Leitsatz (amtlich)

Lebt der Betroffene in einer angemieteten Wohnung und bezieht er von einem gesonderten Anbieter ambulante Betreuungsleistungen, so hält er sich damit grundsätzlich noch nicht in einem Heim gem. § 5 Abs. 3 VBVG a.F. auf (im Anschluss an BGH v. 28.11.2018 - XII ZB 517/17 FamRZ 2019, 477; v. 20.5.2020 - XII ZB 226/18 FamRZ 2020, 1408).

 

Normenkette

VBVG § 5 Abs. 3 in der bis zum 26.7.2019 geltenden Fassung

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Beschluss vom 19.08.2019; Aktenzeichen 2 T 602/16)

AG Leipzig (Beschluss vom 27.04.2016; Aktenzeichen 536 XVII 1465/05)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2) wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Leipzig vom 19.8.2019 aufgehoben.

Auf die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 2) werden die Beschlüsse des AG Leipzig vom 27.4.2016 und vom 11.4.2017 dahingehend abgeändert, dass die dem weiteren Beteiligten zu 2) aus der Staatskasse zu erstattende Betreuervergütung anstelle der jeweils festgesetzten 804 EUR auf jeweils 1.407 EUR festgesetzt wird.

Die Rechtsmittelverfahren sind gerichtskostenfrei; die außergerichtlichen Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der weitere Beteiligte zu 3).

Wert: 1.206 EUR

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Vergütungsansprüche eines Betreuungsvereins.

Rz. 2

Der Betroffene lebte aufgrund eines Mietvertrags in einer eigenen Wohnung und erhielt von einem im selben Haus ansässigen Anbieter Betreuungsleistungen. Die Beteiligte zu 1) ist seit dem Jahr 2008 als Mitarbeiterin des Beteiligten zu 2) (Betreuungsverein) zur Betreuerin für den Betroffenen bestellt. Der Beteiligte zu 2) hat für die Zeit vom 12.2.2015 bis 11.2.2016 und vom 12.2.2016 bis 11.2.2017 die Festsetzung seiner Vergütung i.H.v. jeweils 1.407 EUR beantragt. Bei der Berechnung seines Zeitaufwands ist er davon ausgegangen, dass der mittellose Betroffene nicht in einem Heim lebt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VBVG in der bis zum 26.7.2019 geltenden Fassung - im Folgenden a.F.).

Rz. 3

Das AG hat die Vergütung unter Berücksichtigung des geringeren Stundenansatzes für einen Betreuten, der in einem Heim lebt, nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VBVG a.F. auf jeweils 804 EUR festgesetzt. Nachdem eine den Vergütungszeitraum vom 12.2.2015 bis 11.2.2016 betreffende Beschwerdeentscheidung des LG wegen Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das BVerfG mit Beschluss vom 28.5.2019 (, FamRZ 2019, 1643) unter Zurückverweisung der Sache an das LG aufgehoben worden war, hat das LG die gegen die Beschlüsse des AG eingelegten Beschwerden zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der Beteiligte zu 2) die Festsetzung der Vergütung in der beantragten Höhe.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Abänderung der Entscheidungen des AG.

Rz. 5

1. Das LG hat zur Einstufung der Wohnung als Heim ausgeführt, der vergütungsrechtliche Heimbegriff sei dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung "aus einer Hand" zur Verfügung gestellt oder bereitgestellt würden. Auch Wohnformen des betreuten Wohnens könnten unter den Heimbegriff fallen. Maßgebend sei hierfür nicht der tatsächliche Aufwand des Betreuers oder die Anzahl der abgeschlossenen Verträge, sondern wie sich die Vertragsgestaltung darstelle, wer Betreiber der Wohnanlage und Betreuungsträger sei und welche Wahlmöglichkeiten der Betroffene bezüglich des Betreuungsträgers habe. Seien der Betreiber der Wohnanlage und der Betreuungsträger identisch, liege ein Heim vor. Zwar möge der Betroffene einen Mietvertrag mit einer Privatperson abgeschlossen haben, doch sei der Vermieter nicht Betreiber der Wohnanlage, sondern eine mit dem Betreuungsträger personenidentische häusliche Krankenpflege, die im Anwesen ihren Sitz habe. Die Wohnungen seien nicht auf dem freien Markt, sondern nur über die Betreuungsträgerin zugänglich. Bei den Wohnungseigentümern handele es sich lediglich um Kapitalanleger. Aufgrund der Ortsansässigkeit des Betreuungsträgers werde Betreuung oder Pflege tatsächlich nicht extern angeboten, und es bestehe keine Wahlmöglichkeit, da die Betreiberin der häuslichen Krankenpflege die ausschließliche Verfügungsbefugnis über wesentliche Bereiche des Anwesens innehabe. So könnten nach dem Betreuungsvertrag Hof und Außenbereiche sowie Aufenthaltsräume und das Pflegebad nur genutzt werden, wenn Grundleistungen des Betreuungsvertrages vereinbart würden. Aufgrund der 24stündigen Präsenz des Pflegepersonals sei der Abschluss eines Betreuungsvertrags nur mit dem Betreuungsträger sinnvoll.

Rz. 6

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Rz. 7

Die dem Beteiligten zu 2) für die Vereinsbetreuung nach §§ 1908i Abs. 1 Satz 1, 1836 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB i.V.m. §§ 1 Abs. 2 Satz 1, 7 Abs. 1 VBVG zustehende Vergütung ist aufgrund des Stundenansatzes nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VBVG a.F. zu bemessen. Entgegen der Auffassung des LG hat der Betroffene seinen Aufenthalt nicht in einem Heim.

Rz. 8

a) § 5 VBVG a.F. unterscheidet für den pauschal zu vergütenden Zeitaufwand eines Betreuers danach, ob der Betreute seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Heim hat oder nicht.

Rz. 9

aa) Der danach maßgebende Begriff "Heim" wird - in Anlehnung an § 1 Abs. 2 HeimG - in § 5 Abs. 3 VBVG a.F. definiert. Heime im Sinne des Vergütungsrechts sind danach Einrichtungen, die dem Zweck dienen, Volljährige aufzunehmen, ihnen Wohnraum zu überlassen sowie tatsächliche Betreuung und Verpflegung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, und die in ihrem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig sind. Die Regelung beruht auf dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 21.4.2005 (2. BtÄndG BGBl. I 1073). Ziel dieses Gesetzes, das auf Vorschläge einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Betreuungsrecht" zurückgeht, ist es u.a., mit der Einführung von pauschalierenden Stundenansätzen die Abrechnung der Betreuervergütung zu vereinfachen. Praktisch sinnvoll ist danach ein striktes, an griffige und leicht feststellbare Kriterien gebundenes Verständnis des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs. Im Einzelfall dennoch bestehenden Schwierigkeiten ist durch eine teleologische Auslegung zu begegnen. Denn dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim lebt (BGH v. 28.11.2018 - XII ZB 517/17 FamRZ 2019, 477 Rz. 9; v. 20.5.2020 - XII ZB 226/18 FamRZ 2020, 1408 Rz. 8).

Rz. 10

Die Voraussetzungen des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs sind daher nur dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung sozusagen "aus einer Hand" zur Verfügung gestellt oder bereitgestellt werden. Eine Wohnung wird nicht schon dadurch zum Heim, dass der Vermieter dem Mieter anbietet, ihm bei Erforderlichkeit Verpflegung und tatsächliche Betreuung durch einen Drittanbieter zu vermitteln, solange der Mieter nicht vertraglich gebunden ist, dieses Angebot im Bedarfsfall anzunehmen, § 5 Abs. 3 Satz 2 VBVG a.F. i.V.m. § 1 Abs. 2 Satz 1 und 3 HeimG (BGH v. 28.11.2018 - XII ZB 517/17 FamRZ 2019, 477 Rz. 11; v. 20.5.2020 - XII ZB 226/18 FamRZ 2020, 1408 Rz. 9).

Rz. 11

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Senat die Heimeigenschaft trotz einer personellen Verbindung von Vermieter und Pflegedienst verneint, wenn der Mietvertrag es zuließ, dass die Bewohner einen anderen Pflegedienstanbieter auswählen. Auch durch eine organisatorische Verbindung würden dem Betreuer die diesbezügliche Organisation und Überwachung nicht abgenommen (BGH, Beschl. v. 28.11.2018 - XII ZB 517/17 FamRZ 2019, 477 Rz. 13 f.). Der Senat hat zudem nach Erlass der angefochtenen Entscheidung die Heimeigenschaft in einem Fall verneint, in dem Wohnraum durch eine von den Bewohnern gebildete Gesellschaft bürgerlichen Rechts angemietet wird und die Bewohner mit einem Pflegedienst individuelle Verträge über Verpflegung und Betreuungsleistungen schließen. Aufgrund der rechtlichen Selbständigkeit der Verträge fehle es an der für den vergütungsrechtlichen Heimbegriff erforderlichen Bereitstellung von Wohnraum, Verpflegung und tatsächlicher Betreuung "aus einer Hand" (BGH, Beschl. v. 20.5.2020 - XII ZB 226/18 FamRZ 2020, 1408 Rz. 10 ff.).

Rz. 12

b) Nach diesen Maßstäben ist das LG rechtsfehlerhaft zu der Einschätzung gelangt, dass der Betroffene in einem Heim i.S.v. § 5 Abs. 3 VBVG a.F. lebt.

Rz. 13

aa) Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung werden vorliegend nicht "aus einer Hand" erbracht. Der Betroffene lebt in einer von einem Kapitalanleger, der keine Verbindungen zu einem Heim aufweist, angemieteten und voll ausgestatteten Wohnung. Damit hat er einen von dem Vertrag über Versorgungsleistungen zu unterscheidenden Vertrag geschlossen und erhält keine "aus einer Hand angebotenen" Leistungen. Hieran ändert auch der vom LG hervorgehobene Umstand nichts, dass die Wohnungen faktisch nicht auf dem freien Markt, sondern nur über den Betreuungsträger verfügbar seien, weil keine rechtliche Verpflichtung zur Abnahme von dessen Betreuungsleistungen besteht. Der vom LG herangezogene Vergleich mit einem Hotel überzeugt ebenfalls nicht, da der Betreuungsdienst vorliegend gerade keine Wohnungsüberlassung schuldet. Schließlich kommt es nicht auf die vom LG hervorgehobene Frage an, ob die Wahl eines anderen Pflegedienstanbieters sinnvoll ist. Unabhängig davon, dass über nur geringfügige "Grundleistungen" hinausgehende vom Betroffenen entgegengenommene Pflegeleistungen nicht festgestellt sind, steht die hier gegebene rechtliche Möglichkeit, einen anderen Dienst zu wählen, der Einordnung als Heim entgegen.

Rz. 14

bb) Auch der Zweck der Vorschrift, einer Entlastung des Betreuers durch den geringeren Stundenansatz Rechnung zu tragen, führt zu keiner anderen Bewertung. Die Wohnungsgewährung und die geringen Betreuungsleistungen werden durch rechtlich verschiedene Anbieter erbracht. Dadurch werden dem Betreuer die ihm diesbezüglich obliegenden Aufgaben der Organisation und Überwachung nicht abgenommen. Auch die Auswahl des jeweiligen Dienstleisters bleibt Aufgabe des Betreuers.

Rz. 15

cc) Der Betreuer wird danach durch die vorliegend gewählte Wohn- und Betreuungsform nicht in einer mit einer stationären Heimunterbringung vergleichbaren Weise entlastet. Die Frage, ob mit der gewählten Form der Unterbringung gleichwohl einzelne Entlastungen verbunden sein mögen, stellt sich wegen der hier gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht.

Rz. 16

3. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 14292814

JurBüro 2021, 88

BtPrax 2021, 70

JZ 2021, 145

MDR 2021, 326

Rpfleger 2021, 276

FF 2021, 127

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