Leitsatz (amtlich)
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ein Rechtsanwalt nur die Berechnung und Notierung einfacher und geläufiger Fristen seinem Büropersonal überlassen darf, nicht dagegen komplizierte Fristberechnungen, wie sie etwa in der Übergangszeit geänderter Vorschriften zum Fristenlauf anfallen. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO liegen bei dieser Fallgestaltung nicht vor.
Normenkette
ZPO § 519 Abs. 2 a.F., § 574 Abs. 2; EGZPO § 26 Nr. 5
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 10.07.2002) |
LG Ulm |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats des OLG Stuttgart v. 10.7.2002 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Beschwerdewert: 25.000 Euro.
Gründe
I.
Das LG hat auf die mündliche Verhandlung v. 10.12.2001 mit Urt. v. 25.1.2002 die Beklagten zur Räumung von überwiegend gewerblich genutzten Räumlichkeiten verurteilt.
Das Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 12.2.2002 zugestellt worden. Mit Schriftsatz v. 6.3.2002, der am 7.3.2002 bei Gericht eingegangen ist, haben die Beklagten durch ihren zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt. Dieser hat mit Schriftsatz v. 10.4.2002 beantragt "die am 12.4.2002 ablaufende Frist zur Berufungsbegründung" zu verlängern. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die einmonatige Berufungsbegründungsfrist bereits am 8.4.2002 abgelaufen sei, hat der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 22.4.2002 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die Berufung gleichzeitig begründet.
Er hat vorgetragen: Die Versäumung der Frist beruhe auf einem Versehen einer seit drei Jahren mit der Notierung der Fristen und deren Überwachung befassten, in hohem Maße zuverlässigen Kanzleikraft, die über die Neuregelung des § 520 Abs. 2 ZPO und den Inhalt des § 26 Nr. 5 EGZPO ausdrücklich unterrichtet worden sei. Da dem Urteil selbst nicht zu entnehmen gewesen sei, wann die letzte mündliche Verhandlung stattgefunden habe, habe sie angenommen, dass die letzte mündliche Verhandlung nach dem 1.1.2002 stattgefunden habe. Nachdem er Anfang April 2002 bei einem Telefongespräch mit dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten erfahren habe, dass die letzte mündliche Verhandlung am 10.12.2001 stattgefunden habe, habe er seine seit 25 Jahren für ihn tätige Anwaltssekretärin angewiesen, die bereits notierte Berufungsbegründungsfrist anhand der Mitteilung des OLG Stuttgart über den Eingang des Rechtsmittelschriftsatzes zu überprüfen. Seine Anwaltssekretärin habe daraufhin die Akte sowie den Fristenkalender zur Hand genommen und festgestellt, dass die Berufungsbegründungsfrist bereits auf den 12.4.2002 notiert gewesen sei. Deshalb sei sie davon ausgegangen, dass die Fristnotierung erledigt und nichts weiteres mehr zu veranlassen sei.
Das OLG hat mit Beschl. v. 10.7.2002 den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 519 Abs. 2 S. 2 ZPO a.F. begründet worden sei. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie ihr Wiedereinsetzungsgesuch weiterverfolgen und die Aufhebung der vom OLG ausgesprochenen Verwerfung der Berufung erstreben.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 i. V. m. §§ 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
1. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung i. S. d. § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, die sich allgemein, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (vgl. BGH, Beschl. v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207 = NJW 2002, 3029). Das ist hier nicht der Fall.
Die Berechnung der Begründungsfrist richtete sich im vorliegenden Fall auf Grund der Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 5 EGZPO noch nach altem Recht, da das LG die mündliche Verhandlung noch vor dem 1.1.2002 geschlossen hatte. Allerdings war der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aus dem Urteil nicht erkennbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann der Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Angestellten überlassen (BGH, Beschl. v. 29.4.1998 - XII ZB 140/95, NJW-RR 1998, 1526; Beschl. v. 26.9.1996 - V ZB 25/96, NJW-RR 1997, 55; Beschl. v. 5.2.2003 - VIII ZB 115/02, MDR 2003, 710 = BGHReport 2003, 697 = NJW 2003, 1815). Er hat jedoch durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden; unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anweisungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die mindestens stichprobenartige Kontrolle des Personals (BGH, Beschl. v. 5.2.2003 - VIII ZB 115/02, MDR 2003, 710 = BGHReport 2003, 697 = NJW 2003, 1815 m. w. N.). Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, darf der Anwalt darauf vertrauen, dass das zuständige Büropersonal die ihm übertragenen Aufgaben des Fristenwesens ordnungsgemäß erfüllt. Ob der Rechtsanwalt unter Zugrundelegung dieser Grundsätze die Sorgfaltsanforderungen beachtet hat, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Das Berufungsgericht hat ausgehend von diesen Grundsätzen zu Recht angenommen, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine einfach zu berechnende Frist handelte. Vielmehr besteht gerade in der Übergangszeit geänderter Vorschriften zum Fristenlauf eine erhöhte Gefahr für Fehler bei Fristberechnungen. Deshalb war der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten verpflichtet sich selbst zu vergewissern, ob sein Personal die Fristen richtig berechnet. Eine abstrakte, der Verallgemeinerung zugängliche Rechtsfrage wirft der Fall nicht auf.
2. Eine Entscheidung des BGH ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
Die angefochtene Entscheidung weicht nicht von der ständigen Rechtsprechung ab, wonach es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen für die Fristwahrung in der Kanzlei dann nicht entscheidend ankommt, wenn im Einzelfall eine konkrete Anweisung erteilt worden ist, die bei Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (BGH, Beschl. v. 23.4.1997 - XII ZB 56/97, NJW 1997, 1930 [1931]; und v. 11.2.1998 - XII ZB 184/97, NJW-RR 1998, 787 [788]). Eine solche konkrete Anweisung hat der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts seiner Anwaltssekretärin nicht erteilt.
Fundstellen
Haufe-Index 1090827 |
BB 2004, 244 |
DStRE 2004, 366 |
BGHR 2004, 330 |
FamRZ 2004, 182 |
NJW-RR 2004, 350 |
JurBüro 2004, 165 |
ZAP 2004, 290 |
MDR 2004, 408 |
VersR 2004, 1578 |
RENOpraxis 2004, 97 |
Mitt. 2004, 188 |