Leitsatz (amtlich)
a) Das Verfahrenskostenhilfegesuch für eine beabsichtigte Beschwerde in einer Familiensache war nach der bis 31.12.2012 bestehenden Rechtslage beim OLG einzureichen. Wegen der nach Inkrafttreten der FGG-Reform zunächst insoweit bestehenden Rechtsunsicherheit, die inzwischen zu einer Gesetzesänderung geführt hat, begründet die Einreichung beim hierfür unzuständigen AG kein Verschulden des Rechtsanwalts (im Anschluss an BGH v. 17.7.2013 - XII ZB 700/12, FamRZ 2013, 1567).
b) Ist das Beschwerdegericht in einem Verfahrenskostenhilfeverfahren der Auffassung, dass die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung von der Klärung einer in der Rechtsprechung der OLG umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage abhängt, muss es dem Beschwerdeführer beim Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen insoweit Verfahrenskostenhilfe bewilligen, und zwar auch dann, wenn es die Auffassung vertritt, dass die Rechtsfrage zu Ungunsten des Beschwerdeführers zu entscheiden ist (im Anschluss an BGH v. 8.5.2013 - XII ZB 624/12, FamRZ 2013, 1214).
Normenkette
FamFG §§ 64, 70 Abs. 1, § 113 Abs. 1; ZPO §§ 114, 117 Abs. 1, § 233
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 11.04.2011; Aktenzeichen 2 UF 48/11) |
AG Korbach (Beschluss vom 21.12.2010; Aktenzeichen 7 F 266/10 UK) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 2. Familiensenats in Kassel des OLG Frankfurt vom 11.4.2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 2.884 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien streiten über Kindesunterhalt. Der Beschluss des AG, durch den dem Antrag des Antragstellers im Wesentlichen stattgegeben worden ist, ist dem Antragsteller am 27.12.2010 zugestellt worden. Am 27.1.2011 hat er beim AG Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde beantragt. Der Antrag ist am 3.2.2011 beim OLG eingegangen.
Rz. 2
Das OLG hat den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (§ 70 Abs. 1 FamFG) und es um Fragen des Verfahrens der Verfahrenskostenhilfe geht (vgl. BGH v. 8.5.2013 - XII ZB 282/12, FamRZ 2013, 1390 Rz. 7 m.w.N.). Sie ist auch im Übrigen zulässig.
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.
Rz. 6
a) Das OLG hat seine Entscheidung, die bei juris veröffentlicht ist, wie folgt begründet: Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren verspreche keine Aussicht auf Erfolg. Eine an sich statthafte Beschwerde wäre wegen Versäumung der Beschwerdefrist als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdefrist sei nicht gewahrt, weil bis zum 27.1.2011 keine Beschwerde eingegangen sei. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist lägen nicht vor. Wiedereinsetzung könne wegen Kostenarmut nur gewährt werden, wenn innerhalb der Rechtsmittelfrist ein Antrag auf Bewilligung von Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfe bei dem zuständigen Gericht eingereicht werde. Für den ein Rechtsmittelverfahren betreffenden Antrag sei das Rechtsmittelgericht zuständig. An dieser Regelung habe sich durch die Einführung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nichts geändert. Beim Rechtsmittelgericht sei der Antrag aber erst nach Ablauf der Beschwerdefrist eingegangen.
Rz. 7
b) Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.
Rz. 8
aa) Zu Recht ist das OLG allerdings davon ausgegangen, dass das Verfahrenskostenhilfegesuch nach dem hier noch anzuwendenden - bis zum 31.12.2012 geltenden - Recht (vgl. nunmehr - seit 1.1.2013 - § 64 Abs. 1 Satz 2 FamFG) nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO beim Rechtsmittelgericht als Verfahrensgericht einzureichen war. Daran ist, wie das OLG zutreffend hervorgehoben hat, durch das zum 1.9.2009 in Kraft getretene Verfahrensrecht auch in Familienstreitsachen (zunächst) nichts geändert worden (BGH v. 7.7.2013 - XII ZB 700/12, FamRZ 2013, 1567 Rz. 8 f.).
Rz. 9
bb) Dem Antragsgegner ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn seiner Anwältin ist die unzutreffende Adressierung des Verfahrenskostenhilfeantrags an das AG nicht als Verschulden anzulasten.
Rz. 10
Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts ist allerdings in der Regel nicht unverschuldet. Nach der Rechtsprechung des BGH muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Prozessbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn die Partei, die dem Anwalt die Prozessführung überträgt, vertraut zu Recht darauf, dass er dieser als Fachmann gewachsen ist. Wenn die Rechtslage zweifelhaft ist, muss der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg wählen (BGH Beschl. v. 9.7.1993 - V ZB 20/93, NJW 1993, 2538, 2539 m.w.N.). Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, dass er sich anhand einschlägiger Fachliteratur (vor allem Fachzeitschriften und Kommentare) über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informiert. Dazu besteht umso mehr Veranlassung, wenn es sich um eine vor kurzem geänderte Gesetzeslage handelt, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt (BGH v. 3.11.2010 - XII ZB 197/10, FamRZ 2011, 100 Rz. 19 m.w.N.).
Rz. 11
Demgegenüber kann ein Rechtsirrtum ausnahmsweise entschuldigt sein, wenn er auch unter Anwendung der genannten Sorgfaltsanforderungen nicht vermeidbar war (vgl. BGH v. 19.12.2012 - XII ZB 169/12, FamRZ 2013, 437 Rz. 19 und BGH Beschl. v. 25.10.1978 - IV ZB 65/78, VersR 1979, 159 m.w.N.).
Rz. 12
Das hat der Senat für die hier vorliegende Fallgestaltung nach Erlass des angefochtenen Beschlusses bejaht. Er hat hierzu ausgeführt, dass die Frage, bei welchem Gericht Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde zu beantragen war, unter den OLG umstritten war, sich eine eindeutig überwiegende Auffassung noch nicht gebildet hatte und sich zudem die zunächst veröffentlichte Rechtsprechung für eine Einreichung des Verfahrenskostenhilfegesuchs beim AG ausgesprochen hatte. Außerdem hat diese Meinung in der zum 1.1.2013 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung ihren Niederschlag gefunden. Durch das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften vom 5.12.2012 (BGBl. I, 3418) ist die Regelung mit Wirkung vom 1.1.2013 dahin geändert worden, dass nach § 64 Abs. 1 Satz 2 FamFG Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde bei dem Gericht "einzulegen" sind, dessen Beschluss angefochten werden soll (BGH v. 17.7.2013 - XII ZB 700/12, FamRZ 2013, 1567 Rz. 16).
Rz. 13
Vor diesem Hintergrund war von einem Rechtsanwalt, der bei der bestehenden unklaren Rechtslage mangels vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung einer in der Rechtsprechung der OLG und im Schrifttum stark vertretenen Auffassung gefolgt ist, auch nicht zu verlangen, dass er das Verfahrenskostenhilfegesuch sowohl bei dem AG als auch bei dem OLG einreichte, so dass ihm auch im Hinblick auf das Gebot der Wahl des sichersten Weges im Ergebnis kein Verschuldensvorwurf zu machen ist (BGH v. 17.7.2013 - XII ZB 700/12, FamRZ 2013, 1567 Rz. 17 m.w.N.).
Rz. 14
c) Soweit das OLG die beantragte Verfahrenskostenhilfe trotz Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache versagt hat, hat es außerdem die ständige Rechtsprechung des BVerfG und des BGH nicht beachtet. Danach ist bei Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wenn das Beschwerdegericht der Auffassung ist, dass die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung von der Klärung einer in der Rechtsprechung der OLG umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht geklärten Rechtsfrage abhängt (BGH v. 8.5.2013 - XII ZB 624/12, FamRZ 2013, 1214 Rz. 8 m.w.N.).
Rz. 15
3. Der angefochtene Beschluss ist deshalb aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 6661121 |
NJW 2014, 1454 |
EBE/BGH 2014 |
FamRZ 2014, 826 |
FuR 2014, 356 |
FuR 2014, 4 |
FA 2014, 144 |
FGPrax 2014, 187 |
ZAP 2014, 499 |
JZ 2014, 375 |
MDR 2014, 557 |
FF 2014, 218 |
FamRB 2014, 214 |
RENOpraxis 2014, 103 |
NZFam 2014, 463 |