Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermessensfehlerhaftigkeit einer weiteren Verfahrensaussetzung bei Aussetzung der Verhandlung im Parallelprozess. Hemmung des Fortgangs beider Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Ein Beschluss über die Aussetzung der Verhandlung bis zur Entscheidung eines bei einem anderen Gericht anhängigen Rechtsstreits stellt i.d.R. eine fehlerhafte Ermessensentscheidung dar, wenn dort schon vorher die Aussetzung der Verhandlung bis zur Entscheidung des ersteren Rechtsstreits angeordnet worden ist.
Normenkette
ZPO § 148
Verfahrensgang
OLG Köln (Beschluss vom 07.01.2004; Aktenzeichen 13 U 206/95) |
LG Aachen |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des OLG Köln v. 7.1.2004 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird fortgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien waren zusammen mit der Tochter des Beklagten und damaligen Ehefrau des Klägers Eigentümer eines Grundstücks, das nach Scheidung der Ehe zur Aufhebung der Gemeinschaft zwangsversteigert wurde. Der Kläger verlangt entsprechend seinen zuletzt gestellten Anträgen vom Beklagten die Freigabe eines hinterlegten Anteils am Zwangsversteigerungserlös i.H.v. 543.098,21 DM, hilfsweise - als Erstattung vorgenommener Aufwendungen für das Grundstück in der Zeit bis Ende 1994 - die Zahlung von 476.259,82 DM. Das OLG hat mit Beschl. v. 30.11.1998 gem. § 148 ZPO die Verhandlung bis zur rechtskräftigen Entscheidung eines zwischen den Parteien in Hamburg anhängigen Rechtsstreits ausgesetzt.
In diesem Parallelverfahren mit umgekehrten Parteirollen hat der Beklagte des vorliegenden Verfahrens (fortan nur: Beklagter) - nach Änderung eines zunächst abweichenden Begehrens - vom hiesigen Kläger (im Folgenden: Kläger) verlangt, der Auszahlung von 543.098,21 DM aus dem hinterlegten Versteigerungserlös zuzustimmen. Der Kläger hat sich demgegenüber auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen, das ihm wegen entstandener Aufwendungen i.H.v. 48.055,16 DM für das Grundstück in der Zeit zwischen 1995 und 1998 zustehe. Das LG hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat die Klage im Berufungsrechtszug als unzulässig abgewiesen, weil die Streitsache im vorliegenden Rechtsstreit rechtshängig sei. Dieses Urteil hat der Senat im Revisionsverfahren aufgehoben, weil es sich zwar um identische Streitsachen handele, der im hiesigen Rechtsstreit geltend gemachte Anspruch auf Freigabe des Erlöses jedoch erst nach dem Zustimmungsbegehren im dortigen Parallelprozess rechtshängig geworden sei (BGH, Urt. v. 17.5.2001 - IX ZR 256/99, MDR 2001, 1071 = BGHReport 2001, 984 = WM 2001, 1880). Der Kläger hat im weiteren Verlauf des Rechtsstreits ggü. der Klageforderung ein Zurückbehaltungsrecht wegen Aufwendungen in der Zeit von 1995 bis 2000i.H.v. 37.394,57 DM sowie wegen der im vorliegenden Rechtsstreit rechtshängigen Forderung auf Aufwendungsersatz über 476.259,82 DM für den Zeitraum bis Ende 1994 geltend gemacht. Das OLG hat die Berufung gegen das der Klage stattgebende Urteil des LG durch Teilurteil v. 26.2.2003 zurückgewiesen, soweit der Kläger verurteilt wurde, der Auszahlung von 410.757,94 DM zuzustimmen. Es hat dabei offen gelassen, inwieweit dem Kläger die im hiesigen Verfahren streitigen Aufwendungsersatzansprüche zustehen, und seine Entscheidung darauf gestützt, dass der Kläger mit einem Zurückbehaltungsrecht allenfalls Forderungen i.H.v. 132.340,27 DM geltend machen könne. Den über das Teilurteil hinausgehenden Rechtsstreit hat das OLG im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit des vorliegenden Verfahrens gem. § 148 ZPO ausgesetzt. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Senat mit Beschluss v. 27.11.2003 (BGH, Beschl .v. 27.11.2003 - IX ZR 76/03) zurückgewiesen.
Im hiesigen Verfahren hat das OLG mit Beschluss v. 7.1.2004 angeordnet, dass es bis zur rechtskräftigen Entscheidung des nach wie vor vorgreiflichen Parallelverfahrens bei der Aussetzung verbleibt. Dass der Aufwendungsersatzanspruch dort im Wege des Zurückbehaltungsrechtes geltend gemacht werde, ändere an der Vorgreiflichkeit des anderen Rechtsstreits nichts, weil der Anspruch im vorliegenden Verfahren lediglich hilfsweise erhoben worden, dort jedoch geeignet sei, den Inhalt des Hauptanspruches zu beeinflussen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom OLG zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die gem. § 574 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der mit dem angefochtenen Beschluss angeordneten weiteren Verfahrensaussetzung.
1. Die tatrichterliche Entscheidung über eine Aussetzung der Verhandlung gem. § 148 ZPO ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde nicht auf ihre Zweckmäßigkeit, sondern lediglich daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten sind (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 252 Rz. 3; Feiber in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 252 Rz. 26). Das OLG hat bei seiner Anordnung der fortgesetzten Verfahrensaussetzung die hierfür geltenden gesetzlichen Voraussetzungen verkannt und deshalb ermessensfehlerhaft entschieden.
2. Nach § 148 ZPO kann das Gericht die Verhandlung bis zur Erledigung eines anderen Rechtsstreits aussetzen, wenn die Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand des anderen Prozesses darstellt. Damit sollen die doppelte Prüfung derselben Frage in mehreren Prozessen sowie einander widersprechende Entscheidungen verhindert und die Prozesswirtschaftlichkeit gefördert werden, weil den Parteien und dem Gericht die Mühen und Kosten einer doppelten gerichtlichen Prüfung der Tatsachen- und Rechtsgrundlagen erspart werden (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 148 Rz. 3).
a) Die Entschließung über die weitere Verfahrensaussetzung ist ermessensfehlerhaft und für die Parteien nicht hinnehmbar, weil das OLG im Parallelprozess die Verhandlung ebenfalls ausgesetzt hat und somit auch dort eine Klärung der Rechtsverhältnisse nicht in Aussicht steht. Mit einer solchen Verfahrensweise wird dem Justizgewährungsanspruch der Beteiligten nicht hinreichend Rechnung getragen. Ein Beschluss über die Aussetzung der Verhandlung bis zur Entscheidung eines bei einem anderen Gericht anhängigen Rechtsstreits, in dem das andere Gericht schon vorher durch nicht angefochtenen Beschluss die Aussetzung der Verhandlung bis zur Entscheidung des ersteren Rechtsstreits angeordnet hat, stellt i.d.R. eine unrichtige Anwendung des von § 148 ZPO eingeräumten Ermessens dar, weil auf diese Weise der Fortgang beider Verfahren gehemmt ist. Ein solcher Beschluss ist aufzuheben, ohne dass es hierfür darauf ankommt, ob dem Gericht, das den ersten Aussetzungsbeschluss erlassen hat, eine Befugnis nach § 148 ZPO zustand (RG v. 1.2.1900 - VI B. 11/00, N § 148/2; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 148, Anm. B III a 1). Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie im Streitfall kein zwingender Grund für eine Aussetzung (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 148 Rz. 3) vorliegt.
b) Die Erwägungen, mit denen das OLG eine Vorgreiflichkeit bejaht hat, sind rechtsfehlerhaft. Der Senat hat mit Urt. v. 17.5.2001 (BGH, Urt. v. 17.5.2001 - IX ZR 256/99, MDR 2001, 1071 = BGHReport 2001, 984 = WM 2001, 1880) festgestellt, dass der Streitgegenstand des Hauptantrages im vorliegenden Rechtsstreit mit dem im Parallelprozess geltend gemachten Anspruch auf Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Resterlöses rechtlich identisch und erst später als dieser rechtshängig geworden ist. Wird ein bereits anhängiger Anspruch gerichtlich geltend gemacht, ist das Prozesshindernis der Rechtshängigkeit mit der Folge der Klageabweisung durch Prozessurteil gem. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO von Amts wegen (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 261 Rz. 11) zu beachten. Diese Entscheidung hängt vom Ausgang des anderen Prozesses nicht ab, so dass eine Aussetzung gem. § 148 ZPO nicht in Betracht kommt (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 148 Rz. 25; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 26. Aufl., § 148 Rz. 4; Musielak/Stadler, ZPO, 4. Aufl., § 148 Rz. 5; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 148 Rz. 4).
c) Damit ist - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht - über den vom Kläger hilfsweise erhobenen Aufwendungsersatzanspruch im vorliegenden Rechtsstreit zu entscheiden. Dieser Anspruch ist im Parallelprozess nur insofern von Bedeutung, als es um das Bestehen des vom Kläger geltend gemachten Zurückbehaltungsrechtes geht. Die Berechtigung der Forderung stellt sich dort nur als Vorfrage. In solchen Fällen scheidet eine Verfahrensaussetzung gem. § 148 ZPO aus (OLG Celle MDR 1958, 776 [777]; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 148 Rz. 28; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 148, Anm. B II a 2). Dies gilt umso mehr, als im vorliegenden Prozess über den Anspruch durch eine für die Parteien in Rechtskraft erwachsende Entscheidung zu befinden ist.
Fundstellen
BB 2005, 1136 |
BGHR 2005, 868 |
FamRZ 2005, 971 |
NJW-RR 2005, 925 |
JurBüro 2005, 444 |
MDR 2005, 947 |