Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 20.06.2006; Aktenzeichen 86 T 282/06) |
AG Berlin-Charlottenburg (Entscheidung vom 30.03.2006; Aktenzeichen 105 IN 3713/99) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 86. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 20. Juni 2006 wird auf Kosten der Schuldnerin als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Aufgrund eines Gläubigerantrags vom 2. November 1999 eröffnete das Amtsgericht Charlottenburg mit Beschluss vom 19. Juli 2000 das (Regel-)Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin, in dem diese die Erteilung der Restschuldbefreiung beantragt hat. Aus dem Schlussbericht des Insolvenzverwalters vom 22. April 2005 ergibt sich, dass die Schuldnerin, die während des Insolvenzverfahrens einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit als Inhaberin eines Büroservice-Unternehmens nachgegangen ist, ihren Mitwirkungspflichten nur unvollkommen genügt und dem Insolvenzverwalter – teilweise unvollständige – Auswertungen aus der Buchhaltung ihrer selbständigen Tätigkeit nur bis einschließlich September 2003 überlassen hat. Danach kam die Schuldnerin ihrer Mitwirkungspflicht bis zur Abfassung des Schlussberichts gar nicht mehr nach, sondern kündigte lediglich an, dem Insolvenzverwalter weitere Einnahme-Überschussrechnungen zur Verfügung zu stellen. Nachdem diese Auswertungen auch bis zum Schlusstermin am 16. August 2005 noch nicht vorlagen, beantragte der weitere Beteiligte die Versagung der Restschuldbefreiung. Erst im September 2005 stellte die Schuldnerin dem Insolvenzverwalter Einnahme-Überschussrechnungen für den Zeitraum August 2003 bis August 2005 zur Verfügung, aufgrund derer der Verwalter einen an die Insolvenzmasse abzuführenden Gesamtbetrag von 348 EUR errechnete, den die Schuldnerin am 7. Oktober 2005 an ihn leistete.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 30. März 2006 hat das Insolvenzgericht den Antrag des weiteren Beteiligten auf Versagung der Restschuldbefreiung abgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten hat das Landgericht diesen Beschluss aufgehoben und der Schuldnerin die Restschuldbefreiung versagt. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 7, 6 Abs. 1, § 289 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Zulassung zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich.
Rz. 4
1. Die Rüge, die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten sei unzulässig gewesen, weil für die Besteuerung der Schuldnerin und damit auch die Stellung eines Versagungsantrags und die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die Zurückweisung des Antrags auf Versagung der Restschuldbefreiung das aktuelle Wohnsitzfinanzamt des Schuldners zuständig sei und nicht das Finanzamt, bei dem die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihren Sitz gehabt habe, greift aus mehreren Gründen nicht durch.
Rz. 5
Der Insolvenzverwalter hat dem Insolvenzgericht unter dem 9. Januar 2006 berichtet, die Schuldnerin habe ihren während des Insolvenzverfahrens geführten Gewerbebetrieb am 1. April 2000 im Zuständigkeitsbereich des weiteren Beteiligten angemeldet, eine Ummeldung sei bis zum Tage der Abfassung der Stellungnahme nicht erfolgt. Dem hat die Schuldnerin nicht widersprochen, und die Rechtsbeschwerde geht darauf nicht ein. Schon deshalb ist die Zuständigkeit des weiteren Beteiligten für das Restschuldbefreiungsversagungsverfahren bestehen geblieben.
Rz. 6
Die Frage, ob ein Wohnsitzwechsel des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen bewirkt, dass die Zuständigkeit auf das Finanzamt übergeht, bei dem der Schuldner den neuen Wohnsitz begründet, stellt sich deshalb nicht. Davon abgesehen hat der Gesetzgeber durch das Jahressteuergesetz 2008 (Art. 14 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2007, BGBl. I 3850, 3171) § 26 AO um einen Satz 3 erweitert, demzufolge ein Zuständigkeitswechsel nach § 26 Satz 1 AO so lange nicht eintritt, als ein eröffnetes Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben wurde. Obgleich diese Vorschrift hier noch nicht anwendbar ist, hat die oben bezeichnete Frage dadurch ihre grundsätzliche Bedeutung verloren.
Rz. 7
2. Die Voraussetzungen der Glaubhaftmachung eines Versagungsgrundes gemäß § 290 Abs. 2 InsO sind in der Rechtsprechung des Senats geklärt (vgl. BGHZ 156, 139, 141 ff; BGH, Beschl.v. 20. März 2003 – IX ZB 388/02, WM 2003, 980, 983; v. 29. September 2005 – IX ZB 178/02, ZVI 2005, 614 Rn. 3). Die vom Insolvenzverwalter in seinem Schlussbericht mitgeteilten Verstöße der Schuldnerin gegen ihre Mitwirkungspflichten, die den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung rechtfertigen, sind unstreitig. Der weitere Beteiligte hat sich in zulässiger Art und Weise darauf berufen (dazu HmbKInsO/Streck, 2. Aufl. § 290 Rn. 2; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 290 Rn. 4a). Weiteren Vortrags zur Darstellung des – allein in Betracht kommenden – Versagungsgrundes des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO bedurfte es nicht.
Rz. 8
3. Die Schuldnerin hat ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Sinne von § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO verletzt, indem sie dem Treuhänder trotz wiederholter Aufforderungen die Einnahmen aus ihrer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit entweder nur schleppend oder gar nicht mitgeteilt hat. Dass sie nach dem Ende des Schlusstermins dem Insolvenzverwalter eine detaillierte Einnahme-Überschussrechnung für die Jahre 2003 bis 2005 überlassen und an ihn den Betrag von 348 EUR abgeführt hat, führt nicht zur Heilung des Verstoßes gegen ihre Mitwirkungspflicht (vgl. BGH, Beschl.v. 7. Dezember 2006 – IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96, 97 Rn. 6, 7; v. 29. Mai 2008 – IX ZB 197/07).
Rz. 9
4. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine Versagung der Restschuldbefreiung dann ausscheidet, wenn sich das Verhalten des Schuldners von vornherein als ganz unwesentlicher Verstoß gegen seine Pflichten nach der Insolvenzordnung darstellt (vgl. BGH, Beschl.v. 20. März 2003 – IX ZB 388/02, ZVI 2003, 170, 171f; v. 23. Juli 2004 – IX ZB 174/03, WM 2004, 1840, 1841; v. 17. März 2005 – IX ZB 260/03, NZI 2005, 461; v. 7. Dezember 2006 – IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96; siehe auch BT-Drucks. 12/7302 S. 188). Diesen Grundsatz hat das Beschwerdegericht indes nicht verkannt, sondern das Vorliegen seiner Voraussetzungen mit einzelfallbezogenen Erwägungen verneint.
Rz. 10
5. Geklärt sind auch die Anforderungen an die Annahme grober Fahrlässigkeit im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO (vgl. BGH, Beschl.v. 7. Dezember 2006 – IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96, 97 Rn. 9; Beschl.v. 9. Februar 2006 – IX ZB 218/04, ZVI 2006, 258, 259 Rn. 10). Das Beschwerdegericht hat sie seiner Entscheidung zugrunde gelegt; seine tatrichterliche Würdigung ist offensichtlich zutreffend. Dies folgt schon aus der beharrlichen Weigerung der Schuldnerin, ihren Mitwirkungspflichten im Verfahren nachzukommen. Diese können durch schwierige persönliche Umstände zu Beginn des Insolvenzverfahrens und im Jahr 2003 nicht entschuldigt werden, denn die Schuldnerin hat auch in den Jahren 2004 und 2005 ihren Mitwirkungspflichten nicht genügt.
Rz. 11
6. Die in der Rechtsprechung des Senats noch offene Frage, ob der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO eine Verschlechterung der Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger voraussetzt, muss auch im vorliegenden Fall nicht beantwortet werden. Durch die von der Schuldnerin unterlassenen Mitteilungen des Einnahmeüberschusses aus ihrer selbständigen wirtschaftlichen Betätigung sind die Befriedigungsaussichten der Gläubiger beeinträchtigt worden. Die jahrelange Untätigkeit der Schuldnerin hat dazu geführt, dass der In solvenzverwalter die Einnahmen der Schuldnerin nicht überprüfen und pfändbare Beträge nicht zur Masse ziehen konnte.
Fundstellen