Alle in der KW 49 veröffentlichten BGH-Leitsatzentscheidungen

Kompakt und aktuell: Hier finden Sie einen Überblick der in der KW 49 vom Bundesgerichtshof veröffentlichten sog. Leitsatzentscheidungen.

Datum und Az.

Leitsatz

Normen

BGH, Beschluss v. 10.10.2023, VIII ZB 29/22

Zum Wert des Beschwerdegegenstands im Fall eines Nachbesserungsverlangens.

§ 511 Abs 2 Nr 1 ZPO

BGH, Urteil v. 17.10.2023, VI ZR 192/22

Sprechen gewichtige Gründe für eine identifizierende Tatschilderung seitens des Opfers, muss diese auch dann hingenommen werden, wenn sie (aufgrund einer Prangerwirkung oder Stigmatisierung) schwerwiegende Folgen für die Persönlichkeitsentfaltung des Täters hat. In der Abwägung der Interessen des Opfers an der Verbreitung der Wahrheit über eine Tat und die Identität des Täters einerseits und dem Persönlichkeitsrecht des Täters andererseits wird das Gewicht der Meinungsfreiheit des Opfers verstärkt, wenn die von ihm geschilderte Tat eine die Öffentlichkeit bzw. den Adressatenkreis des Opferberichts wesentlich berührende Frage ist und ein Interesse der Gesellschaft daran besteht, aus der Opferperspektive über die Tat informiert zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 1998 - 1 BvR 131/96 - BVerfGE 97, 391, 406 f., juris Rn. 53, 57).

Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, § 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1 S 2 BGB

BGH, Urteil v. 20.10.2023, V ZR 9/22

1. Die Vorschrift des § 1192 Abs. 1a BGB findet auf den Erwerber eines bereits mit einer Sicherungsgrundschuld belasteten Grundstücks keine Anwendung; er kann aus dem Wegfall des Sicherungszwecks nur dann eine Einrede herleiten, wenn der Anspruch auf Rückgewähr der Grundschuld an ihn abgetreten wurde oder er in den Sicherungsvertrag eingetreten ist.

2. Die Änderung der auf eine vorrangige Grundschuld bezogenen Sicherungsvereinbarung ist keine vormerkungswidrige Verfügung im Sinne von § 883 Abs. 2 BGB.

3. Nach einer auf die gesicherte Forderung bezogenen Schuldübernahme geht eine Sicherungsgrundschuld nicht auf den Eigentümer über, der das bereits belastete Grundstück erworben hat und nicht Partei der Sicherungsabrede ist.

§ 418 Abs 1 S 2 BGB, § 883 Abs 2 BGB, § 1192 Abs 1a BGB

BGH, Beschluss v. 18.10.2023, XII ZB 169/23

1. Die nachträgliche Zulassung der Rechtsbeschwerde auf die Anhörungsrüge eines Verfahrensbeteiligten gemäß § 44 FamFG kommt u.a. dann ausnahmsweise in Betracht, wenn das Beschwerdegericht bei seiner ursprünglichen Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde auf die Zulassungsentscheidung bezogenen Vortrag der Verfahrensbeteiligten verfahrensfehlerhaft übergangen hat (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 14. Juni 2023 - XII ZB 517/22 - FamRZ 2023, 1646).

2. Das Rechtsmittelgericht ist nicht an die Beurteilung der Vorinstanz zur Zulässigkeit und Begründetheit der Anhörungsrüge gebunden, sondern hat dessen Entscheidung, aufgrund einer Anhörungsrüge das Verfahren fortzuführen, darauf zu überprüfen, ob die Anhörungsrüge statthaft, zulässig und begründet war (Anschluss an BGH Urteil vom 7. Februar 2023 - VI ZR 137/22 - NJW 2023, 1718).

§ 44 Abs 1 S 1 Nr 2 FamFG, § 44 Abs 2 S 4 FamFG, § 70 Abs 1 FamFG, § 70 Abs 2 S 2 FamFG

BGH, Urteil v. 11.10.2023, XII ZR 87/22

1. Zur Frage der Unmöglichkeit der vom Vermieter einer Segelyacht geschuldeten Leistung aufgrund der im Vertragszeitraum geltenden Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie (im Anschluss an Senatsurteil vom 11. Januar 2023 - XII ZR 101/21 - NJW-RR 2023, 514 mwN).

2. Für den Mieter einer Segelyacht kann grundsätzlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB in Betracht kommen, wenn der geplante Segeltörn aufgrund von hoheitlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie nicht in der geplanten Form stattfinden kann (im Anschluss an Senatsurteil vom 11. Januar 2023 - XII ZR 101/21 - NJW-RR 2023, 514 mwN).

3. Nur wenn eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, kann nach § 313 Abs. 3 BGB der benachteiligte Teil - als ultima ratio - vom Vertrag zurücktreten oder bei Dauerschuldverhältnissen den Vertrag kündigen, wenn dies auch dem anderen Vertragsteil zumutbar ist (im Anschluss an Senatsurteil vom 11. Januar 2023 - XII ZR 101/21 - NJW-RR 2023, 514 mwN).

§ 275 Abs 1 BGB, § 275 Abs 4 BGB, § 313 Abs 1 BGB, § 313 Abs 3 BGB, § 326 Abs 1 S 1 Halbs 1 BGB, § 543 Abs 1 BGB, § 543 Abs 2 S 1 Nr 1 BGB

BGH, Urteil v. 25.10.2023, VIII ZR 147/22

1a. Ob das Aufstellen bewusst unwahrer Tatsachenbehauptungen durch den Mieter innerhalb eines Rechtsstreits mit seinem Vermieter eine die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB rechtfertigende Pflichtverletzung darstellt, ist anhand einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

1b. Dabei ist zum einen die Bedeutung und Tragweite der unwahren Behauptung des Mieters unter Berücksichtigung des gegebenen Sinnzusammenhangs zu bewerten. In die gebotene Würdigung ist zum anderen in der Regel ein vorangegangenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters einzubeziehen (vgl. Senatsurteil vom 4. Juni 2014 - VIII ZR 289/13, NJW 2014, 2566 Rn. 14). So ist etwa zu berücksichtigen, ob das unredliche Prozessverhalten des Mieters der Abwehr einer unberechtigten Kündigung des Vermieters dienen sollte (vgl. Senatsurteil vom 4. Dezember 1985 - VIII ZR 33/85, WuM 1986, 60 unter II 1 [zur fristlosen Kündigung eines Pachtverhältnisses nach § 554a BGB aF]).

2. Die Vorschrift des § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB, wonach Kündigungsgründe, die in dem Kündigungsschreiben nicht angegeben wurden, (ausnahmsweise) dann berücksichtigt werden können, wenn sie nachträglich entstanden sind, findet ausschließlich dann Anwendung, wenn die ursprüngliche Kündigungserklärung zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs wirksam war.

§ 554a aF BGB, § 573 Abs 1 BGB, § 573 Abs 2 Nr 1 BGB, § 573 Abs 3 S 2 BGB

BGH, Beschluss v. 21.9.2023, V ZB 17/22

Der von einer rechtmäßig zustande gekommenen Zwangseintragung in dem Grundbuch Betroffene hat nach deren Löschung keinen Anspruch auf Umschreibung des Grundbuchblattes; ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus einer entsprechenden Anwendung des § 28 GBV oder aus Art. 17 DS-GVO noch unmittelbar aus den Grundrechten.

§ 12 Abs 1 GBO, § 28 S 1 GBVfg, Art 17 EUV 2016/679

BGH, Urteil v. 14.11.2023, X ZR 115/22

1. Bei der Beurteilung, ob unvermeidbare und außergewöhnliche Umstände dazu führen, dass die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigt ist, kann von Bedeutung sein, ob die mit der Durchführung verbundenen Risiken bei Buchung der Reise bereits bestanden oder zumindest absehbar waren (Bestätigung von BGH, Urteil vom 19. September 2023 - X ZR 103/22).

2. Absehbar in diesem Sinne ist ein Risiko auch dann, wenn im Zeitpunkt der Buchung ungewiss ist, wie sich die Situation weiter entwickeln wird, und eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es innerhalb kurzer Zeit zu gravierenden Veränderungen kommt.

3. Durch die Buchung der Reise in einer solchen Situation gibt der Reisende grundsätzlich zu erkennen, dass er das sich aus der bestehenden Ungewissheit ergebende Risiko in Kauf nimmt. Hieran muss er sich festhalten lassen, wenn sich das Risiko verwirklicht.

§ 651h Abs 3 BGB, Art 3 Nr 12 EURL 2015/2302, Art 12 Abs 2 EURL 2015/2302

BGH, Beschluss v. 12.10.2023, 2 StR 243/22

Eine Scheinhandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 SubvG liegt nur vor, wenn über die Falschangabe hinaus ein gegenüber dem Subventionsgeber zur Kenntnis gebrachter tatsächlicher Akt vorgenommen wird, der geeignet ist, den Anschein eines in Wahrheit nicht existierenden Sachverhalts zu vermitteln.

§ 264 Abs 9 Nr 2 StGB, § 4 Abs 1 SubvG

BGH, Urteil v. 10.10.2023, VI ZR 257/22

Zur Unwirksamkeit einer als "Sicherungsabtretung" bezeichneten formularmäßigen Klausel in einem Vertrag über die Erstellung eines Kfz-Schadensgutachtens, nach der der geschädigte Auftraggeber dem Sachverständigen in Bezug auf dessen Honoraranspruch seinen auf Ersatz der Sachverständigenkosten gerichteten Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger abtritt und in der unter anderem bestimmt ist, der Sachverständige sei "berechtigt, jedoch nicht verpflichtet", die Rechte aus der Abtretung gegenüber dem Drittschuldner geltend zu machen, und dem Geschädigten sei bekannt, dass er sich um die Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche "selbst kümmern" müsse, wegen unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders gemäß § 307 Abs. 1 BGB.

§ 307 Abs 1 BGB, § 398 BGB

BGH, Beschluss v. 24.10.2023, VI ZB 39/21

Zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr, wenn außergerichtlich als Nebenforderung geltend gemachte Ansprüche auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten den alleinigen Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bilden.

§ 15a Abs 2 Alt 3 RVG, Teil 3 Vorbem 3 Abs 4 S 1 RVG-VV, Teil 3 Vorbem 3 Abs 4 S 4 RVG-VV

BGH, Urteil v. 21.11.2023, II ZR 69/22

1. Bei nachrangigen Zinsforderungen greift die Ermächtigungswirkung nur ein, wenn diese auf eine besondere Aufforderung des Insolvenzgerichts hin zur Tabelle angemeldet werden (§ 174 Abs. 3 Satz 1 InsO).

2. Der persönlich unbeschränkt haftende Gesellschafter einer Personengesellschaft haftet regelmäßig für die Gerichtskosten des über das Vermögen der Gesellschaft eröffneten Insolvenzverfahrens (§ 54 Nr. 1 InsO) sowie die Vergütung und die Auslagen des Insolvenzverwalters (§ 54 Nr. 2 Fall 2 InsO).

§ 54 Nr 1 InsO, § 54 Nr 2 Alt 2 InsO, § 93 InsO, § 174 Abs 3 S 1 InsO, § 128 S 1 HGB

BGH, Beschluss v. 18.10.2023, XII ZB 31/23

1. Überträgt ein Rechtsanwalt die Notierung von Fristen einer Kanzleikraft, muss er durch geeignete organisatorische Maßnahmen oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Bei notwendiger Korrektur einer Rechtsmittelbegründungsfrist muss eine mündliche Einzelanweisung klar und präzise beinhalten, dass die Frist sofort und vor allen anderen Aufgaben im Fristenkalender zu korrigieren ist (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 11. März 2020 - XII ZB 446/19, FamRZ 2020, 938).

2. Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 19. Oktober 2022 - XII ZB 113/21, NJW-RR 2023, 136).

§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO

BGH, Urteil v. 24.10.2023, VI ZR 493/20

Zur deliktischen Haftung des Kfz-Herstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs.

§ 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 5 EGV 715/2007



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