf einer offenkundigen Überspannung der Substantiierungsanforderungen. Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, hatte die Klägerin in den Tatsacheninstanzen vorgetragen,
Rz. 7
- dass es sich beim Lockpicking um eine Form der Schlossöffnung handle, zu der das LKA Berlin unter dem Aktenzeichen "LKA PTU 23" einen Feldversuch durchgeführt habe, dessen Zweck der Nachweis gewesen sei, dass von der Beklagten produzierte Zylinder mit Hilfe von Weichhölzern, vorzugsweise Zahnstochern, zu öffnen seien,
Rz. 8
- dass das Lockpicking auch im Nachhinein nachweis- und belegbar sei, dass im Streitfall lediglich drei Zylinder (die an der vorderen Eingangstür, der hinteren Eingangstür und der Kellertür) in Betracht kämen und anhand dieser noch vorliegenden Zylinder durch Sachverständigenbeweis belegbar sei, dass sie mittels des Lockpickings geöffnet worden seien, wobei vieles dafür spreche, dass der oder die Diebe durch den rückwärtigen Eingang eingedrungen seien,
Rz. 9
- dass die Klägerin bei dem Kauf der Schließanlage nicht damit habe rechnen müssen, dass ein Schließzylinder der vorliegenden Art, der seinerzeit etwa 120 EUR gekostet habe, mit primitivsten Werkzeugen wie einem Weichholz habe geöffnet werden können.
Rz. 10
Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass diesem Vortrag der Klägerin nicht mit der Begründung die Schlüssigkeit abgesprochen werden kann, für die Täter habe ein Zeitraum von drei Tagen zur Verfügung gestanden, um die Schließzylinder zu überwinden, weshalb keine Anhaltspunkte dafür beständen, dass der Schließzylinder innerhalb weniger Minuten geöffnet worden sei. Diese Erwägung des Berufungsgerichts läuft auf eine unzulässige antizipierte Beweiswürdigung hinaus. Gleiches gilt, soweit das Berufungsgericht darauf abgestellt hat, dass die an der rückwärtigen Eingangstür festgestellten Hebelspuren gegen Lockpicking sprächen und die Klägerin weder Produktbeschreibungen der "unknackbaren" Zylinder noch vertragliche Vereinbarungen über den Erwerb der Schließzylinder vorgelegt habe.
Rz. 11
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts oblag es der Klägerin auch nicht, konkret zu dem Widerstand der streitgegenständlichen Schließzylinder gegen Aufsperrversuche vorzutragen. Nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Klägerin behauptet, die Profilzylinder hätten nach den Angaben der Beklagten zu der Angriffswiderstandsklasse 2 gehört. Dies genügt. Welchen tatsächlichen Widerstand die Schließzylinder gegen Aufsperrversuche hatten, kann die Klägerin mangels näherer Kenntnisse von der Bauart der Zylinder und mangels Sachkunde nicht beurteilen. Unter anderem zur Klärung dieser Frage hatte sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt.
Rz. 12
c) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.
III.
Rz. 13
Das angegriffene Urteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird dabei die Rechtsprechung des Senats zur Haftung des Herstellers für wirkungslose Produkte zu berücksichtigen haben (vgl. BGH, Urt. v. 17.3.1981 - VI ZR 191/79, BGHZ 80, 186 und VI ZR 286/78, BGHZ 80, 199; v. 18.9.1984 - VI ZR 51/83, VersR 1984, 1151).
Fundstellen
Haufe-Index 13397381 |
NJW-RR 2019, 1530 |
JZ 2019, 716 |
JZ 2019, 722 |
AnwaltSpiegel 2020, 5 |