Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollstreckbarkeit von vor dem 01. 07.1998 für minderjährige Unterhaltsgläubiger ergangene Rahmentitel. Antrag auf Umstellung von Alttiteln in dynamisierte Unterhaltstitel. Zwangsvollstreckung aus einem Titel über Unterhalt
Leitsatz (amtlich)
§ 798a ZPO ist nur auf solche Vollstreckungstitel anwendbar, die Unterhaltsansprüche i.S.v. § 1612a BGB in der seit 1.7.1998 geltenden Fassung feststellen oder die gem. Art. 5 § 3 KindUG auf das seit 1.7.1998 geltende Recht umgestellt worden sind.
Normenkette
ZPO § 798a; BGB § 1612a
Verfahrensgang
LG Regensburg (Beschluss vom 01.10.2004; Aktenzeichen 7 T 534/04) |
AG Straubing (Beschluss vom 02.08.2004) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners werden der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Regensburg v. 1.10.2004, der Beschluss des AG Straubing v. 15.9.2004 und der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des AG Straubing v. 2.8.2004 aufgehoben.
Der Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wird zurückgewiesen.
Der Gläubiger trägt die Kosten des Verfahrens.
Beschwerdewert: 2.400 EUR.
Gründe
I.
Der Schuldner ist dem am 8.4.1985 geborenen Gläubiger, seinem nicht ehelichen Sohn, zum Unterhalt verpflichtet. Er ist nach dem Endurteil des AG München v. 8.11.1989 u.a. verpflichtet, an den Gläubiger "ab April 1989 Regelunterhalt zzgl. eines Zuschlags von 90 % des Regelbedarfs zu bezahlen". Mit Beschluss des AG Nürnberg v. 11.6.1996 wurde der monatlich zu zahlende Regelunterhalt für die Zeit v. 8.4.1997 bis zum 7.4.2003 auf 844 DM festgesetzt.
Unter Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des Endurteils v. 8.11.1989 hat der Gläubiger am 23.7.2004 den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen einer Hauptforderung von 2.400 EUR beantragt, die Unterhaltsansprüche nach Eintritt der Volljährigkeit betrifft. Der Rechtspfleger hat den Beschluss erlassen. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Schuldners hat der Vollstreckungsrichter verworfen. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen. Dieser begehrt mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde weiterhin die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen des LG und AG und zur Abweisung des Antrags des Gläubigers auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, der Gläubiger könne nach wie vor auf der Grundlage des Endurteils v. 8.11.1989 und des Beschlusses v. 11.6.1996 die Vollstreckung betreiben. Beide Entscheidungen beruhten zwar noch auf dem inzwischen aufgehobenen § 1615 f BGB und der Regelunterhaltsverordnung v. 27.6.1970, beträfen nunmehr jedoch einen Unterhaltsanspruch i.S.d. § 1612a BGB in der seit 1.7.1998 geltenden Fassung. Gemäß § 798a ZPO könne der Schuldner nicht einwenden, dass Minderjährigkeit nicht mehr bestehe.
2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Gläubiger kann weder aus dem Endurteil v. 8.11.1989 noch aus dem Beschluss v. 11.6.1996 die Zwangsvollstreckung betreiben.
a) Nach dem bis zum 30.6.1998 geltenden Unterhaltsrecht für nicht eheliche Kinder war der Vater verpflichtet, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs mindestens den Regelunterhalt zu zahlen; der der Berechnung zu Grunde zu legende Regelbedarf wurde durch die Regelunterhaltsverordnung (BGBl. I 1970, 1010) festgesetzt, § 1615 f BGB. Das Kind konnte, anstatt die Verurteilung des Vaters zur Zahlung eines bestimmten Betrags als Individualunterhalt zu begehren, Klage auf Leistung des Regelunterhalts erheben, § 642 ZPO a.F. Das nur allgemein auf Zahlung des Regelunterhalts lautende Urteil wurde erst durch die in einem gesonderten Verfahren erfolgende betragsmäßige Festsetzung des Regelunterhalts ausgefüllt, § 642a ZPO a.F. Durch diese Typisierung und Standardisierung des Unterhalts (Staudinger/Eichenhofer, 1997, § 1615 f Rz. 4, 7) hatte das Kind eine einfache und rasche Möglichkeit, sich einen Unterhaltstitel zu verschaffen. Dieser konnte in einem ggü. der Abänderungsklage nach § 323 ZPO vereinfachten Verfahren geänderten Preis- und Lebensverhältnissen angepasst werden, § 642b ZPO a.F. Diese Form der Unterhaltsleistung war vom Gesetzgeber bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs des Kindes begrenzt worden (Staudinger/Eichenhofer, 1997, § 1615 f Rz. 7, 11). Demgemäß setzte die Regelunterhaltsverordnung die einzelnen Regelbedarfssätze nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahr fest. Nach diesem Zeitpunkt erlosch der Anspruch des Kindes auf Regelunterhalt; der Vater schuldete aber noch Individualunterhalt nach den Regeln über den Verwandtenunterhalt (Staudinger/Eichenhofer, 1997, § 1615 f Rz. 13; Göppinger/Wax, Unterhaltsrecht, 6. Aufl. 1994, Rz. 877).
b) Danach hätte der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss schon deshalb nicht erlassen werden dürfen, weil das vom Gläubiger vorgelegte Endurteil v. 8.11.1989 trotz der erteilten Vollstreckungsklausel keine Grundlage für eine Zwangsvollstreckung sein kann.
aa) Im Zwangsvollstreckungsverfahren ist von Amts wegen zu prüfen, ob die mit der Vollstreckungsklausel versehene Urkunde einen vollstreckbaren Titel darstellt. Die Klausel kann den fehlenden vollstreckbaren Inhalt eines Titels nicht ersetzen (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 724 Rz. 14).
bb) Das Endurteil v. 8.11.1989 ist kein vollstreckbarer Titel. Es verpflichtet den Schuldner, Regelunterhalt zu zahlen. Es handelt sich um einen Rahmentitel, der erst durch den Beschluss über die Betragsfestsetzung nach § 642a ZPO a.F. ausgefüllt wird. Erst aus diesem Beschluss ist die Zwangsvollstreckung möglich (§ 794a ZPO a. und n.F.; Zöller/Philippi, ZPO, 20. Aufl., § 642 Rz. 9; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 794 Rz. 19). Er und nicht das vorangegangene Urteil ist mit der Vollstreckungsklausel zu versehen (Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 21. Aufl., § 642a Rz. 8; Musielak/Lackmann, ZPO, 4. Aufl., § 794 Rz. 43).
c) Der Gläubiger ist vor Zurückweisung seines Antrags grundsätzlich auf Mängel des Titels hinzuweisen (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 724 Rz. 14). Es bestand jedoch kein Anlass, deshalb die Sache an das AG zurückzuverweisen und dem Gläubiger Gelegenheit zu geben, eine vollstreckbare Ausfertigung des Beschlusses v. 11.6.1996 nachzureichen. Denn dieser Beschluss ist kein tauglicher Vollstreckungstitel für Unterhaltsansprüche des Gläubigers, die nach Eintritt seiner Volljährigkeit am 8.4.2003 fällig geworden sind. Insbesondere kann der Gläubiger aus § 798a ZPO nichts zu seinen Gunsten herleiten.
aa) Durch das KindUG v. 6.4.1998 (BGBl. I, 666) wurden mit Wirkung zum 1.7.1998 § 1615 f BGB aufgehoben und das vereinfachte Verfahren zur Festsetzung des Regelunterhalts für nicht eheliche minderjährige Kinder nach §§ 642 ff. ZPO a.F. abgeschafft. Stattdessen wurde durch die Neufassung des § 1612a BGB allen minderjährigen Kindern die Möglichkeit eröffnet, den Unterhalt als Prozentsatz des Regelbetrags nach der Regelbetragsverordnung zu verlangen. Die Regelbeträge werden jeweils für drei Lebensaltersstufen festgesetzt, § 1612a Abs. 3 BGB. Die dritte Altersstufe beginnt mit dem 13. Lebensjahr, eine Begrenzung bis zum Eintritt der Volljährigkeit sieht das Gesetz nicht vor. Der Unterhalt ist dynamisiert. Er wird gem. § 1612a Abs. 4 BGB in zweijährigem Rhythmus der Entwicklung des durchschnittlich verfügbaren Arbeitsentgelts angepasst. Für seine Festsetzung stellen die §§ 645 ff. ZPO bis zu einer bestimmten Höhe ein vereinfachtes Verfahren zur Verfügung. Der ebenfalls neu gefasste § 798a ZPO bestimmt nunmehr, dass der nach Eintritt der Volljährigkeit noch zum Unterhalt Verpflichtete ggü. einem titulierten Anspruch auf Unterhalt i.S.d. § 1612a BGB nicht einwenden kann, dass Minderjährigkeit nicht mehr besteht. Der gem. Art. 8 Abs. 2 KindUG bis zum 30.6.2003 befristete Art. 5 § 3 KindUG sah als Übergangsregelung vor, dass Schuldtitel über Unterhaltsleistungen nach dem vor dem 1.7.1998 geltenden Recht auf Antrag in dynamisierte Unterhaltstitel umgestellt, also dahin abgeändert werden konnten, dass die Unterhaltsrente entsprechend der Regelbetragsverordnung festgesetzt wurde.
bb) Aus dieser Systematik des KindUG folgt, dass der Gläubiger für Ansprüche nach dem 18. Lebensjahr nicht mehr aus dem den Regelunterhalt nach § 1615 f BGB festsetzenden Beschluss v. 11.6.1996 vollstrecken und sich auch nicht auf § 798a ZPO berufen kann.
(1) In diesem Beschluss ist der an den Gläubiger zu leistende Unterhalt nur bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit festgesetzt. Eine darüber hinausgehende Festsetzung war im Verfahren nach § 642 ZPO a.F. nicht möglich. Weiter gehenden Unterhalt hätte der Gläubiger nach damaligem Recht nur als Individualunterhalt durch eine bezifferte Leistungsklage geltend machen können (vgl. oben a).
(2) Anders als die Regelunterhaltsverordnung enthält § 1612a Abs. 3 BGB hinsichtlich der dritten Altersstufe keine Begrenzung bis zur Volljährigkeit des Kindes. Damit soll das minderjährige Kind in die Lage versetzt werden, den Unterhalt nach § 1612a BGB auch über den Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres hinaus geltend zu machen und einen unbefristet tenorierten Titel zu erlangen. Es soll nicht gezwungen sein, sich nach Eintritt der Volljährigkeit einen neuen Titel beschaffen zu müssen (Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/7338, 23).
§ 798a ZPO korrespondiert mit dieser neu geschaffenen Möglichkeit der zeitlich nach oben offenen Tenorierung. Er soll die Zwangsvollstreckung aus einem Titel über Unterhalt i.S.d. § 1612a BGB, der über das 18. Lebensjahr fortwirkt, erleichtern (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 798a Rz. 1 f.). Mit diesem Gesetzeszweck ist es nicht vereinbar, § 798a ZPO auf nach altem Recht ergangene Titel anzuwenden.
(3) Schließlich folgt auch aus der Übergangsvorschrift des Art. 5 § 3 KindUG, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss v. 11.6.1996 nicht mehr möglich ist.
Der Gesetzgeber hatte ein besonderes gerichtliches Verfahren vorgesehen, in dem auf Antrag Alttitel auf das neue Recht umgestellt werden konnten. Die Unterhaltsleistung konnte für die jeweiligen Altersstufen in Prozentsätze entsprechend der Regelbetragsverordnung umgerechnet werden. Die Alttitel konnten dabei nicht nur hinsichtlich der Dynamisierung, sondern auch bezüglich der Laufzeit dem neuen Recht angepasst werden (OLG Stuttgart v. 28.12.1998 - 15 WF 578/98, FamRZ 1999, 659).
Daraus folgt, dass ohne die Durchführung dieses Verfahrens Alttitel nicht so behandelt werden können, als wären sie auf der Grundlage des neuen Rechts ergangen.
Der Gläubiger hat einen entsprechenden Antrag nicht gestellt. Der Beschluss v. 11.6.1996 ist deshalb weder hinsichtlich der Dynamisierung noch hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung an das neue Recht angepasst worden. Er ist kein tauglicher Vollstreckungstitel mehr. Für die Anwendung des § 798a ZPO ist kein Raum.
Fundstellen
Haufe-Index 1448828 |
BGHR 2006, 54 |
FamRZ 2005, 2066 |
NJW-RR 2006, 217 |
JurBüro 2006, 100 |
WM 2006, 299 |
InVo 2006, 112 |
MDR 2006, 353 |
Rpfleger 2006, 26 |
FamRB 2006, 11 |
VE 2006, 8 |
ZVI 2005, 624 |
JAmt 2006, 267 |